„Vergessen wir nicht…“

2. Februar 2020 in Deutschland


Synodaler Weg – Kardinal Woelki: „Vergessen wir nicht: Niemand klagt die Missbrauchstäter schärfer und heftiger ihrer Vergehen an als die traditionelle kirchliche Moral! Lassen Sie uns genau überlegen, bevor wir uns ihrer kurzerhand entledigen!“


Köln (kath.net/pek) kath.net dokumentiert die vier Statements des Kölner Erzbischofs bei der ersten Synodalversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt a.M. in voller Länge:
Statement Kardinal Woelki – Synodalversammlung 30.1. - 1.2.2020 Vorbereitendes Forum „Priesterliche Existenz heute“
Die Themen- und Fragensammlung des Vorbereitenden Forums „Priesterliche Existenz heute“ habe ich mit Freude und Dankbarkeit gelesen. Nach meinem Eindruck findet sich hier genau der harmonische Zweiklang von geistlicher und praktischer Reflexion wieder, den der Heilige Vater in seinem Brief zum Synodalen Zukunftsweg erbeten und empfohlen hat. Wenn die aufgeworfenen Themen und Fragen sorgsam und umsichtig bearbeitet werden, verspreche ich mir davon einen echten Fortschritt der Kirche in Deutschland - nach innen wie nach außen.

In seinem ersten Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“ von 2013 hat Papst Franziskus ausgerechnet da wegweisende Worte gefunden, wo er darauf hinweisen musste, dass „das den Männern vorbehaltene Priestertum ... nicht zur Diskussion steht, ... aber Anlass zu besonderen Konflikten geben[kann], wenn die sakramentale Vollmacht zu sehr mit der Macht verwechselt wird“ (n. 104). Ausgangspunkt ist „die Gleichgestaltung des Priesters mit Christus, dem Haupt“ durch das Weihesakrament. Die aus diesem Sein, dieser „Christusförmigkeit“ resultierenden Funktionen jedoch begründen „keine Überlegenheit der einen über die anderen“ (ebd.). Wie schon das Zweite Vatikanische Konzil sinngemäß lehrte, ist das hierarchische Amtspriestertum „ganz für die Heiligkeit der Glieder Christi bestimmt. Ihr Dreh- und Angelpunkt ist nicht ihre als Herrschaft verstandene Macht, sondern ihre Vollmacht, das Sakrament der Eucharistie zu spenden; darauf beruht ihre Autorität, die immer ein Dienst am Volk ist“ (ebd.). Die Kirche hat in den christologischen Diskussionen der ersten Jahrhunderte daran festgehalten, dass Christus gekommen ist, um zu dienen: „für uns Menschen und zu unserem Heil“. Sie hat aber auch betont, dass er dies überhaupt nur konnte, weil er als Sohn Gottes wesenhaft über göttliche Vollmacht verfügt. Analog dazu weist das Vaticanum II Bischöfen und Priestern die Aufgabe zu, „Dienerin der Leitung“ (LG 20) zu sein.

Weil priesterliche Vollmacht nicht aus uns selbst erwächst, sondern uns von Gott zukommt, verpflichtet sie uns dazu, „nicht Beherr-scher der Gemeinden“ zu sein, „sondern Vorbilder für die Herde“ (1 Petr 5, 3). Geistliche Existenz des Priesters und seine evangelisierende Proexistenz erschließen und bestärken sich ge-genseitig. „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (vgl. Apk 2 und 3): Bitten wir dazu um seinen Beistand! Rainer Maria Kardinal Woelki


Statement Kardinal Woelki – Synodalversammlung 30.1. – 1.2.2020Vorbereitendes Forum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“

Mit Respekt und Sympathie habe ich registriert, wie konsequent die Teilnehmer dieses Forumsfür die Würde und den Wert der Frauen eintreten. Ausdrücklich unterstützen möchte ich die hier vorgetragenen Anregungen, Frauen auf vielfältigen Ebenen des kirchlichen Lebens zu fördern. Ich sage das in dem frohen Bewusstsein, dass wir im Erzbistum Köln dieser Linie schon seit Jahren folgen – mit Gewinn, und zwar nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern für die gesamte Erzdiözese. Ob sich diese Stärkung der weiblichen Stellung auch auf die schlimmen Missbrauchsfälle auswirken wird, kann ich noch nicht sagen. Sicher bin ich mir dessen allerdings nicht, wenn ich sehe, dass sich in der Vergangenheit außer Männern immer wieder auch Frauen, ja selbst Mütter beteiligt haben. Von den allerersten Zeiten der Kirche an haben Frauen Beiträge von unschätzbarem Wert für die Kirche und ihr Leben - bisweilen auch für ihr Überleben - geleistet. Sie haben jedes Recht und allen Anspruch darauf, in kirchlichen Diensten und Funktionen tätig zu werden, die sich von den kleinen und gleichwohl so wichtigen Handreichungen innerhalb der Gemeinde bis hin zu der an das Bischofsamt erinnernden Machtfülle von Priorinnen und Äbtissinnen erstrecken. Das gilt – soweit es sinnvoll erscheint - für alle Tätigkeiten, welche die Kirche im Laufe der Jahrhunderte eingerichtet hat, einrichtet oder noch einrichten wird.

An eine unverrückbare Grenze stößt die Kirche dagegen, wo der Stifterwille Christi, wie er sich in den Evangelien darstellt und über 2000 Jahre verstanden worden ist, beim kirchlichen Weiheamt keine Handhabe und keinen Spielraum lässt. Dabei spreche ich von dem Apostelamt der gemäß den Evangelien von Christus selbst berufenen Zwölf, nicht von dem gleichnamigen Gemeindedienst, den der heilige Paulus und seine Schule erwähnen. Papst Franziskus macht dieses Dilemma deutlich: Wünscht er in Evangelii gaudium ausdrücklich, dass Frauen „auch an den verschiedenen Stellen, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, in der Kirche ebenso wie in den sozialen Strukturen“ gegenwärtig sind (n. 103), so muss er schon einen Ab-satz später darauf hinweisen, dass „das den Männern vorbehaltene Priestertum ... nicht zur Diskussion steht“ (n. 104). Nicht die Symbolik von Mann und Frau, von Bräutigam und Braut ist dabei das Entscheidende; sie stellt lediglich einen Erklärungsversuch dar.

Den Ausschlag gibt, dass die Kirche angesichts der autoritativen Berufungspraxis Jesu und deren weiterer Ausgestaltung keine Vollmacht hat, Frauen zu weihen.

Das apostolische Amt, dem das dreigestufte Weiheamt entspringt, steht nicht unter der Verfügungsgewalt der Kirche – anders als die vielfältigen Berufe und Dienste, die sie selbst später eingerichtet hat. Das hat das Schreiben Ordinatio sacerdotalis 1994 unmissverständlich und definitiv gelehrt; die ausdrückliche Bestätigung durch die Glaubenskongregation folgte ein Jahr später.Schließlich freue ich mich über das weite Spektrum der potentiellen Teilnehmerinnen des Forums, wie es von dem Vorbereitungspapier ausdrücklich gewünscht wird.

Eine wirklich redliche und authentische Diskussion wird freilich nur dann erwachsen, wenn auch Frauen teilnehmen können, deren Überzeugung unbequem ist und quer zu der Mehrheitsmeinung steht. Ich wünsche dem Forum einen fruchtbaren Verlauf der Beratungen! Rainer Maria Kardinal Woelki

Statement Kardinal Woelki – Synodalversammlung 30.1. – 1.2.2020Vorbereitendes Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“
Bei der Lektüre des Vorbereitungspapiers habe ich den entschiedenen Willen der Forumsteilnehmer gespürt, nicht in Resignation zu versinken, sondern aufzubrechen. Ich begrüße dies und wünsche mir ebenfalls, dass „geistige Offenheit in geistlicher Atmosphäre auf solider theologi-scher Grundlage“ wirklich in jeder Richtung herrscht, soweit es keine Glaubensüberzeugungen der katholischen Weltkirche in Frage stellt. Denn dogmatische oder ethische Fakten und Definitionen sind nicht Wände, die es einzureißen gilt, sondern der Boden, auf dem wir stehen.

Zur geistigen Offenheit gehört ein Realismus, der die gegenwärtigen Fehler und Schwächen aufspürt und behebt, ohne die großen Stärken und Schätze der Gemeinden in Deutschland zu ignorieren; das hat uns ja schon Papst Franziskus in seinem Brief nahegelegt. Dazu gehört die Unterscheidung zwischen dem Klerus, auf dessen Wertschätzung schon Ignatius von Antiochien Anfang des 2. Jahrhunderts drängte, und unangebrachtem Klerikalismus.

Ein wichtiger Ansatz scheint mir zu sein, dass die Leitung der Kirche durch Christus, ihr Haupt, und durch diejenigen, die ihn sakramental vergegenwärtigen, die Glieder des Leibes ebenfalls betrifft. Dies bedingt eine Mitwirkung von Laien bei der Ausübung von Leitungsgewalt, die heute ohne Frage mehr und mehr an Bedeutung und Dringlichkeit gewinnt. Allerdings machtdies Laien nicht zu geweihten Hirten: Das betont Christifideles laici1988 und fordert uns dazu auf, „die Einheit der einen Sendung der Kirche, an der alle Getauften teilnehmen, aber auch den wesenhaften Unterschied des Amtes der Hirten, der im Sakrament des Ordo gründet, gegenüber anderen Diensten, Aufgaben und Funktionen in der Kirche, die in den Sakramenten der Taufe und Firmung begründet sind, klar herauszustellen“ (n. 23).

Hilfreich wird es sicherlich sein, Erfahrungen aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben zu bedenken und zu nutzen, wenn auch selbstverständlich nur da und nur soweit, wie das dem spezifischen Wesen und Kontext der Kirche sowie ihrer Leitung entspricht. Dankbar bin ich in diesem Sinne für die erklärte Absicht des Forums, „wieder den langen Atem der lebendigen Tradition“ zu spüren, statt sich in eigenem Gutdünken und kurzatmigen Trends zu verrennen. Unter anderem macht mir die Entstehungsgeschichte des Katechismus der Katholischen Kirche Mut, die durch einen intensiven, lebendigen Austausch zwischen der Vorbereitungskommission, dem Redaktionskomitee und verschiedenen Instanzen der Ortskirchen geprägt war.

Der lebendige Austausch innerhalb der katholischen Kirche aller Orte und aller Zeiten hat sich bewährt und muss weitergehen! Nicht vergessen dürfen wir den düsteren Kontext der Missbrauchsfälle. Wir müssen dem ein erneuertes Denken sowie entschlossene Maßnahmen entgegensetzen, auch wenn unsere demokratische Gesellschaft leider demonstriert, dass kein politisches oder soziales System als solches diese Verbrechen verhindert.

Dies wird nur eine ehrliche Umkehr bewirken, die sich auf entsprechende Strukturen stützen kann. Beherzigen wir im Übrigen, was uns das Zweite Vatikanische Konzil über das Miteinander von Amtsträgern und Laien in der Communio der Kirche gesagt hat: „Wenn auch einige nach Gottes Willen als Lehrer, Ausspender der Geheimnisse und Hirten für die anderen bestellt sind, so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi. Der Unterschied, den der Herr zwischen den geweih-ten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine Verbundenheit ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger Beziehung miteinander verbunden sind“ (LG 32).

„Einheit in Vielfalt“: Dieses Prinzip kennzeichnet den dreifaltigen Gott selbst, aber auch seine Kirche. Beten und arbeiten wir dafür, dass das Gleichgewicht beider Elemente erhalten bleibt! Rainer Maria Kardinal Woelki

Statement Kardinal Woelki – Synodalforum 30.1. – 1.2.2020 Vorbereitendes Forum „Leben in gelingenden Beziehungen“
Der mittlerweile emeritierte Papst Benedikt XVI. schrieb in seiner Antrittsenzyklika „Deus caritas est über die christliche Liebe“ (2005): Der eine Gott Israels liebt, und „diese seine Liebe kann man durchaus als Eros bezeichnen, der freilich zugleich ganz Agape ist“ (n. 9). Mensch-liche Sexualität und Partnerschaft kommen von Gott und führen – verantwortlich praktiziert – auch wieder zu ihm hin. Ich setze meine Hoffnung darauf, dass dieses Forum dazu beitragen wird, diese positive Sinngebung von Partnerschaft und Sexualität im katholischen Glauben neu erkennbar zu machen.Die Problemanzeige des Vorbereitungstextes, dass viele Menschen heute kein Verständnis mehr für die katholische Sexualethik aufbringen können oder auch wollen, trifft zweifellos zu. Das bietet Anlass zu einem kritischen Blick auf die entsprechende Verkündigung in Katechesen, Predigten und bei anderen Gelegenheiten. Dagegen kann es keine Lösung bringen, wenn man Überzeugungen, zwecks besserer Rezeption der Gesamtbotschaft einfach über Bord wirft, weil sie weithin abgelehnt werden. Das würde die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht stärken, sondern ganz im Gegenteil erheblich schwächen. In der untergegangenen DDR bezeichnete man Menschen, die diese Taktik an den Tag legten, wenig schmeichelhaft als „Wendehälse“.

Nein, wenn dieses Forum etwas zur Verbesserung beitragen möchte, dann muss es die unter dem Schutt von verquasten Sprachformen und mittlerweile kaum noch reflektierten Vorurteilen verborgenen Überzeugungen hervorholen, reinigen und wieder zum Strahlen bringen. Das gilt nicht zuletzt für die (heute fraglos unpopulären) Berufung auf den Schöpferwillen. Gleichwohl hat diese Perspektive Anhaltspunkte schon im Alten und im Neuen Testament (Weish 13; Röm 1). In der Frage der Ehescheidung beruft sich Jesus zentral und vehement auf den Willen des Schöpfers. Gewiss, auch eine „gereinigte“ katholische Sexualethik wird nicht ohne Reibungsflächen und Widersprüche gegen die heute verbreiteten Ansichten auskommen. Aber das galt mindestens ebenso für die Anfänge der Kirche! Ich glaube nicht, dass eine Ethik, die so stark auf gegenseitiger Liebe und Treue aufbaut und diese unter ihren Schutz stellt, auf Dauer und breiter Front abgelehnt wird. Und ich bin froh und dankbar, dass in der Neuzeit beispielsweise die Konzilskonstitution Gaudium et spes sowie weitere Lehrdokumente nicht nur pauschal den Wert der Ehe hervorheben, sondern auch ganz konkret den de s geschlechtlichen Zusammenlebens der Eheleute.

Aus katholischer Perspektive stellt die Zeugung neuer Menschen als Interpretation der göttlichen Schöpferliebe zwar den Höhepunkt der physischen Liebe dar, deckt aber keineswegs deren gesamtes Sinnspektrum ab. Im liebevollen ehelichen Akt kommt die innere Zusammengehörigkeit der Eheleute zum Ausdruck. In einer Zeit, in der die Sexualität leider nicht zuletzt in ihren fehlgeleiteten, ausbeuterischen und voyeuristischen Ausprägungen allgegenwärtig scheint, ist es wichtiger denn je, über die Grundbotschaft von der Liebe hinaus auch konkrete Hilfestellungen in Einzelfragen zu geben. Selbstverständlich macht hier in eminenter Weise der Ton die Musik: Es muss deutlich werden, dass es der Kirche nicht darum geht, Intimitäten auszuspähen und zu reglementieren, sondern darum, Wert und Würde von Mann und Frau gerade da zu wahren, wo sie am verletzlichsten sind. Die Weisungen kirchlicher Morallehre sind dazu gedacht, den vielfältig denkbaren Miss-bräuchen zu wehren. Das sollte jeder bedenken, der kirchliche Ethik lieber als prinzipiellen – damit aber auch unkonkreten - Aufruf zur Liebe sähe.

Vergessen wir nicht: Niemand klagt die Missbrauchstäter schärfer und heftiger ihrer Vergehen an als die traditionelle kirchliche Moral! Lassen Sie uns genau überlegen, bevor wir uns ihrer kurzerhand entledigen! Rainer Maria Kardinal Woelki


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