Umsturz im Päpstlichen Institut Johannes Paul II für Ehe und Familie

25. Juli 2019 in Familie


Neue Statuten des von Franziskus neu gegründeten Instituts in Rom approbiert: zentraler Lehrstuhl Fundamentalmoral gestrichen, langjähriger Vorstand Melina und weiterer maßgeblicher Moraltheologe fristlos entlassen. kath.net-Hintergrundbericht


Rom (kath.net) Die Neugründung, die Papst Franziskus vor zwei Jahren an dem von Johannes Paul II. gegründeten Institut für Studien zu Ehe und Familie in Rom vornahm, beginnt zu greifen: Vor einigen Tagen wurden die neuen Statuten vom Vatikan approbiert, jetzt wurde der frühere Institutsvorstand und Professor für Moraltheologie, Msgr. Livio Melina, fristlos entlassen und sein Fach Fundamentalmoral (Grundlegende Moral) vom Studienplan gestrichen. Fristlos gekündigt wurde auch der Moraltheologe P. José Noriega, dessen Lehrstuhl für Spezielle Moral ebenfalls eliminiert wurde. Beide Professoren waren am Institut fest angestellt gewesen. Davon berichtet die italienische Onlinezeitung „La Nuova Bussola Quotidiana“ am Dienstag.

Riccardo Cascioli bezeichnet in seinem Beitrag Melina als die „Säule, die abgerissen werden musste, um das gesamte Gebäude zum Einsturz zu bringen“. Melina gilt als geistiger Erbe von Kardinal Carlo Caffarra, welchen Johannes Paul II. bei der Gründung des Instituts 1981 als ersten Institutsvorstand persönlich einsetzte. Der Papst übertrug Caffarra den Lehrstuhl für Fundamentalmoral, auf dem ihm Melina nachfolgte. Der am 6. September 2017 unerwartet verstorbene Caffarra war auch einer der vier „Dubia-Kardinäle“, wie kath.net berichtete.

Mit dem Motu proprio „Summa familiae cura“ vom 8. September 2017 hatte Papst Franziskus angeordnet, ein neues „Päpstliches Theologisches Institut Johannes Paul II. für Ehe- und Familienwissenschaften“ zu gründen, das auf das vorherige folgen sollte, das hiermit offiziell aufgelöst wurde. Vor wenigen Tagen wurden nun die Statuten des neuen Instituts von der Kongregation für das katholische Bildungswesen genehmigt. Mit dem in Kraft Treten der Statuten werden maßgebliche Veränderungen wirksam.

Am Montag vor einer Woche erhielten alle Professoren des Instituts ein Schreiben, in dem sie offiziell suspendiert wurden, bis über den Studienplan für das kommende akademische Jahr entschieden werde. In wenigen Tagen würde dann jeder über sein Schicksal Bescheid erhalten. Auf der Website des Instituts waren zu diesem Zeitpunkt die Kurse für das Folgejahr bereits angekündigt gewesen, inklusive Grundlegende und Spezielle Moral.

Msgr. Melina wurde mitgeteilt, dass sein Fach Fundamentalmoral gestrichen wurde und dass es daher am Institut keine Verwendung mehr für ihn gebe. Dies galt auch für P. José Noriega und sein Fach Spezialmoral.
Im neuen Studienplan ist das Fach Moral als "Moraltheologie der Liebe und der Familie" sowie "Theologische Ethik des Lebens" vorgesehen, aber in reduziertem Umfang.
Beide fristlos entlassenen Theologen gehörten zu den unbefristet angestellten Professoren des Instituts (im Unterschied zu jenen Lehrenden mit einem befristeten, jährlich zu erneuernden Vertrag).

Melina war zu Beginn des Lehrbetriebs 1982 als Student ans Institut gekommen und hatte dort 1985 als erster promoviert (über die Tugend der Klugheit bei Thomas von Aquin); bei der Diskussion der Arbeit war auch der damalige Kardinal Ratzinger anwesend. Bis 1991 war Melina auch Mitarbeiter der Glaubenskongregation. Seit 1986 unterrichtete er Fundamentalmoral am Institut, seit 1991 als Ordentlicher Professor und Lehrstuhlinhaber.

Im Jahr 2002 wurde er zum Stellvertretenden Institutsvorstand ernannt, 2006 zum Institutsvorstand. Am 17. August 2016 übertrug Papst Franziskus dieses Amt Msgr. Pierangelo Sequeri (*1944), einem renommierten Mailänder Fundamentaltheologen. Melina (*1952) blieb Professor, während alle früheren Institutsvorstände danach Bischöfe geworden waren.

Die Präsidentschaft Melinas war die Zeit der größten Expansion des Instituts, das in seinem letzten Jahr 516 Studenten in Rom und 3200 Studenten in den sechs Sektionen und in den sechs zugehörigen Zentren auf der ganzen Welt hatte, wobei die Zahl der Studenten im Laufe des Jahrzehnts gewachsen war. Die Forschung intensivierte sich im Bereich der Moral- und der Sakamententheologie, es gab zwei jährliche Kongresse, zahlreiche Publikationen und Kontakte auf internationaler Ebene. Ein Karol Wojtyla-Lehrstuhl wurde errichtet und dem polnischen Philosophen Stanislaw Grygiel, einem Schüler von Karol Wojtyla, übertragen.

Zeitgleich mit Sequeri als Institutsvorstand wurde Bischof Vincenzo Paglia mit dem Amt des Großkanzlers des Instituts betraut – entgegen den Statuten, dass der Großkanzler des Instituts stets der Kardinalvikar der Diözese Rom sein müsse. Paglia gilt als hauptverantwortlich für die Veränderungen und führt sie durch. Er eliminierte nun ausgerechnet den Lehrstuhl des ersten Vorstands Caffarra, der nach Absicht des heiligen Johannes Paul II. grundlegend für die Studien über Ehe und Familie war.

Johannes Paul II. nahm persönlich an den ersten Ratsversammlungen des Instituts teil und betonte immer wieder, dass die pastorale Krise - insbesondere in Bezug auf die Lehre von Humanae Vitae - und der fortschreitende Zerfalls der Familie ihre Wurzeln in einer noch tieferen Krise haben, die mit den Grundlagen der christlichen Anthropologie und Moraltheologie verbunden ist. Seinem Auftrag nach sollte das Institut den Plan Gottes für Ehe und Familie wissenschaftlich vertiefen und für die Kirche fruchtbar machen.

Der jetzige Ansatz hingegen sucht nach den Worten Sequeris in Avvenire „umfassenderen Dialog und Auseinandersetzung mit allen Denkschulen der katholischen Kirche“. Er geht stärker von den Humanwissenschaften aus, um mehr auf die verschiedenen Lebenswirklichkeiten einzugehen.

Der ebenfalls entlassene Moraltheologe P. José Noriega war Herausgeber eines kürzlich erschienenen Lexikons über Sex, Liebe und Fruchtbarkeit (Dizionario su sesso, amore e fecondità, Verlag Cantagalli) und herausgebender Leiter sowie Redaktor der halbjährlichen Institutszeitschrift Anthropotes (deren wissenschaftlicher Leiter Melina war); die Doppelausgabe 2018 widmet sich zum Anlass des 50-jährigen Jubiläums von Humanae Vitae in zahlreichen Beiträgen der Bedeutung der Enzyklika. Mit der Eliminierung von Msgr. Melina und P. Noriega hat Msrg. Paglia daher dem Institut und dem Vermächtnis des Heiligen Johannes Paul II. einen entscheidenden Schlag versetzt, wie Cascioli ausführt. Er sagt auch dem Wojtyla-Lehrstuhl keine lange Lebensdauer mehr voraus.

Vor wenigen Tagen, also gut zwei Monate vor Beginn des neuen Studienjahres waren noch nichteinmal die neuen Studienpläne bekannt, sodass Dutzende Studenten bereits einen besorgten Brief an den Institutsvorstand unterzeichnet haben, in dem sie um Aufklärung über die Vorgänge bitten. Und das, obwohl der Zeitpunkt der Mitteilung die Kommunikation unter den Studenten erheblich erschwert. Seit kurzer Zeit sind die neuen Statuten und Studienpläne (aber ohne Kursbeschreibung und Kursleiter) auf der Institutswebsite veröffentlicht.

Statuten überraschend approbiert

Im Mai 2018 präsentierte Großkanzler Paglia dem Rat des römischen Instituts und im Juni darauf dem Internationalen Rat Statuten, die ihm freie Hand bei der Auswahl der Lehrenden und der Fächer geben und die alten Verfahren aufheben, bei denen das Lehrpersonal an den wichtigsten Entscheidungen des Instituts beteiligt war. Der Vorschlag Paglias stieß auf heftige Ablehnung des Lehrpersonals. Angesichts eines drohenden öffentlichen Skandals zog Paglia den Vorschlag zurück und akzeptierte die Bildung einer internen Kommission – unter dem Vorsitz des Institutsvorstands Sequeri - zum Zweck der Arbeit an den neuen Statuten.

Im vergangenen März wurde Paglia der Gegenvorschlag zur endgültigen Genehmigung vorgelegt. Der Großkanzler habe zugesichert, den Institutsräten die Neufassung der Statuten vorzulegen, bevor er die Zustimmung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen einhole. Diese Zusage habe er aber nicht eingehalten. Hingegen wurde vor einigen Tagen überraschend die bereits erfolgte Approbierung der Statuten mitgeteilt, in der Vatikanzeitung Osservatore Romano und der italienischen Tageszeitung Avvenire.

Im September 2017 hatte der neue Institutsvorstand Sequeri dem katholischen US-amerikanischen Nachrichtendienst „Crux“ auf die Frage, ob er Personal abziehen oder eher aufstocken werde, noch geantwortet: „Etwas hinzufügen bedeutet nicht, irgendetwas wegzunehmen von dem, was zuvor da war. Ich habe mich verpflichtet, mit diesem Werk zu arbeiten, und mit diesen Menschen. Ich habe das gesagt, es ist eine Garantie. Ich arbeite mit diesen Leuten.“


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