Licht in der Finsternis!

3. Februar 2020 in Weltkirche


Der Vatikan erinnerte bei den Vereinten Nationen an seine Hilfe für die verfolgten Juden während des Holocaust. Gastbeitrag von Yuliya Tkachova


New York (kath.net) Der 27. Januar 2020 wurde weltweit als der 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und Gedenktag an die sechs Millionen Opfer des Holocaust begangen. Für den neuen Nuntius und ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls an den Vereinten Nationen, Erzbischof Gabriele Caccia, war es noch mehr: es war an der Zeit, an die zahlreichen Versuche der katholischen Kirche zu erinnern, den Antisemitismus zu überwinden und den Juden in dieser dunkelsten Stunde ihrer Geschichte helfend beizustehen. „Wir sagen niemals wieder, wir sagen, wir erinnern uns, aber wir müssen auch hier und heute handeln“, erklärte er vor fast 500 Diplomaten, Würdenträgern und Repräsentanten diverser Religionsgemeinschaften zur Eröffnung der dreistündigen Gedenkveranstaltung „Remembering the Holocaust“ in der UN Trusteeship Council Chamber im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York, gleich neben dem Tagungssaal des UN-Sicherheitsrates. Um „Die Bemühungen des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche, Leben zu retten“ angemessen zu dokumentieren, hatte er acht internationale Experten eingeladen, die in zahlreichen historischen Archiven Belege für die Aktivitäten des Weltkriegspapstes Pius XII und seiner Helfer gefunden haben. Dabei bediente er sich des weltweiten Netzwerkes der in New York beheimateten „Pave the Way-Foundation“ des Juden Gary Krupp, die sich seit zwei Jahrzehnten um den Dialog zwischen Juden und Christen und die Rehabilitation des zu Unrecht immer wieder Angriffen ausgesetzten Pacelli-Papstes verdient gemacht hat.

In seinem Eröffnungsvortrag erinnerte sich Krupp daran, wie er erstmals vom Holocaust erfuhr, als ihm sein Vater, ein Weltkriegs-Veteran, von der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald erzählte und ihm Bilder der Leichen zeigte. „Er mahnte mich zeitlebens, alles daran zu setzen, dass sich so etwas nie mehr wiederholt“. Jahrzehntelang glaubte Krupp die „schwarze Legende” vom “Schweigen des Papstes“, bis er in Italien Augenzeugen begegnete. Heute weiß er, dass Pius XII. allein in Rom 6381 Juden in 696 Klöstern, kirchlichen Einrichtungen und privaten Wohnungen verstecken ließ. „Es ist eine bedauerliche Ironie des Schicksals, dass dieser eine Mann im besetzten Europa, der mehr als jeder andere tat, um diese schrecklichen Verbrechen zu verhindern, zum Sündenbock für alle anderen wurde“, erklärte Krupp.

Prof. Edouard Husson von der Cy Cergy Universität in Paris untersuchte die Ursprünge der nationalsozialistischen Ideologie und des Antisemitismus, die von der katholischen Kirche ab 1928 als „Häresie“ (Irrlehre) verurteilt wurden.

Prof. Ron Rychlak von der Universität von Mississippi zitierte Zeugen, darunter den ehemaligen Chef des rumänischen Geheimdienstes, Mihau Pacepa, die von einer gezielten Kampagne des sowjetischen Geheimdienstes sprachen, mit dem Ziel, die katholische Kirche und Pius XII. zu diffamieren. Mit dem Theaterstück des deutschen Skandaldramatikers Rolf Hochhuth begann die „Fakenews“-Kampagne, die sogar so weit ging, den Papst, der Hitler trotzte, eine heimliche Sympathie für die Nazis zu unterstellen.

Der deutsche Historiker Michael Hesemann wies nach, dass Eugenio Pacelli lange vor seiner Wahl zum Papst persönliche Freundschaften zu Juden unterhielt und sogar die zionistische Bewegung unterstützte. Bereits 1917, als Nuntius in München, setzte er sich dafür ein, die drohenden Massaker an jüdischen Siedlern im damals osmanisch besetzten Palästina zu verhindern. Bei seiner Wahl zum Papst 1939 stellten ihn jüdische Zeitungen explizit als „treuer Freund der Juden“ und Gegner der Nazis dar. Tatsächlich bezeichnete Pacelli, der seit 1923 den Aufstieg Adolf Hitlers in München verfolgte, den Nationalsozialismus schon 1925 als „die wohl gefährlichste Häresie unserer Zeit“ und den „Führer“ ein paar Jahre später als „Verbrecher“ und „abgrundtief schlechten Menschen“. Nach der Kristallnacht, so zeigte Hesemann anhand von Dokumenten, die er im vatikanischen Geheimarchiv entdeckt hat, wollte Pacelli, mittlerweile Kardinalstaatssekretär von Pius XI., 200.000 Juden – fast die gesamte Judenheit im Deutschen Reich – die Flucht ins Ausland ermöglichen; das Unternehmen scheiterte allerdings an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Weltgemeinschaft, die nicht bereit war, ihnen so viele Visa auszustellen. Dass Pius XII. zwar drei Mal offen gegen den Holocaust protestierte, dabei aber weder Täter noch Opfer beim Namen nannte, hatte, so Hesemann, nur den Zweck, die Nazis nicht zu einer Verschärfung der Maßnahmen zu provozieren. Immerhin gelang es der vatikanischen Geheimdiplomatie durch über 40 diplomatische Interventionen zwischen 830.000 und 960.000 Juden vor dem sicheren Tod in den deutschen Vernichtungslagern zu retten.

Details solcher Rettungsaktionen legte Prof. Luigi Napolitano dar. So fand er in Vatikanarchiven Stempel und Formblätter, mit denen Männer der Kirche Dokumente fälschten, um Juden während der deutschen Besatzung die Flucht oder ein sicheres Versteck zu ermöglichen. Ein offener Protest wurde den Nazis mehrfach angedroht. „Aber es war eine Waffe mit nur einer Kugel. Hätte er protestiert, hätte er damit nicht mehr drohen und nichts mehr bewirken können.“

Die jüdische Historikerin Prof. Limore Yagil von der Sorbonne in Paris, Beraterin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, legte minutiös die Bemühungen der französischen Bischöfe dar, Juden zur Flucht zu verhelfen oder bei französischen katholischen Familien zu verstecken – über 200.000 überlebten auf diese Weise. Immer wieder holten sich diese Bischöfe und der unermüdliche „Judenpater“ Benoit Rat und Hilfe beim Papst. „Die Kirche war damals noch hierarchischer, als sie heute, nach dem Konzil ist“, stellte sie fest. „Da wäre es unmöglich gewesen, solche Aktionen zu wagen ohne Rückendeckung aus Rom.“

Mark Riebling, Autor des Bestsellers „Die Spione des Papstes“, wies nach, dass Pius XII. seit Oktober 1939 mit dem deutschen Widerstand kollaborierte – einer Verschwörung, deren Ziel es war, Hitler zu töten. „Die Männer dieses Netzwerkes, aus dem auch Graf Stauffenberg hervorging, mahnten ihn immer wieder, bloß nicht zu protestieren, denn Hitler hätte das zum Vorwand genommen, um die katholische Kirche in Deutschland zu zerschlagen. Sie brauchten die Kirche aber, als Netzwerk für den Widerstand, und den Papst als ihren Kontakt zu den Alliierten und als Fürsprecher für das von ihnen geplante, demokratische Nachkriegsdeutschland“. Ein Ergebnis dieser Bemühungen, an denen Katholiken wie Protestanten beteiligt waren, war der ökumenische Dialog in der Nachkriegszeit, aber auch die Erklärung „Nostra Aetate“ des 2. Vatikanischen Konzils, die zur Aussöhnung mit dem Judentum führte.

Johan Ickx, Leiter des Historischen Archivs des Vatikanischen Staatssekretariats, sprach davon, was Historiker vorfinden werden, wenn am 2. März 2020, wie von Papst Franziskus angekündigt, ein gutes Dutzend vatikanischer Archive ihre Bestände zum Pontifikat Pius XII. – insgesamt über 15 Millionen Seiten Dokumente – freigeben werden. Dabei würde sich zeigen, dass Bischöfe und Nuntien, die längst als „Gerechte unter den Völkern“ (Nichtjuden, die Juden retteten) in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geehrt werden, nur in engster Absprache mit und auf Weisung von Pius XII. gehandelt haben. „Wir haben hier also die absurde Situation, dass die Mitarbeiter geehrt wurden, aber nicht ihr Vorgesetzter, der ihnen den Auftrag erteilt hat.“

Auch die sieben Historiker, die an den Vereinten Nationen sprachen, warten ungeduldig auf den „großen Tag“. „Es wird Zeit, dass die Wahrheit über Pius XII unbestreitbar wird, dass sich seine Gegner nicht mehr hinter der Ausrede ‚wir warten, bis die Archive öffnen‘ verstecken können“, erklärt Michael Hesemann, der 2018 für sein Buch „Der Papst und der Holocaust“ bereits 5300 vorab vom Vatikan veröffentliche Dokumente und 77.000 Seiten, die von „Pave the Way“ (ptwf.org) online gestellt wurden, ausgewertet hat. „Papst Pius XII. war ein Licht in der Finsternis, die damals den größten Teil Europas umhüllte. Er handelte weise und schaffte es so, fast eine Million Juden zu retten, deren Nachkommen heute ein Drittel der gesamten Judenheit ausmachen, während die Nationen der Welt meist untätig zuschauten.“ So stimmt der deutsche Historiker Papst Franziskus zu, der bei seiner Ankündigung der Öffnung der Archive am 4. März 2019 betonte: „Die Kirche braucht die Wahrheit nicht zu fürchten“.

Die gesamte dreistündige Gedenkveranstaltung wurde gefilmt und kann auf der UN-WebTV-Seite abgerufen werden:
http://webtv.un.org/search/remembering-the-holocaust-the-documented-efforts-of-the-holy-see-and-the-catholic-church-to-save-lives/6127031085001/?term=2020-01-27&sort=date


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