10. Dezember 2019 in Kommentar
Der Widerstand gegen das Vorhaben der Bundesregierung, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, ist schwach und aussichtslos. Ein Teil des Problems ist die Begriffsverwirrung, die systematisch hergestellt wird. Gastbeitrag von Benno Kirsch
Berlin (kath.net) Unlängst hat eine Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder ihren Bericht vorgelegt und drei Formulierungsvorschläge für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz gemacht. Damit ist vor allem die SPD ihrem lange verfolgten Ziel ein gutes Stück nähergekommen. CDU und CSU ziehen mit, sie leisten keinen erkennbaren Widerstand gegen ein Vorhaben. Das verwundert kaum, denn in den letzten Jahren hat es mehrere familienpolitische Weichenstellungen gegeben, bei denen sie zurückgewichen oder faule Kompromisse eingegangen ist. Bei der Einführung des Betreuungsanspruchs für Kleinkinder konnte sie noch das Betreuungsgeld (Herdprämie) herausschlagen, bei der überfallartigen Einführung der Ehe für alle wehrte sie sich kaum mehr. Ihre Unterstützung für das linke Herzensprojekt ist da nur folgerichtig.
Aber warum haben nicht wenigstens die deutschen Bischöfe energisch Widerstand gegen diesen Anschlag auf die Autonomie der Familien reagiert? Der Berliner Erzbischof Heiner Koch hat zwar eine Pressemeldung herausgegeben, in der er sich gegen das Vorhaben ausspricht. Doch die lässt den Leser ratlos zurück. Zwar führt Koch mehrfach und richtigerweise das Elternrecht im Munde. Doch allem Anschein nach ist ihm die Bedeutung dieses Begriffs nicht bewusst. Jedenfalls vermengt er natürliches Recht und Elternrecht (Singular) mit Elternrechten (Plural) und stellt die in ein Konkurrenzverhältnis zum Wächteramt des Staates. Er schreibt, kaum verständlich, aber mit Sicherheit falsch: Es hat sich bewährt, dass das Grundgesetz in Artikel 6 von einem natürlichen Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung der Kinder spricht und dieses Recht zuerst den Eltern zuweist.
Kochs Einlassung ist bezeichnend für die gesamte Diskussion über das Thema und erklärt, warum das bürgerliche Lager (wenn man es so nennen darf) in allen Diskussionen über die immerwährenden Vorstöße der Linken zur Schaffung eines neuen Menschen, der von der Wiege bis zur Bahre unter staatlicher Aufsicht und Kuratel steht, in der Defensive bleibt. Es liegt ein fataler Mangel an begrifflicher Reflexion vor, der zwar auch die eigentlich begrifflich geschulte Linke plagt, der ihr in dieser Frage aber wenigstens nicht schadet.
Dass Elternrechte (Plural) nicht dasselbe sind wie das naturrechtlich begründete Elternrecht (Singular) und dass das Elternrecht nicht in Konkurrenz zum staatlichen Wächteramt über die Grundrechte steht, ist Koch und vielen anderen anscheinend nicht mehr bewusst. Das Elternrecht, auf das sich der vielzitierte Artikel 6 des Grundgesetzes implizit bezieht (Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.), ist Ausfluss der naturrechtlichen Begründung des Grundgesetzes. Es wurde nach dem Krieg vor allem auf dem Feld der Schulpolitik ins Feld geführt, als es darum ging, die Bekenntnisschulen zu erhalten und der vollständigen Verstaatlichung des Schulwesens entgegenzutreten (vgl. Dieter Felbick: Schlagwörter der Nachkriegszeit). Kaum zu übertreffen bringt Josef Isensee den Kern des Elternrechts im Staatslexikon auf den Punkt, wenn er schreibt: Als Grundrecht der Verfassung richtet sich das Elternrecht gegen den Staat. Seinem Charakter nach liberal, schirmt es einen privaten Freiraum ihm gegenüber ab, und es erkennt der elterlichen Erziehung den Vorrang vor der staatlichen zu. Als Freiheitsrecht ermöglicht das Elternrecht Individualität der Erziehung.
Eltern haben Rechte (Plural), auch gegenüber ihren Kindern. Man kann sie stärken oder schwächen, und im Konfliktfall können sie sie auch vor Gericht einklagen. Doch mit dem Elternrecht (Singular) ist etwas anderes gemeint. Es bezieht sich, wie Isensee deutlich macht, nicht auf die Kinder, etwa in der Weise, dass es den Eltern irgendwelche Rechte am oder über das Kind gewährte. Das Elternrecht steht auch nicht in Konkurrenz zum staatlichen Wächteramt, wie Koch insinuiert. Der Staat soll, kann und will nicht erziehen. Sondern das Elternrecht ist die Forderung an den Staat, sich auf einen bestimmten Rahmen zu beschränken und die Erziehung der Kinder entsprechend der Wertvorstellungen der Eltern zu ermöglichen. Dass diese Erziehung bestimmten Regeln zu folgen hat (z.B. Gewaltfreiheit), versteht sich eigentlich von selbst.
Quellen:
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2019/102519_AG_Kinderrechte_GG.html (Bericht der Arbeitsgruppe)
https://dbk.de/presse/aktuelles/meldung/erzbischof-dr-heiner-koch-zur-frage-der-aufnahme-von-kinderrechten-in-die-verfassung/detail/ (Koch)
https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Elternrecht (Isensee)
https://tinyurl.com/wa37pho (Felbick)
https://tinyurl.com/r5xsajt (linke Argumentation, hier: Katja Mast)
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