„Lasst Euch nicht verwirren!“

1. November 2019 in Weltkirche


Regensburger Bischof Voderholzer äußert sich in Wolfgangspredigt 2019 zu Pachamama und Ökumene, zum Fällen der Donar-Eiche durch den hl. Bonifatius, zu Frage des Zölibats und der Priesterweihe von Frauen


Regensburg (kath.net/pbr) Der 31. Oktober ist der Gedenktag des Heiligen Wolfgangs (924-994). Er ist der Patron des Bistums Regensburg. Am Abend feierte die Diözese zusammen mit Bischof Rudolf Voderholzer ein Pontifikalamt zu Ehren des Heiligen in der Basilika Sankt Emmeram. Die Krypta der Kirche bewahrt den Schrein mit den Reliquien des Heiligen.
Es ist schon Tradition, dass Bischof Rudolf Voderholzer am Wolfgangstag eine orientierende und nach vorne weisende Predigt hält, in der er besonders auf Fragen eingeht, die in der Kirche aktuell die Runde machen.
Die diesjährige Predigt zur Wolfgangsmesse sei im Folgenden dokumentiert. Die Zwischenüberschriften fügte die Redaktion ein, um die Orientierung im Text zu erleichtern.

kath.net dokumentiert die Predigt in voller Länge:

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Das Wirken des heiligen Wolfgang und des heiligen Emmeram führt uns geschichtlich in die Zeit der Anfänge des Christentums in unserer Heimat, in die Zeit der Erst-Evangelisierung, die immer auch vorbildlich bleiben wird für die stets notwendige Neu-Evangelisierung.

Die Amazonas-Synode, die vor einigen Tagen in Rom zu Ende ging, befasste sich mit der Situation einer Kirche, die in vergleichbarer Weise am Anfang steht wie die Kirche in unseren Breitengraden nach der Völkerwanderungszeit.

Die Frohe Botschaft und der Amazonas

Unter theologischer Rücksicht erregten im Blick auf die Amazonas-Synode vor allem zwei Themen Aufmerksamkeit: Die Frage der Inkulturation, also die Art und Weise der Übernahme von vorchristlichen Formen der Frömmigkeit, konkret in unserem Fall der Verehrung naturaler Fruchtbarkeit in Form der personifizierten Mutter Erde, der „Pacha-Mama“; und dann die – vor allem von europäischen Beobachtern noch einmal forcierte – Frage der Zulassung bewährter verheirateter Männer zum priesterlichen Dienst. Bei näherer Betrachtung laufen beide Themen auf dieselbe Frage zu: Bringt die christliche Botschaft etwas Neues oder bestätigt und heiligt sie nur das schon überliefert Vorhandene? Und wenn die christliche Botschaft etwas Neues beinhaltet, worin besteht es?

Was ist das Neue an der christlichen Botschaft?

Auf diese Frage hat schon im 2. Jahrhundert Irenäus von Lyon eine wunderbare Antwort gegeben indem er sagte: „Alle Neuheit hat Christus gebracht, indem er sich selbst brachte.“ Jesus Christus ist in seiner Person die Neuheit, und er ist in seiner Person auch die nie versiegende Quelle der stetigen Erneuerung der Kirche und jedes einzelnen. Denn als der auferstandene und einst wiederkommende Gottessohn ist er in der Kraft des Heiligen Geistes jeder Phase der Geschichte gleichzeitig und sogar voraus.

In seiner Neuheit kommt er den Fragen, der oft unausdrücklichen Sehnsucht aller Menschen und ihrer „natürlichen“ Religiosität entgegen, reinigt sie zugleich, erhöht sie und gibt ihnen die unüberbietbar göttliche Antwort. In Christus sind alle Religionen „aufgehoben“, „aufgehoben“ in einem dreifachen Sinn: Außer Kraft gesetzt, erhöht und bewahrt.

Anknüpfung und Bruch zugleich

Deswegen geschieht Inkulturation immer in Anknüpfung und Bruch zugleich. Origenes, ebenfalls ein Theologe der frühen Kirchengeschichte, verwies in seiner Auslegung des Auszugs Israels aus Ägypten zum Beispiel darauf, dass die Israeliten die goldenen Gefäße und Statuen ihres bisherigen Gastlandes mit ihrem Pharaonenkult und der Jenseitsfixierung zwar mitnahmen, dass sie sie aber nicht als solche verwendeten, sondern einschmolzen und umformten zu den heiligen Geräten zur Verehrung und Anbetung des Gottes Israels. Er ist der Gott des Bundes mit den Menschen und gibt ihnen in den Zehn Geboten Orientierung für ein Gott gefälliges Leben.

Der Heilige Bonifatius und die Eichen

Der heilige Bonifatius, der zwischen unseren heiligen Bistumspatronen Emmeram, Erhard und Wolfgang gewirkt und unserem Land zum Evangelium auch noch viele Bistumsgründungen geschenkt hat, Bonifatius, der Apostel Deutschlands, hat auch nicht etwa den Kult der Germanen eins zu eins übernommen. Bonifatius hat die Donar-Eiche, den Kultbaum der germanischen Götterwelt, nicht umtanzt und nicht umarmt, sondern er hat sie gefällt und aus ihrem Holz ein Kreuz gezimmert und eine Petruskapelle gebaut. Ein wunderbares Bild für die Einpflanzung der Neuheit des Evangeliums in Kontinuität und Diskontinuität mit dem Bisherigen!

Die trügerische Hoffnung auf eine Gottheit, die nur vor Blitz, Donner und der Bedrohung durch Riesen schützt, wurde so ersetzt durch den Gott der Liebe, der vor dem Tod der Seele bewahrt und wirklich den Himmel aufreißt. Ohne einen gewissen Bruch mit dem Vergangenen ist die Neuheit Christi nicht zu gewinnen.

Pacha-Mama und die Ökumene

Darauf verweist uns nicht zuletzt die Lehre der Reformatoren, denen die katholische Inkulturationsbereitschaft immer schon zu weit ging. Ohne die Thesen Martin Luthers – noch dazu in ihrer dialektischen Zuspitzung – in Gänze zu übernehmen, sollte doch die Ökumene-Sensibilität davor bewahren, heidnische Skulpturen ohne geistig-geistliche „Umschmelzung“, ohne „Durchkreuzung“, wenn Sie so wollen, in den Raum der Kirche zu tragen.

Es war jedenfalls nicht ersichtlich, dass die entsprechenden Figuren die Verwandlung und Reinigung von einer naturalen Frömmigkeit hin zur heilsgeschichtlich ausgerichteten Marienfrömmigkeit durchlaufen hatten – entsprechend den Bemühungen früherer katholischer Missionare.

Dazu aber mahnt uns, wie ich finde, der heute wie immer zeitgleich mit dem Wolfgangsfest von den lutherischen Schwestern und Brüder im Glauben begangene Reformationstag. Andernfalls liefert man den biblizistisch ausgerichteten und oft extrem reformatorisch-dialektisch argumentierenden evangelikalen und pentekostalen und in ganz Lateinamerika sehr aktiven und erfolgreichen Missionaren noch Argumente gegen die katholische Kirche.

Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen

Und was die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen all derjenigen angeht, die in die besondere Nachfolge Jesu gerufen wurden: Diese Lebensform, die die Lebensform Jesu und der Apostel war, sie war zu allen Zeiten und an allen Orten eine Provokation und eine Zu-mutung! Zuallererst schon in Palästina zur Zeit Jesu selbst. Jesus selbst wurde als „Eunuch“ beschimpft und verspottet (vgl. Mt 19).

Und doch ist gerade diese Lebensform Ausdruck der Neuheit Christi, lebendiges Glaubenszeugnis für den Anbruch des Gottesreiches, Ausdruck des Vertrauens auf die Kraft geistlicher Fruchtbarkeit, Zeichen der Hoffnung auf eine größere, alles Innerweltliche übersteigende Erfüllung. Der heilige Wolfgang hat genau vor diesem Hintergrund die Disziplin der Klöster zu erneuern begonnen und mit der Einführung der vom Kloster Gorze ausgehenden Reform auf diesen Aspekt der Neuheit Christi gepocht, einer Neuheit, die sich im Leben der Kirche Ausdruck verschafft.

Räumlich entlegene Zweitrangigkeit?

Nun raten offenbar die Teilnehmer der Synode, die übrigens in der katholischen Kirche – im Unterschied zu den Synoden der evangelischen Kirche – ein Beratungs- und kein Beschluss-Organ ist, dem Papst, über eine Entkoppelung von Priesteramt und Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen in einigen wenigen Ausnahmefällen in räumlich entlegenen Regionen der Weltkirche zur Ermöglichung einer häufigeren Eucharistiefeier nachzudenken. Dies ist freilich nicht besonders originell oder gar neu, und in seiner Zielsetzung durchschaubar. Denn es gibt in der weltumspannenden einen und deshalb katholischen Kirche keine kirchlich zweitrangigen Regionen. Und in einer so bedeutenden Frage kann und wird es auch keine nur regionalen Lösungen geben.

„Lasst Euch nicht verwirren!“

Allen jungen Männern, die den Ruf Jesu in die besondere Nachfolge hören und jetzt verständlicher Weise verunsichert sind, rufe ich zu: Lasst Euch nicht verwirren! Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils steht und ist gültig: Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist als die Lebensform Jesu und der Apostel dem Priesteramt in vielfacher Hinsicht angemessen. Sie ist auch ein Kriterium auch der Ernsthaftigkeit der Nachfolgebereitschaft und – gelebt in brüderlicher Kollegialität in der Gemeinschaft des Presbyteriums – eine vielfach bewährte Quelle geistlicher Fruchtbarkeit.

Ich bin der festen Überzeugung: Wo die Sehnsucht nach der Eucharistie, Hunger der nach der „geistlichen Speise“, nach dem „Brot vom Himmel“ wirklich groß ist, dort wird auch die Bereitschaft wachsen, dem Ruf in die Ganzhingabe im Priesteramt zu folgen – sei es in Amazonien, sei es in Mitteleuropa.

Mann und Frau in gleicher Würde

Zur Neuheit des Christlichen gehört auch eine vertiefte Sicht der Einheit und Unterschiedenheit von Mann und Frau bei gleicher Würde und unterschiedlicher Sendung und Berufung.

So war es doch einigermaßen verwunderlich, in diesem Zusammenhang von einer namhaften kirchlichen Stimme in der Bild-Zeitung zu hören, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau einzig und allein in einem Y-Chromosom bestehe:

Wörtlich war zu lesen, ich zitiere: „Kann man zum Beispiel an einem Y-Chromosom den Zugang zum Priesteramt festmachen, indem man das mit dem Willen Jesu begründet?“ Und: „Die allermeisten Menschen verstehen das nicht mehr und glauben es auch nicht. Ich bin ebenfalls mehr als nachdenklich.“ So das Zitat.

Verlockende Enge statt christlicher Weite

Anstatt, wie es Aufgabe und Verpflichtung eines Bischofs wäre, geleitet vom „sensus ecclesiae“, also in kirchlichem Geist, die verbindliche Lehre der katholischen Kirche zu vertreten, sie zu erschließen und vor dem Hintergrund einer philosophisch-theologischen Anthropologie nachvollziehbar zu machen, wird der Blick verengt auf die Genetik und unterstellt eine Quasi-Gleichheit der Geschlechter.

Immerhin, so ist zu entgegnen, lässt Gott, der Schöpfer, der den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, aus dem „kleinen Unterschied“ im genetischen Ursprung die unser Menschsein zutiefst bestimmende und prägende Geschlechterdifferenz entstehen. Und er hat auf der gegenseitigen Anziehung von Mann und Frau die Weitergabe des Lebens und damit nichts weniger als die Zukunft der Geschichte begründet. Und schließlich hat Jesus Christus die Ehe von Mann und Frau zur Würde eines Sakramentes erhoben. Auch dies ist ein Ausdruck der christlichen Neuheit! Ein Aspekt der Neuheit freilich, der, wie wir alle wissen, vielfach angegriffen, unterhöhlt und infrage gestellt und entweder ins Althergebrachte oder aber Beliebige aufgelöst wird.

Wenig Sinn, dabei mitzumachen

Sollte mit dem genannten biologistischen Argument das Argumentations-Niveau des bevorstehenden Synodalen Weges vorgezeichnet sein, dann sehe ich ehrlich gesagt wenig Sinn darin, dabei mitzumachen.

Papst Franziskus hat in seinem Schreiben an das Pilgernde Gottesvolk in Deutschland vom 29. Juni uns in geistlicher Leidenschaft den Primat der Neu-Evangelisierung ans Herz gelegt.

Er rät uns allen dringend, ich zitiere: „eine Haltung einzunehmen, die darauf abzielt, das Evangelium zu leben und transparent zu machen, indem sie mit ‚dem grauen Pragmatismus des täglichen Lebens der Kirche bricht, in dem anscheinend alles normal abläuft, aber in Wirklichkeit der Glaube nachlässt und ins Schäbige absinkt.“ Und der Papst weiter: „Pastorale Bekehrung ruft uns in Erinnerung, dass die Evangelisierung unser Leitkriterium schlechthin sein muss, unter dem wir alle Schritte erkennen können, die wir als kirchliche Gemeinschaft gerufen sind in Gang zu setzen; Evangelisieren bildet die eigentliche und wesentliche Sendung der Kirche.“

Das ist das Programm!

Das war das Programm der Apostel, das war das Programm des heiligen Bonifatius, des heiligen Wolfgang und all der vielen Glaubenszeuginnen und –zeugen bis herauf in unsere Tage. Und es ist auch das einzig sinnvolle und zielführende Programm für die Gegenwart und die Zukunft der Kirche.

Heiliger Wolfgang, bitte für uns!

Archivfoto Bischof Voderholzer


Archivfoto Bischof Voderholzer (c) Bistum Regensburg


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