Es ist keineswegs das Ende des Zölibats gekommen

3. Dezember 2019 in Interview


kath.net-Advent-Interview mit Kardinal Kurt Koch über Advent, Weihnachten, die Amazonas-Synode, Kritik an Papst Franziskus, Ökumene und die MEHR-Konferenz in Augsburg - Von Roland Noé


Rom (kath.net/rn)
kath.net: Der Advent bezeichnet ja die Vorbereitungszeit auf die Ankunft Christi. Wie können wir uns gut auf die Ankunft des Herrn vorbereiten? Haben Sie hier gute Tipps?

Kardinal Kurt KochDer Advent ist für mich eine besonders bedeutsame Zeit. Denn er macht darauf aufmerksam, was christliches Leben überhaupt bedeutet. Als Christen leben wir nicht nur während den vier Wochen im Advent, sondern immer, nämlich in der Hoffnung auf das Kommen des Herrn in unsere Gegenwart. Christen sind durch und durch adventliche Menschen, und die Kirche ist eine ganz und gar adventliche Hoffnungsgemeinschaft. Der Advent richtet unsere Aufmerksamkeit auf die Zukunft, allerdings nicht auf jene Zukunft, um die wir Menschen uns kümmern und die wir herbeiführen könnten, sondern auf jene Zu-Kunft, die von Gott her auf uns zu kommt. Es geht nicht einfach um unser menschliches Futurum, sondern um den Adventus Gottes, um sein Kommen in die Welt, indem er selbst Mensch wird. Im Mittelpunkt unserer Vorbereitungen auf Weihnachten sollten deshalb für uns Christen die Vorbereitungen Gottes stehen, mit denen er uns für sein Kommen öffnen will.

Traditionelle Bräuche können uns dabei helfen, dass wir nicht in weltlicher Weise gleichsam von Termin zu Termin hetzen, sondern uns Zeit nehmen und uns auf das konzentrieren, was das Wichtigste im christlichen Glauben ist. Der Adventskranz lädt uns ein, jeden Abend die Kerzen zu entzünden und im Betrachten der Kraft des Kerzenlichtes Gott zu danken, dass er sein Licht in die Dunkelkammer unseres Lebens, unserer Kirche und unserer Welt hinein erstrahlen lässt. Auch der Adventskalender, bei dem wir jeden Tag eine kleine Türe öffnen und ein Geheimnis des Advents betrachten, will uns helfen, jeden Tag im Advent immer intensiver die Türen unseres Herzens zu öffnen, damit der Herr auch bei uns ankommen kann. Je näher Weihnachten heranrückt und wir die Krippe zubereiten und unter den Baum stellen, wird uns bewusst, dass unser Herz selbst zu einer Krippe werden muss, in die hinein sich das Weihnachtskind legen kann. Nur wenn wir selbst werden, was die Krippe darstellt, kann wirklich Weihnachten werden.

kath.net: Was macht ein Kardinal in Rom zur Weihnachtszeit, wie verbringen Sie ganz persönlich diese Tage?

Kurt Koch: Im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes steht natürlich auch für einen Kardinal die Feier der Heiligen Liturgie. Ich feiere sie jedes Jahr in der Kirche des Campo Santo Teutonico im Vatikan. Denn in Rom leben nicht wenige deutschsprachige Katholiken, die an Weihnachten gerne eine Heilige Messe in deutscher Sprache mitfeiern. Und in der Heiligen Nacht gehe ich in die Basilika St. Peter, um mit dem Heiligen Vater die Mitternachtsmesse mitzufeiern. Das Weihnachtsfest führt uns in die Mitte des christlichen Glaubens ein, dass der im Himmel unendlich reiche Gott arm und selbst Geschöpf werden wollte, um uns seine Nähe erfahren zu lassen. An Weihnachten spricht die Stimme Gottes – im Kind in der Krippe – besonders leise, so dass ich Stunden der Stille und der Besinnung brauche, um diese Stimme wahrnehmen zu können.

An Weihnachten kommt in besonderer Weise an den Tag, an welchen Gott wir Christen glauben, nämlich an einen Gott, der sein ganz persönliches Gesicht in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt und sich als grenzenlose Liebe offenbart hat. Darin besteht das innerste Geheimnis des christlichen Glaubens, das der in diesem Jahr heiliggesprochene Kardinal John H. Newman mit den Worten ausgesprochen hat: „Ich würde die Menschwerdung Gottes als den Zentralaspekt des katholischen Christentums benennen.“ Am Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes als dem grössten Ereignis der menschlichen und menschheitlichen Geschichte, dass Gott Mensch und das Wort Fleisch geworden ist, muss sich unser christlicher Glaube immer wieder messen lassen. Weihnachten ist deshalb auch ein willkommener Anlass, dafür dankbar zu sein, als katholischer Christ leben zu dürfen.

kath.net: Die katholische Kirche hat 2019 eine sehr bewegte Zeit erlebt. Die Amazonas-Synode wurde gelobt und kritisiert. Medial wurde vor allem die gewünschte Abschaffung des Zölibats im Amazonas-Raum zum großen Thema, im deutschsprachigen Raum stehen schon Anschlussforderungen von Bischöfen, Theologen und Lobbygruppen im Raum, die ebenfalls den Zölibat abschaffen möchten. Wie schätzen Sie hier die Lage ein und ist jetzt das Ende des Zölibats gekommen?

Kurt Koch: Im Zentrum der Sondersynode für die panamazonische Region standen andere Fragen, nämlich die ökologische Sorge um die Schöpfung, die sozialen Probleme in diesem riesigen Gebiet und die Rechte der Indigenen und gewiss auch pastorale Herausforderungen. Dies zeigt sich bereits daran, dass im Schlussdokument der Synode von den 120 Abschnitten ein einziger vom Zölibat der Priester handelt und in diesem Zusammenhang den Vorschlag unterbreitet wird, Kriterien und Dispositionen zu erstellen, um geeignete und in der Gemeinschaft anerkannte verheiratete Männer, die einen fruchtbaren Diakonat gelebt und eine adäquate Bildung erfahren haben, zu Priestern zu weihen. Hinzu kommt, dass dieser Abschnitt im Schlussdokument bei der Abstimmung in der Synode am meisten Nein-Stimmen, nämlich 41, erhalten hat, so dass die Zweidrittel-Mehrheit nur knapp erreicht worden ist. Angesichts dieser Sachverhalte hat Papst Franziskus im Blick auf jene Medien, die sich auf die Frage des Zölibats fokussiert haben, von einer Desinformation gesprochen.

In der Synode hat es zwar viele Stimmen gegeben, die sich für die Möglichkeit von verheirateten Priestern vor allem in Panamazonien ausgesprochen haben; niemand hat sich jedoch für die Abschaffung des Zölibats überhaupt ausgesprochen. Ob beides zusammen geht oder ob die Ermöglichung von weiteren Ausnahmen langfristig nicht doch zur Infragestellung des Zölibates überhaupt führen wird, ist freilich eine offene Frage. Offen ist diese Frage auch deshalb, weil eine Synode auch diesbezüglich nichts entscheiden kann und nun alles davon abhängt, wie der Papst diese Frage entscheiden wird.

Dabei ist mitzubedenken, dass wir in unsere Kirche bereits heute verheiratete Priester kennen, nämlich in den Katholischen Ostkirchen. Bisher sind die Päpste aber überzeugt gewesen, dass die lateinische Kirche am Zölibatsversprechen der Priester festhalten will, und zwar aus guten Gründen. Wie das Konzil betont, ist das Zölibatsversprechen dem Leben und Wirken des Priesters angemessen und wesensgemäss, zumal es die Lebensform Jesu Christi gewesen ist, den der Priester vor allem in den Sakramenten repräsentiert. Von daher ist in meinen Augen keineswegs „das Ende des Zölibats“ gekommen.

kath.net: Papst Franziskus sorgt bei einigen Katholiken durchaus manchmal für Streit und Diskussionen. Immer wieder stellt sich die Frage: Wie papsttreu sollten Katholiken sein? Und was raten Sie Katholiken, die sich mit Papst Franziskus manchmal etwas schwer tun?

Kardinal Koch: An erster Stelle rate ich, sich jeweils genau zu erkundigen, was Papst Franziskus wirklich gesagt hat. Denn verschiedene Medien pflegen nur das weiterzugeben, was ihrer Linie entspricht, so dass es nicht selten zu Verzerrungen dessen kommt, was der Papst sagen wollte. Von daher legt es sich nahe, auf der Homepage des Vatikan die Originaltexte des Papstes zu konsultieren, bevor man dazu Stellung bezieht. Zweitens ist ein katholischer Christ verpflichtet, mit einem positiven Vorurteil auf das zu hören, was der Papst sagt. Wir stehen immer in der Gefahr, mit Vorurteilen auf Menschen zuzugehen. Wir sollten es jedoch nicht mit einem negativen, sondern mit einem positiven Vorurteil tun, zumal gegenüber dem Papst.

Weiter ist zu bedenken, dass die Aussagen des Papstes in autoritativer Hinsicht ein verschiedenes Gewicht haben. Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem, was der Papst in einem Interview im Flugzeug äussert, und dem, was er lehramtlich verkündet. Sehr schwierig würde es freilich dort, wo jemand zur Überzeugung käme, dass das, was der Papst lehrt, nicht dem Glauben der Kirche entspricht. Denn auch das Lehramt des Papstes – und dem entsprechend auch die Treue zum Papst - ist kein rein formales Prinzip, sondern ist vor allem der Ausdruck einer inhaltlichen Bindung: Auch der Papst hat keine Macht gegen das Apostolische Credo, sondern er hat alle Macht, die er hat, nur vom Credo her. Auch das Lehramt des Papstes steht unter dem Wort Gottes und seiner verbindlichen Auslegung in der Tradition. Sollte jemand in seinem Gewissen wahrnehmen, dass es sich nicht so verhält, wäre er verpflichtet, dies der Glaubensgemeinschaft mitzuteilen.

Schliesslich legt es sich nahe, zwischen der Person des Papstes und seinem Amt zwar nicht zu scheiden, aber zu unterscheiden. In jedem Pontifikat zeigt sich die besondere Persönlichkeit des jeweiligen Papstes. Dabei versteht es sich leicht, dass man zu den Persönlichkeiten einen verschiedenen Zugang haben kann. Wir hatten bisher stets Päpste, die aus Europa gekommen sind. Nun haben wir einen lateinamerikanischen Papst und sind gut beraten, verschiedene seiner Verhaltensweisen auch in diesem Licht zu betrachten. Selbst wenn man mit der Persönlichkeit des jetzigen Papstes Schwierigkeiten hat, sollte man darauf Acht geben, dass dieser Eindruck nicht auch auf die Bedeutung des Amtes überhaupt abfärbt. Denn dieses Amt ist auch stets umfassender, als der jeweilige Inhaber es auszufüllen vermag, wiewohl man beides nicht voneinander trennen kann. Als katholischer Christ bin ich überzeugt, dass das Amt des Nachfolgers des Petrus ein grossartiges Geschenk des Herrn an seine Kirche ist, zu dem wir alle Sorge tragen müssen.

kath.net: Sie werden Anfang Januar erstmals bei der Ökumenischen MEHR-Konferenz teilnehmen. Wie sind hier Ihre Erwartungen? Wie wichtig soll Ökumene für Katholiken überhaupt sein?

Kurt Koch: An der MEHR-Konferenz nehmen viele junge Christen aus verschiedenen Kirchen und christlichen Gemeinschaften teil, die sich vor allem dem Gebet und der Anbetung Gottes widmen. Aus diesen Gründen hat mich der Leiter des Gebetshauses in Augsburg, Dr. Johannes Hartl, eingeladen, diese Konferenz am Fest der Epiphanie mit der Feier der Heiligen Messe zu beschliessen. Ich habe diese Einladung gerne angenommen, da ich dankbar bin, dass sich junge Menschen dem Anliegen der Einheit der Christen verpflichtet fühlen und vor allem die spirituelle Ökumene pflegen, die das Zweite Vatikanische Konzil als „Seele der ganzen Ökumenischen Bewegung“ bezeichnet. Denn diese Bewegung ist seit ihren Anfängen vor allem eine Gebetsbewegung gewesen, wie dies Papst Benedikt XVI. einmal mit dem schönen Bild zum Ausdruck gebracht hat: „Das Schiff des Ökumenismus wäre niemals aus dem Hafen ausgelaufen, wenn es nicht von dieser umfassenden Gebetsströmung in Bewegung gesetzt und vom Wehen des Heiligen Geistes angetrieben worden wäre.“

Mit dem Gebet bringen wir unsere Glaubensüberzeugung zum Ausdruck, dass wir Menschen die Einheit nicht machen und auch nicht über ihre Gestalt und ihren Zeitpunkt befinden können. Wir Menschen können Spaltungen produzieren; dies zeigen die Geschichte und – leider - auch die Gegenwart. Die Einheit hingegen können wir nur empfangen, und zwar vom Heiligen Geist, der die göttliche Quelle der Einheit ist. Das Gebet um die Einheit ist deshalb die basalste Form der Ökumene. Überall, wo sie gelebt wird, bin ich gerne bereit, sie zu unterstützen und zu ermutigen. Von der Ökumenischen Bewegung hat der heilige Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Ut unum sint“ betont, sie sei „nicht bloss irgendein “, das der traditionellen Tätigkeit der Kirche angehängt wäre, sie gehöre im Gegenteil „organisch zu ihrem Leben und Wirken“. Denn sie hat ihren tiefsten Grund bei Jesus selbst, in seinem hohepriesterlichen Gebet im Abendmahlsaal, wo er gebet hat, dass seine Jünger eins sein sollen, damit die Welt glauben kann, dass er der Gesandte Gottes ist. Wenn Jesus um die Einheit seiner Jünger gebetet hat, muss es auch unser Herzensanliegen sein, in dieses Gebet Jesu einzustimmen.

kath.net: Herzlichen Dank für das Gespräch

Archivfoto Kurienkardinal Kurt Koch



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