Papst warnt Europa vor Souveränismus "der zum Krieg führt"

10. August 2019 in Weltkirche


"Europa kann und darf sich nicht auflösen", betont Franziskus in neuem Interview mit "La Stampa" - Lob für Wahl von der Leyens - Bei Umgang mit Bootsflüchtlingen darf Recht auf Leben als oberster Wert "niemals vernachlässigt" werden.


Vatikanstadt (kath.net/ KAP)
Papst Franziskus hat eindringlich vor einer Auflösung des vereinten Europas und einem Souveränismus gewarnt, der zu neuen Kriegen führen könne: "Europa kann und darf sich nicht auflösen", sagte der Papst in einem am Freitag veröffentlichten Interview der italienischen Zeitung "La Stampa". Die Vision der Gründerväter habe Bestand gehabt, weil sie eine Verwirklichung der Einheit des Kontinents sei. Zufrieden äußerte sich Franziskus über die Wahl Ursula von der Leyens zur neuen EU-Kommissionspräsidentin. "Eine Frau kann geeignet sein, die Kräfte der Gründerväter wiederzubeleben", so der Papst, "Frauen haben die Fähigkeit zu verbinden, zu einen."

Kritisch wandte sich Franziskus gegen neu aufkommende souveräne Alleingänge von Nationalstaaten. "Ich bin in Sorge, weil man Reden hört, die denen von Hitler 1934 ähneln: 'Zuerst wir. Wir ..., wir ...' - das ist ein Denken, das Angst macht", sagte der Papst. Natürlich müsse ein Land souverän sein, es dürfe sich aber nicht isolieren. "Der Souveränismus ist eine Übertreibung, die immer schlecht endet: Sie führt zum Krieg."

Zu den großen Aufgaben Europas gehöre jetzt der ernsthafte Dialog. Dabei müsse der Leitgedanke sein: "Zuerst Europa, dann jeder von uns." Letzteres sei keineswegs unwichtig, aber Vorrang habe Europa. Derzeit seien aber nur Monologe über Kompromisse zu hören, es fehle die Kunst einander zuzuhören.

Zur Rolle nationaler und kultureller Identitäten in Europa verwies der Papst auf den ökumenischen Dialog. Auch dieser müsse immer erst von der eigenen konfessionellen Identität ausgehen. Identität dürfe nicht verhandelbar, müsse aber integrierbar sein. Das Problem sei, dass man sich in der eigenen Identität verschließe und sich nicht öffne. "Identität ist ein Reichtum - kulturell, national, geschichtlich, künstlerisch - jedes Land hat seine eigene", so Franziskus. All das aber müsse im Dialog eingebracht und integriert werden.

Migranten auch in entvölkerten Regionen ansiedeln

Die Herausforderungen durch die Migration nach Europa sind nach Aussage des Papstes nur gemeinsam und im Dialog zu lösen. Dazu müssten aber Häfen offen bleiben und dürften nicht geschlossen werden, sagte Franziskus in einer weiteren Passage des insgesamt vierseitigen "La Stampa"-Interviews. Oberster Wert sei das Recht auf Leben, das "niemals vernachlässigt" werden dürfe.

Zur Verteilung und Integration von Migranten in Europa verwies Franziskus unter anderem auf Länder, in denen ländliche Regionen teils unter erheblichem Bevölkerungsschwund litten. Dort könnten Gruppen von Migranten angesiedelt werden, die diese Gegenden wiederbelebten. Er habe von sehr positiven Beispielen dieser Art gehört. Zudem würden in der Landwirtschaft vielerorts dringend Arbeitskräfte gesucht.

Um die Flucht aus Kriegsgründen zu beenden, müssten Friedensbemühungen verstärkt werden. Gegen die Migration aus Gründen von Armut und Hunger, insbesondere aus Afrika, brauche es dort Investitionen, um den Menschen zu helfen, ihre Probleme selbst zu lösen, forderte der Papst.

Im Übrigen erinnerte Franziskus an die vier von ihm oft genannten Handlungsmaximen im Umgang mit Migranten. Diese sollten aufgenommen, begleitet, gefördert und integriert werden. Dabei müsse die nationale wie die europäische Politik mit Klugheit und Besonnenheit vorgehen. "Wer regiert, ist aufgefordert, genau zu überlegen, wie viele Migranten er aufnehmen kann", mahnte der Papst.

Auf jüngste Debatten wie etwa in Italien über das am Montag vom Parlament verschärfte Sicherheitsgesetz, das drakonische Strafen für Rettungsschiffe vorsieht, die italienische Häfen ansteuern, ging Franziskus nicht ein. Die Verschärfung war von Kirchenvertretern und Nichtregierungsorganisationen wie auch dem UNHCR kritisiert worden. Auch Staatspräsident Sergio Matterella, der das Gesetz am Donnerstag unterzeichnete, forderte das Parlament zu Nachbesserungen auf.

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