Die ‚heißen Themen’ zwischen den Jahren 2019 und 2020

2. Jänner 2020 in Interview


Ein Kamingespräch mit Gerhard Kardinal Müller. Teil 2: Amazonassynode und ‚Pachamama’, Abu Dhabi und das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Das zu Ende gehende Jahr 2019 – ein bewegtes Jahr, zwischen Missbrauchsskandalen, vatikanischen Finanzskandalen und einer in vielerlei Hinsicht heftig diskutierten Lokalsynode für Amazonien (wo nicht wenige gezögert haben, von einer Räubersynode zu reden). Es kommt keine Ruhe in die Kirche, jeder Versuch, zu dieser Ruhe im Sinn einer „tranquillitas animi“ durch die Wiedergewinnung eines substantiellen Bodens zu gelangen, scheint zum Scheitern verurteilt zu sein.

Der Beginn dieses Jahres war gezeichnet von dem, was in die Geschichte dieser Jahre als das „Glaubensmanifest“ eingehen wird. Dieses Glaubensmanifest ist ein Skandal, so wie dies 1968 das Buch eines Theologen war, das es wagte, den Titel „Einführung in des Christentum“ anzunehmen. 1968 Jahre nach Christus – eine Einführung in das Christentum? So weit war es gekommen also, dass dies nötig war, so weit war es gekommen, dass Papst Paul VI. zum Abschluss des Heiligen Jahres des Glaubens im Juni 1968 ein „Credo des Gottesvolkes“ verfassen musste.

Und dann das Manifest des Glaubens von Gerhard Kardinal Müller. Ein Kamingespräch mit der Eminenz – es ist immer ein Ereignis, weil sich in ihm in drängender, intensiver nicht loslassender Weise „amor intellectualis“, „libertas intellectus“ und die wahre „Parrhesia“ des Christen vereinen, dessen Ziel eindeutig ist: die eine und absolute Wahrheit Jesu Christi zu verkünden.


Eminenz, die „Amazonassynode“ wurde schon erwähnt. Spricht man davon, muss auch von den Pseudoriten in den Vatikanischen Gärten, der Petersbasilika, in Santa Maria in Traspontina gesprochen werden. Es ist das Verdienst eines mutigen Österreichers, der aus Liebe zur Kirche und zur Gottesmutter wenigstens einem Teil dieses unwürdigen Schauspiels mit einem von vielen begrüßten „Sturz in den Tiber der Götzen“ ein Ende gesetzt hatte.

Wie bewerten Sie diese Vorgänge während einer Synode, die sich gern in politische und kirchenpolitische Dimension verwirren wollte? Die Agenda der Synode, verbunden mit dem jetzt breit propagierten Abschlussdokument – wie müssen wir diese sehen?

Kardinal Müller: Wir glauben an den einen Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und ihn allein beten wir an und wir verabscheuen die Götter der Heiden und ihre Symbole, weil sie die Menschen der „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes berauben“ (Röm 8, 21).

Gott hat die Welt und das Klima und auch den Amazonas geschaffen, aber alles um der Menschen willen. Nur für uns Menschen und zu unserem Heil ist der Sohn Gottes vom Himmel herabgekommen und hat aus der Jungfrau Maria unser Fleisch angenommen und ist Mensch geworden, um uns Menschen die Gnade der Gottes-Sohnschaft zu schenken, damit wir Gott erkennen und lieben.

Die Kirche muss von Gott, Christus, dem Evangelium, den Heilsmitteln und dem ewigen Leben sprechen. Für das Klima können wir zuerst insofern etwas tun, dass wir es in den eigenen Reihen verbessern und zu einem besseren Umgangston gelangen. Es gibt zu viel Macht- und Parteienkampf in der Kirche. Das törichte Denken in den politischen Kategorien von konservativ und progressiv schadet der Einheit der Kirche in der Wahrheit Christi.

Zum Schluss noch eine Frage zum „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ vom 4. Februar 2019. Dort ist zu lesen: „Die Freiheit ist ein Recht jedes Menschen: ein jeder genießt Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungs- und Handlungsfreiheit. Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat. Diese göttliche Weisheit ist der Ursprung, aus dem sich das Recht auf Bekenntnisfreiheit und auf die Freiheit, anders zu sein, ableitet“.

Die Vielfalt der Religionen – gottgewollt? Sofort wurden Fragen aufgeworfen, Stellungnahmen formuliert. Der Vatikan ist sehr darum bemüht, diesem Dokument größtmögliche Verbreitung zu geben, zuletzt während der Reise von Papst Franziskus nach Thailand und Japan.

Bei der Generalaudienz vom 3. April 2019 erklärte Franziskus: „Warum geht der Papst zu den Muslimen und nicht nur zu den Katholiken? Weil es viele Religionen gibt. Und warum gibt es viele Religionen? Zusammen mit den Muslimen stammen wir vom selben Vater ab, Abraham: Warum lässt Gott es zu, dass es viele Religionen gibt? Gott wollte es zulassen: Die Theologen der Scholastik sprachen von der »voluntas permissiva« Gottes.

Er wollte diese Wirklichkeit zulassen: Es gibt viele Religionen. Einige entstehen aus der Kultur heraus, aber immer schauen sie zum Himmel, schauen sie auf Gott. Aber Gott will die Brüderlichkeit unter uns und in besonderer Weise – hier liegt der Grund für diese Reise – mit unseren Brüdern, die wie wir Kinder Abrahams sind, den Muslimen. Wir dürfen nicht erschrecken vor dem Unterschied: Gott hat es zugelassen. Wir müssen erschrecken, wenn wir nicht in Brüderlichkeit handeln, um gemeinsam durchs Leben zu gehen“.

„Voluntas permissiva“... Wie soll man das alles verstehen?

Kardinal Müller: Der Glaube ist nur heilswirksam, wenn er als innere Hingabe an Gott und als öffentliches Mit-Beten des kirchlichen Glaubensbekenntnisses in Freiheit geschieht im Vertrauen auf Gott und als Liebe zu ihm über alles.

Die staatlichen Autoritäten haben die Religionsfreiheit zu respektieren und zu garantieren, da sie ein in der Natur des Menschen liegendes Grundrecht ist, das sich aus seiner Würde als Person ergibt. In seinem Gewissen ist der Mensch aber verpflichtet, die Wahrheit zu suchen und dort wo ihm die Wahrheit des Evangeliums Gottes und Christi verkündet wird, dieser Wahrheit zuzustimmen und das Glaubensbekenntnis der Kirche Christi anzunehmen. Ob dies unter Umständen schuldhaft abgelehnt wird, vermag beim individuellen Gericht allein Gott zu entscheiden. Die Kirche darf aber ihre Mission nicht relativieren, allen Menschen die Botschaft Jesu zu verkünden und sein Heil anzubieten, das durch den Glauben und die Taufe angenommen wird und wodurch wir in die Kirche als Leib Christi eingegliedert werden.

Als Christen haben wir Respekt vor der Gewissensentscheidung aller Menschen. Wir wissen, dass jeder im Prinzip die Existenz Gottes mit Hilfe der Vernunft erkennen kann und dass er das sittliche Grundprinzip, das Gute zu tun und das Böse zu meiden, in unser Herz eingeschrieben hat – auch dort wo der geoffenbarte Dekalog noch nicht bekannt gemacht worden ist.

Papst Franziskus spricht nur eine natürliche Vernunftwahrheit aus, die uns in der Offenbarung noch tiefer einsichtig wird, dass wir Menschen alle von Adam abstammen (jenseits der biologischen Diskussion um Monogenismus und Polygenismus), d.h. uns als Spezies dem Schöpfungswillen verdanken. Wir sind alle „von Gottes Geschlecht“ (Apg 17, 29), d.h. wir haben ihn als unseren Schöpfer und Vater. Er führt uns zusammen zu der einen Menschheit in Christus.

Unabhängig von unserer Religionszugehörigkeit könnten wir sogar gegenüber Gottesleugnern niemals wie Kain sagen, der seinen Bruder Abel erschlagen hatte: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ (Gen 4, 9). Das Gebot der tätigen Nächstenliebe gilt allen Menschen gegenüber, sogar gegenüber unseren Feinden. Und es ist auch wichtig zu sagen, dass wir uns in Gesellschaft und Staat, Wissenschaft und Kultur für das Gemeinwohl einsetzen und zusammenarbeiten (Gaudium et spes 42). Da die Menschen in ihrer Verschiedenheit von Gott geliebt sind, müssen wir sie auch darin respektieren – außer wo sie gegen Gott sündigen und ihre Freiheit missbrauchen.

Bei dem sehr weiten Begriff „Religion“ muss differenziert werden. Es gibt eine sittlich-religiöse Anlage, durch die jeder Mensch auf Gott hin geordnet ist, dem er Dank für sein Dasein schuldet und von dem er sein zeitliches und ewiges Heil erwarten darf. Den konkreten Religionsgemeinschaften gehören die Menschen entweder durch Gewohnheit oder freie Entscheidung an.

Vom christlichen Standpunkt her wissen wir, dass Gott die Menschen zu ihrem Heil hinführt und ihnen viele Wohltaten erwiesen (Apg 14,17) und darin seine „ewige Macht und Gottheit“ kundgetan hat ( Röm 1, 20). Auch wenn sie vor Christus noch in Unwissenheit waren und doch nach Gottes Willen Ihn suchten (Apg 17,27) haben sie, wo immer sie eine höhere Macht suchten und verehrten, unbekannter Weise den wahren Gott implizit und intentionaliter verehrt (Apg 17,23).

Was immer in den Religionen der Menschheit und dem Suchen nach Wahrheit und Heil an Wahrem, Guten und Schönen sich findet, entstammt dem universalen Heilswillen Gottes unseres Retters, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Dies verwirklicht Gott geschichtlich durch den einzigen Mittler zwischen dem einen Gott und allen Menschen: der Mensch Christus Jesus (1 Tim 2,4f).

Die historischen Religionen gehören somit zur Vorsehung Gottes, durch die er den allgemeinen Heilswillen in seinem Mensch gewordenen Sohn verwirklicht und zwar mittels der Kirche als Sakrament des Heils der Welt in Christus (LG 1; 45; GS 48).

Zum Willen Gottes gibt es viel zusagen und auch in der theologischen Sprache sorgfältig abzuwägen. Der Begriff des „zulassenden Willens“ Gottes bezieht sich in der klassischen Theologie auf die Frage, warum bei der Allwirksamkeit des göttlichen Willens Gott wegen der Eigenwirksamkeit der geschaffenen Ursachen das Leiden von Unschuldigen zulässt. Brisant wird die Frage warum Gott die Sünde zulässt, die er nur verhindern könnte, wenn er dem höheren Gut der Freiheit und der daraus erwachsenden Liebe zu ihm und zum Nächsten den nötigen Raum ihrer Verwirklichung verschließen würde (vgl. zum ganzen Thomas von Aquin, De voluntate Dei, S.th. q. 19).


Bei der Existenz des Guten und Wahren in den Religionen der Menschheit – aber im Gegensatz zu den Perversionen in ihnen – muss man sagen, dass Gott dies nicht nur zulässt, sondern aktiv will als Vorbereitung auf die geschichtliche Begegnung mit Christus in Seiner Kirche.

Im Islam will Gott sicher nicht die Leugnung der Trinität, der Inkarnation, der Gottessohnschaft Christi und der Erlösung der Menschheit durch ihn von der Sünde. Zu behaupten, dass alle Religionen nur von Gott gewollte unterschiedliche Ausdrucksformen seiner Verehrung seien (auch im gegensätzlichen Sprachgewand ihrer Bekenner) hieße, den logischen Widerspruch in Gott hineintragen und so aller Logik und dem Dialog der Religionen den Boden zu entziehen. Diese Behauptung steht auch formal und inhaltlich im diametralen Gegensatz zum katholischen Glauben.

Aber im Hinblick auf den Vollzug des allgemeinen Heilswillens in Christus können wir als Christen mit Recht sagen und voll „Hochachtung betrachten“, dass Gott das Bekenntnis der Muslim zu dem einzigen Gott und Schöpfer, der allmächtig und allbarmherzig ist, aktiv will, dass sie an das Gericht über die guten und bösen Taten glauben und dass sie eine Existenz nach dem Tod im Himmel oder der Hölle erwarten (vgl. II. Vatikanum, Nostra aetate 3; Lumen gentium 16). „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen“ (Lumen gentium 16).

Abgesehen von einzelnen Formulierungen, die man verdeutlichen und vor Missverständnisses schützen kann, ist die Gesamtintention der Abu-Dhabi-Erklärung zu würdigen. Sie liegt auf der Linie der Regensburger Vorlesung Papst Benedikts XVI., dessen Grundaussage darin besteht, dass niemand sich auf Gott berufen kann, um Gewalt gegen Andersgläubige zu rechtfertigen. Das haben damals viele islamische Gelehrte auch für ihr Gottesverständnis gemäß dem Koran übernommen.

Es gibt eine Brüderlichkeit, die die Menschen ursprünglich in Gott dem Schöpfer verbindet. Sie unterscheidet sich im Christentum und Islam grundlegend von dem Brüderlichkeits-Pathos der Freimaurerei, weil dies auf einer Ausdünnung des Gottesbegriffs auf eine bloße Chiffre beruht. Christen und Juden und die Muslime sind dagegen davon überzeugt, dass – bei all ihren grundlegenden Unterschieden – Gott die Fülle des Seins ist, ohne den die Welt keinen Ursprung und kein Ziel hätte und dass ohne Gott der Mensch philosophisch und ethisch im Sumpf des Nihilismus versinken müsste.

Eminenz, ich danke Ihnen vielmals für die Zeit, die Sie uns geschenkt haben. Ich wünsche Ihnen von ganzen Herzen eine gesegnete Weihnachtszeit und ein gutes neues Jahr, das sich hoffentlich etwas ruhiger gestalten wird.

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