„Meine Kathedrale, das seid ihr!“

27. November 2019 in Spirituelles


Pariser Erzbischof Aupetit: Wenn ihm jemand vor einem Jahr gesagt hätte, ‚dass in sechs Monaten Ihre Kathedrale, Ihre schöne Kathedrale, Notre Dame von Paris, durch ein Feuer zerstört werden wird....‘ Gastbeitrag von Juliana Bauer


Paris (kath.net) „Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, ‚Monseigneur, Sie wissen nicht, dass in sechs Monaten Ihre Kathedrale, Ihre schöne Kathedrale, Notre Dame von Paris, durch ein Feuer zerstört werden wird‘, hätte ich ihm das nicht geglaubt. Ich hätte mich gefragt, ob dieser Mann komplett verrückt sei und sicherlich auch böswillig. Die Kathedrale, die … über viele Jahrhunderte … so viel überstanden hat …, eingeschlossen der französischen Revolution …“ Mit diesen Worten, wohl für alle Zuhörer überraschend, für manche wohl auch schockierend, begann der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, seine Predigt am Sonntag, den 17.11.2019 in Saint-Germain l’Auxerrois, Paris. Dies war die Einleitung zu seinen Gedanken über das Tagesevangelium am vorletzten Sonntag vor dem Ersten Advent, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels thematisierte (Lk 21, 5-19), Gedanken, in denen er auch immer wieder „seine“ Kathedrale lebendig werden ließ. Waren die Worte jenes Mannes eine Art Weissagung? Ich kann es kaum glauben. Was waren sie dann? Was bedeuteten sie? Wer war dieser Mensch? Mgr Aupetit ging nicht weiter darauf ein, er ging zum Evangelium über:

„Stellt euch vor! Es ist das, was Jesus zu seinen Jüngern sagt: ‚Schaut diesen Tempel, den ihr bewundert‘ – wie wir Notre Dame bewundern, Frucht des menschlichen Genies – ‚er wird zerstört werden…‘

Der Tempel von Jerusalem! Herrlich, wunderbar! Was bedeutete er für die Juden? Er war der Ort, wo Gott gegenwärtig war. Alle jüdischen Stämme gingen zum Tempel, wie oft gingen die Juden hin, um zu beten … Nun behauptete einer, dass dieser Tempel zerstört würde, dass kein Stein auf dem anderen bliebe… Welch ein Schock für die Menschen, welch ein Schock!“

Michel Aupetit geht weiter auf die Erwählung des Tempels durch Gott ein, den Ort, wo Gott seine Wohnstatt wählte, wo Salomon bereits den Ersten Tempel erbauen ließ. Der Tempel, der das Zeichen für die Gegenwart Gottes war.

„‘Es werden Tage kommen, da wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Alles wird zerstört werden‘, sagt Jesus zu seinen Jüngern (Lk 21,6). Stellt euch den Schock der Jünger vor! Und doch geschah dies 40 Jahre nach Jesu Rede. Titus nahm mit seinen römischen Armeen Jerusalem ein und zerstörte den Tempel völlig … Den Tempel von Jerusalem, der der Stolz des jüdischen Volkes war, denn er war, wie Notre Dame, die Frucht des menschlichen Geistes, die Frucht des menschlichen Wissens und Könnens, mit dem Gott verehrt werden sollte… Der Tempel, der Ort der Präsenz Gottes, an dem er angebetet wurde. Seine Zerstörung konnte bedeuten, dass Gott sein Volk verlassen hat… Wir sehen (heute) den zerstörten Tempel, wir sehen die antike Mauer, die Klagemauer…“

An dieser Stelle zitiert der Erzbischof Jesu Worte, die der Evangelist Johannes überliefert: „Reißt den Tempel Gottes nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufbauen“ (Joh.2, 19) - der Text, der vom Tempel des Leibes spricht -, um von diesen Worten Jesu aus zu Notre Dame zurückzukehren.

„Für uns ist auch Notre Dame das Zeichen für die Gegenwart Gottes, der Ort, wo die Christen zusammenkommen, wo sie die Präsenz des Herrn erfahren, wo er sich uns in jeder Eucharistie verbindet. Sie ist der Ort, wo die ganze Welt bewundert, wie das Talent des Menschen über sich hinauswachsen kann, um ein wundervolles Werk zu schaffen für kein größeres Geheimnis, als für ihn“ – für Gott.

Dann nennt der Erzbischof Kunstschätze und eine bedeutende Reliquie der Kathedrale, die gerettet werden konnten, so z.B. Werke der Goldschmiedekunst, „Herrliches aus Gold und Silber, das dem Können unserer größten Künstler geschuldet ist“ und die Dornenkrone Jesu, „unseres Herrn, die der heilige König Ludwig aus dem Orient mitbrachte.“

Doch den „größten, den bedeutungsvollsten Schatz der Kathedrale“ bekennt er, sei „das Heilige Sakrament … die Gegenwart Gottes.“ Die Gegenwart Gottes in der Eucharistie, in den Hostien, die in jeder Hl. Messe aufbewahrt würden für die Kranken und die Sterbenden. Und er erinnert nochmals an den Priester, der unter Lebensgefahr das eucharistische Brot aus der brennenden Kathedrale holte: „Der Kaplan der Feuerwehrleute wusste, dass dieses Stück Brot viel mehr ist als ein Häuflein Mehl. Für einen Teil der Leute ist es natürlich lächerlich, sein Leben für ein ‚Häufchen Mehl‘ zu wagen. Er hat aber den Leib Jesu gerettet… …das ist unser kostbarster Schatz, denn er ist es, nur er, der das Leben gibt, das Leben aus Gott, das ewige Leben. Gottes Präsenz in der Kathedrale, die der Feuerwehrmann unter Einsatz seines Lebens rettete, zeigt uns das Wertvolle, das wir in der Kommunion empfangen.“

Hier wagt Michel Aupetit eine Frage, eine Frage, die er der ganzen Gemeinde stellt: „Würdet auch ihr das tun, das Sakrament zu retten? Den Leib Jesu, ihn, der für euch am Kreuz sein Leben gab? … … Fragt euch einmal selbst…“

„Das lässt uns begreifen,“, knüpft der Erzbischof an seine vorhergehenden Gedanken an, „dass der Tempel Gottes kein Gebäude aus Stein ist. Der Tempel Gottes – das sind wir, die den Leib des Herrn empfangen, den, der in uns wohnt. Seine Gegenwart ist in uns. Dazu genügt es, dass wir den Herrn lieben: „‘Wenn jemand mich liebt, … werden mein Vater und ich zu ihm kommen und wir werden bei ihm wohnen‘ (aus Joh.14,23).

Meine Kathedrale, das seid ihr!

Der Tempel Gottes, das seid ihr! Und diese Präsenz Gottes müsst ihr zum Ausdruck bringen, wo immer ihr seid. Überall… Nicht nur hier…Überall, wo ihr seid. Überall… Auch, wenn ihr am Strand liegt und euch bräunt!

Der Tempel Gottes, das sind wir. Wie es der heilige Paulus sagt: ‚Ihr seid der Tempel, der Tempel des Heiligen Geistes (‚Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Hl. Geistes ist, der in euch wohnt…‘, 1 Kor.6,19). Der Herr ist in uns: in der Eucharistie… gibt er sich uns.

Dieser Tempel ist unzerstörbar. Sicher, der Tod zerstört unseren Leib, aber nichts kann unsere Seele zerstören, wenn sie mit Gott verbunden ist. Das meint Jesus, wenn er uns sagt: ‚Fürchtet nicht die, die euren Leib töten, fürchtet vielmehr diejenigen, die eure Seele töten‘ (Mt 10,28). Niemand kann unsere Seele töten, niemand!“

In diesem Zusammenhang geht Erzbischof Aupetit noch auf zwei aktuelle Realitäten ein. Er nennt die vielen Christenverfolgungen, den Glauben der verfolgten Christen. Die Christen, die standfest die Gegenwart Gottes, die Gegenwart Christi bezeugen, die ihr Leben für Christus geben und sich vom Glauben an ihn durch nichts abbringen lassen.

Die andere Realität stellt sich für ihn in der Verantwortung der Christen für die Schöpfung dar, in der Verantwortung für das, was uns Gott anvertraute. Gleichzeitig appelliert er an die Gläubigen, bei ihrem ökologischen Einsatz zum Einen nicht zu vergessen, dass nur das Vertrauen in Gott, den Schöpfer, unseren Planeten retten wird, andererseits aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass der Schöpfer auch Neues entstehen lassen kann, vergleichbar der Neu-Schaffung des Tempels, seiner Wohnstatt, in uns.

Die vielen Kommentare unter dem Video von KTO lassen die große Begeisterung der Online-Messbesucher für die Predigt des Pariser Erzbischofs erkennen, der Online-bzw. KTO-Besucher, die gleich den Messbesuchern in Saint-Germain l’Auxerrois, sehr zahlreich sind, wie Michel Aupetit zu Beginn der Gottesdienste schon manches Mal freudig erwähnte. So kann diese Predigt auch als Liebeserklärung an „seine“ lebendige „Kathedrale“ verstanden werden.

Siehe auch:
- „Ich stehe völlig allein in der brennenden Kathedrale Notre Dame“- Feuerwehrkaplan Fournier schildert dramatische Rettung der Dornenkronen-Reliquie aus dem Feuerinferno – Als er das Allerheiligste rettet, segnet er die brennende Kathedrale, während Feuerkaskaden herunterfallen

- Weitere kath.net-Artikel zu Notre Dame/Paris

Auszüge aus der schriftlichen Fassung der Predigt: Homélies - Diocèse de Paris, paris.catholique.fr sowie der gesprochenen Predigt: KTOTV (Télévision Catholique), Messe du 17 novembre 2019 – Übersetzung: Dr. Juliana Bauer


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