Klaus-von-der-Flüe-Gebet "damals wie heute von höchster Aktualität"

25. September 2019 in Spirituelles


Woelki in DBK-Morgenmesse zu Gedenktag des Schweizer Heiligen: Eigennutz wird in der Sicht von Bruder Klaus "zur zerstörerischen Krankheit des Menschen, schwächt ihn bis zur Unfähigkeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen."


Fulda (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln) in der Eucharistiefeier zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 25. September 2019 in Fulda am Gedenktag Nikolaus von Flüe in voller Länge:

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
„geht zu den Heiligen, denn die mit ihnen gehen, werden geheiligt werden“. Dieses Wort stammt aus dem Clemensbrief. Einer der ersten Bischöfe schrieb ihn an die Gemeinde von Rom. Eine Empfehlung, die es uns schwer macht, sich mit gewissen Heiligen auf den Weg zu machen. Denn wer will sich schon mit Nikolaus von Flüe auf den Weg machen, der als angesehener Ratsherr und Richter nach langen Familienjahren seine Frau Dorothea, seine zehn Kinder und den Bergbauernhof in Flüeli verließ, um als Pilger und später als Einsiedler im sog. Ranft Gott allein zu dienen.

Bruder Klaus gilt als der letzte große Mystiker des Mittelalters. Bestürzende Visionen, Teufelskämpfe und ein bewegendes Gebetsleben bewirkten in diesem erdverbundenen Bauern eine tiefgreifende Veränderung. Sein Glaube und sein religiöses Wachsein zeigten sich nicht in äußerer Betriebsamkeit, sondern genau umgekehrt in seiner Innerlichkeit. Viele Menschen suchten ihn in seiner Einsiedelei auf. Und das trotz äußerst beschwerlicher Wege. Mit scharfem Blick und prophetischem Geist erkannte er oftmals im Voraus schon, ob die Menschen aus Neugierde oder mit einem Anliegen kamen. Nie gab er generelle Antworten, sondern befasste sich mit der besonderen Not und Gewissensnot der Menschen. Walter Nigg, der Schweizer Hagiograph, hat später einmal festgestellt, dass die Schweiz wohl nie einen größeren Seelsorger hervorgebracht hat als eben diesen Bruder Klaus.

Vor allem aber gilt Bruder Klaus als der große Friedensstifter und Friedenssucher. Nachdem die Eidgenossen Karl den Kühnen in einem Krieg geschlagen hatten, drohten sie sich in einem anschließenden Bürgerkrieg selbst zu zerfleischen. Bruder Klausens Rat rettete damals die sogenannte Stanzer Tagsatzung von 1481 und den Eidgenossen den Frieden.

Aber nicht nur um den politischen Frieden war Bruder Klaus besorgt, sondern vor allem auch um den persönlichen Frieden jedes Einzelnen. Wer die Wahrheit sucht, ist auf dem Weg zum Frieden. Das war seine tiefste Überzeugung. Dahinter verbirgt sich die Erfahrung, dass Friede nicht einfach von außen wird, dass unser Tun nicht genügt. Die Erfahrung, die er als junger Richter machte, verhalf ihm zu dieser Einsicht. So kämpfte er zum Beispiel für das Recht einer unschuldig Angeklagten. Seine Amtskollegen ließen sich bestechen. Er konnte das ungerechte Urteil nicht verhindern. Aus den Mündern seiner Kollegen sah er Flammen sprühen. Er sah der Falschheit in den offenen Rachen und konnte ihr nicht wehren. Dieses Erlebnis bewegte ihn, auf andere Weise gegen Unrecht anzugehen. Er legte das Richteramt nieder. Ohne Vorrangstellung, ohne äußere Macht und Sicherheit stellte er sich auf neuer Ebene in den Dienst des Friedens und der Gerechtigkeit. In der Nachfolge des gewaltlosen Jesus trug er von innen her den Frieden durch den Unfrieden hindurch. Immer tiefer erkannte er, dass wirklicher Friede nur von Gott kommt und dass nur, wer diesen Frieden in sich trägt, Frieden stiften kann. Nichts ist stärker als Gott. Wer in der Einheit mit Gott lebt, ist stärker als Unfriede. Friede aus Gott ist unzerstörbar, wie Gott selbst unzerstörbar ist. Dieser Friede war deshalb sein Ziel. Dieser Friede blieb seine Aufgabe.

Es genügt ja nicht, Friede einmal erreicht zu haben. Friede in Gott, Friede aus Gott, will unablässig gesucht und geübt werden. Daraus erwächst für Bruder Klaus jene geheimnisvolle Kraft, die jede Spannung aushält. Darum schreibt er an den Rat von Bern: „Friede ist allweg in Gott, denn Gott ist der Friede, und der Friede mag nicht zerstört werden …“. Es ist der Friede, der in Christus sichtbar geworden ist und den Christus seinen Jüngern weitergeben wollte: „Meinen Frieden gebe ich euch, nicht, wie die Welt ihn gibt“ (Joh 14,27). Was nicht wiedergeboren wird aus Gottes Geist, bleibt ungeeint. Was getrennt ist von Gott, ist in sich selber uneins und muss darum auseinanderfallen. Im Matthäusevangelium mahnt der Herr deshalb: „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden und eine Stadt und eine Familie, die in sich gespalten ist, wird keinen Bestand haben“ (Mt 12,25).

Die gewaltige Vision vom Zusammensturz einer im Eigennutz festgefahrenen Welt schließt diese Perspektive auf. Der Eigennutz wird zur zerstörerischen Krankheit des Menschen, schwächt ihn bis zur Unfähigkeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Das eigenmächtige Treiben stürzt ihn in tödlichen Abgrund. Bruder Klaus benennt es in dem eben schon angesprochenen Brief an den Rat von Bern mit einfachen, unmissverständlichen Worten: „Unfriede aber zerstört“. Unfriede und Unrecht tragen den Keim der Zerstörung in sich. Darum gilt es für Christen, immer den Kampf für den Frieden zu kämpfen, für Recht einzustehen und dem Unrecht zu wehren.

Für Bruder Klaus beginnt dieser Kampf im eigenen Herzen, dort, wo Eigennutz und Machtgier ihre Wurzeln haben. Um Körper und Geist zu läutern und für den vollen Friedenseinsatz verfügbar zu machen, übt Nikolaus hartes Fasten, körperliche Zucht, bewusstes Wachen und Beten. Sein Sohn Hans berichtet im Kirchenbuch von Sachseln davon: „So lang er gedenke, habe sein Vater immer … nach Frieden getrachtet … und die Gerechtigkeit liebgehabt, auch alle Wochen vier Tage, nämlich Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag gefastet und die ganze Fasten aus alle Tage nicht mehr als einmal ein kleines Stücklein Brot oder ein wenig dürrer Birnen gegessen und sonst keine warme, noch andere Speise gebraucht. Am Abend sei er stets mit seinem Hausvolk zur Ruhe gegangen, aber jede Nacht, wenn immer er erwachte, so hörte er, dass sein Vater wieder aufgestanden war und in der Stube bei dem Ofen betete, bis dass er in den Ranft ging. Er habe auch stets alle zeitliche Gewalt und Ehre verschmäht …“.

Bruder Klaus, liebe Schwestern und Brüder, kämpfte auf einer Ebene, auf der er keine Verteidigung nötig hatte. Er legte das letzte Schutzzeichen ab, indem er seine Kleider mit dem Büßerrock und dem Rosenkranz vertauschte. Sie waren nicht gelegentliche Ausrüstung, sondern blieben sein ständiges Gewand. Bruder Klaus zog sich von allem Äußeren zurück. Er stieg in die eigene Tiefe hinunter, um ganz von innen her gewandelt zu werden. Er öffnete sich dem Göttlichen, ließ alles los, was ihn von der Quelle des Friedens hätte ablenken können. Seinen Weg zu dieser Quelle des Friedens finden wir zusammengefasst in seinem Gebet, das damals wie heute von höchster Aktualität ist:

Mein Herr und mein Gott
nimm alles von mir
was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott
gib alles mir
was mich führt zu dir.
Mein Herr und mein Gott
nimm mich mir und gib
mich ganz zu eigen dir. Amen.


Archivfoto Kardinal Woelki (c) Markus Gehling/kath.net


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