Dinge, die wir von Katholiken lernen können

3. Juli 2019 in Kommentar


kath.net-Interview mit Maximilian Oettingen, Leiter der Loretto Gemeinschaft, und Bruce Clewett, Gründer der follow me-Jüngerschaftsschule, über die Zusammenarbeit von Katholiken mit Freikirchen - Von Linda Noé


Wien (kath.net/ln)
KATH.NET traf sich am Rande des „Awakening Europe“ in Wien zum Doppel-Interview mit Maximilian Oettingen, dem Leiter der katholischen Loretto Gemeinschaft in Österreich und Bruce Clewett, Gründer der follow me-Jüngerschaftsschule, und Leiter von „Kerygma“, einem Zweig innerhalb von „Jugend mit einer Mission“, mit einer besonderen Betonung auf Jüngerschaft und Evangelisation unter katholischer Jugend sowie der Versöhnung zwischen den Christen. Oettingen und Clewett verbindet eine durch Kardinal Schönborn angeregte langjährige Freundschaft seit den neunziger Jahren, und viel Erfahrung darin als Christen gemeinsam auf dem Weg zu sein, ohne die jeweils eigene Identität durch das Miteinander aufgeweicht zu haben.

KATH.NET: Wenn wir von „Awakening Europe“ sprechen, welche Bedeutung hat es für dich als Leiter der katholischen Loretto Gemeinschaft in Österreich?

Maximilian Oettingen: In Ben Fitzgerald sehe ich einen Missionar, der sehr stark dafür steht, dass man die Menschenfurcht ablegen muss, und den Mut bekommt zu missionieren. Das finde ich bewundernswert und schön, und ich bin fast ein bisschen beschämt, dass es so einen Mann braucht wie ihn, einen Australier, der von irgendwo ganz anders kommt und der Kirche in Österreich zeigt: „Es ist Zeit, auf die Straße zu gehen“, weil sonst macht's keiner. Er ist sehr neu für Europa, noch immer, aber es ist schön zu sehen, wie er einen Blick dafür hat, und ein Herz. Im Grunde genommen könnte er auf der ganzen Welt Stadien füllen.

KATH.NET: In diesen Tagen von „Awakening Europe“ gab es ganz verschiedene Sprecher, Gebetszeiten, Outreaches..... Ist es bereits möglich, ein persönliches Highlight zu nennen?

Bruce Clewett: Für mich war das Highlight ganz klar am Sonntagmorgen. Ich war ganz begeistert vom Lobpreis mit einem Orchester. Die Ansprache von Kardinal Schönborn war für mich ein besonderes Highlight. Ich fand es sehr klar und prophetisch, auf eine bestimmte Art von Einheit ausgerichtet, und es gab standing ovations, was zeigte, dass die ganze Stadthalle hinter ihm stand.

KATH.NET: Bruce Clewett, Sie sind evangelisch HB (Helvetisches Bekenntnis), haben laut eigenen Angaben in einer Pfingstkirche zum lebendigen Glauben gefunden. Sie sind bereits seit 1978 stark im Austausch und in der Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche. Wie funktioniert das Miteinander am Besten, was muss man beachten?

Bruce Clewett: Ich muss eine kurze Geschichte erzählen um das zu erklären. Vor vielen Jahren, 1998 herum, hatten wir das erste ökumenische Gebetstreffen im Stephansdom, und es war merklich neu. Der Kardinal hatte damals auch einige von uns protestantischen und freikirchlichen Laien eingeladen, im Altarraum zu sitzen, und man merkte, dass dieser ökumenische Aspekt ziemlich neu war - zum Beispiel dadurch, dass der Kardinal mit einem Kreuzzeichen begonnen hat, und ich habe gesehen dass sich die Hälfte der Viertausend Leute nicht bekreuzigt hat. Es gab da so einige Stolperstellen. Zum Beispiel als der Kardinal schließen wollte in einem Gebet und Maria erwähnte, da war plötzlich war eine große Stille da von Seiten der Freikirchler. Das ist ein sehr emotionaler Punkt bei vielen. Der Lobpreisleiter hatte auch eine Elektrogitarre und hat wirklich unpassende Riffs gemacht für den Stephansdom damals.

Anschließend habe ich jedoch mit ein paar Leuten gesprochen, zum Beispiel mit einem freikirchlichen Freund: er war jemand, der wirklich alles fremd fand, was organisierte Religion betraf, aber er fand das Treffen wunderbar. Auch das, wovon ich wusste, was normalerweise in ihm Anstoß erregen würde, aber er sagte, das sei okay, denn es seien Katholiken. Dann habe ich mit Katholiken gesprochen, und sie haben umgekehrt genauso gesagt, dass manches schon okay wäre, denn das seien ja Freikirchler.

Danach habe ich festgestellt, dass mir diese Reaktionen eines zeigen: Einheit ist wie eine Ehe. Es funktioniert nicht deswegen, weil beide Seiten immer das Richtige sagen, sondern es funktioniert, wenn beide Seiten wollen, dass es funktioniert. Das würde ich sagen, dieses unglaublich starke Wollen, das ist die treibende Kraft. Dass es wie in einer Ehe erlaubt ist, wenn man Fehler macht. Wenn ich überlege, wie oft ich Verletzendes gesagt habe zu meiner Frau, oder sie zu mir! Auch ich als evangelischer Christ oder Freikirchler, der ich in einem katholischen Umfeld arbeite, ich habe so viele Fehler gemacht, und so oft wurde mir das vergeben.

KATH.NET: Maximilian Oettingen, als Leiter einer katholischen Gemeinschaft auf der „Awakening“ Bühne unter so vielen nicht-katholischen christlichen Leitern, wie ist es dir da gegangen?

Maximilian Oettingen: Mir ist es gut gegangen. Ich fühle mich geehrt dadurch, dass ich viele Freunde habe im freikirchlichen Bereich, die auch schätzen was wir machen, die uns auch segnen und uns auch schulen in einigen Bereichen. Wir sind es durch „Jugend mit einer Mission“, Nicky Gumbel und viele andere sehr gewohnt zu lernen und zu arbeiten mit Freikirchen in dem Bereich, wo es sinnvoll ist. Von daher bin ich es gewohnt und auch nicht vor den Kopf gestoßen wenn es Kommunikationsprobleme gibt. Ich spreche das dann auch an.

Also bin ich privilegiert an „Awakening“ teil zu nehmen. Wir sind als Loretto-Gemeinschaft total im Herzen der katholischen Kirche, und haben zugleich eine riesige Liebe zu den getrennten Brüdern. Wir stehen fest auf dem Boden der katholischen Kirche, und genau deswegen haben wir auch das Mandat, da hinein zu gehen.

KATH.NET: Würdest Du sagen, dass das gemeinsame Gebet mit den Freikirchen auch ein Charisma speziell von Loretto ist?

Maximilian Oettingen: Ja das glaube ich. Es gab eine Ansprache von Georg Mayr-Melnhof, dem Gründer von Loretto, zum 25 Jahre Jubiläum. Er sagte, wegen unserer Gründung, die über Medjugorje kam, glaube er, dass wir eine sehr große Liebe haben zur Kirche. Und dann hat Georg zu Kardinal Schönborn mit einem Schmunzeln gesagt: „Du hast uns damals zu Bruce Clewett geschickt, und deswegen glauben wir, dass wir auch eine große Liebe haben zu den Freikirchlern, und da bist also du schuld.“

Aber es stimmt, wenn du entsandt wirst von einem Bischof hin zu den getrennten Brüdern, um mit ihnen zusammen zu arbeiten, dann machst du das auch.

Es ist auch ein Gebot der Zeit heute in Europa, wo wir in einem Land wie Österreich einen verschwindenden Teil von praktizierenden Christen haben. Es ist die Zeit den Krieg zu beenden und da zusammen zu arbeiten wo es Sinn macht, wie beim Alpha Kurs zum Beispiel. Von daher ist das mein Bruder im Herrn, und wir sind natürlich verschieden, wie die Kinder. Meine Kinder sind auch verschieden, aber wir sind auch ähnlich, und das muss man annehmen.

Bruce Clewett: Was mich bei „Awakening“ auch beeindruckt hat, ist, wenn manchmal einer der Redner eine falsche Wortwahl hatte, die missverstanden werden konnte, hat der Übersetzer das oft zurecht gerückt. Zum Beispiel wenn gesagt wurde: „er wurde gerettet“, hat der Übersetzer gesagt: „er hat sein Leben dem Herrn anvertraut“.

Das sind Kleinigkeiten, aber man merkt: in Österreich haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden. Das zeichnet Österreich aus im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern. Die Freikirchler und die Katholiken haben tatsächlich einen gemeinsamen Wortschatz gefunden. Wir haben manchmal Gäste von außerhalb, die das als besonders bemerken, diese Einheit, die es nicht nur unter dem Volk gibt, sondern auch unter den Leitern.

KATH.NET: Ich habe persönlich den Eindruck, dass viele Katholiken bereit sind, von den freikirchlichen Geschwistern zu lernen, zum Beispiel über Themen wie Jüngerschaft, oder sich an Orten wie im mittlerweile auch in katholischen Kreisen sehr bekannten Haus David (keyofdavid.at) sich auch in eine Situation begeben, in der sie wirklich ihr Herz öffnen. Seht ihr persönlich, dass es auf der anderen Seite auch so ist, dass es Themen gibt, wo Geschwister aus den Freikirchen bereit sind, von Katholiken zu lernen?

Maximilian Oettingen: Es kommt darauf an, wer die Kultur prägt. Da wo ich es zum Beispiel sehr stark finde, ist bei HTB London, einer anglikanischen Kirche, wo Nicky Gumbel öffentlich sagt, dass neben der Heiligen Schrift das einzige Buch, das er öfters gelesen hat, von Cantalamessa „Komm Schöpfergeist“ ist, und er zitiert ständig daraus, und auch die Kirchenväter. Da merkt man, dass er theologisch aus zweitausend Jahren Tradition schöpft, in einer großen Freiheit.

Ähnlich bei Pete Greig. Ich kenne kaum einen katholischen Redner, der so entspannt Kirchenväter zitiert wie er, und auch die Wüstenväter kennt.

Oder ich denke an Mike Bickle, den Direktor des IHOP (International House of Prayer) in Kansas City. Neben dem Gebetsraum dort gibt es einen Bücherladen, in dem es eine Fülle an Mönchliteratur gibt. Sie lesen Bernhard von Clairvaux,sie lesen Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz... Tag und Nacht Gebet, das ist ein monastisches Leben, da muss man die richtigen Sachen dazu lesen, und das machen sie.

Bruce Clewett: Vor einigen Jahren war ich Gastredner bei einem katholischen Treffen in Krakau, das Thema war Neuevangelisierung. Es waren tausend Menschen dort. Es gab unter anderem eine Fragezeit, und ein Weihbischof sagte: „Uns wird vorgeworfen, dass ihr uns zu Protestanten macht.“ Ich antwortete, das wäre wahr, wenn es einseitig und nicht ausgeglichen wäre.

Dann habe ich eine Liste von 15 Punkten gegeben, wo ich glaube, dass wir als Freikirchler und Protestanten etwas zu geben haben. Eines davon war zum Beispiel ein Verständnis von strukturierter Jüngerschaft, Neuevangelisierung, Bereitschaft, Neues auszuprobieren usw... und dann habe ich genauso eine Liste gebracht mit Dingen, die wir von Katholiken lernen. Über die Majestät Gottes zum Beispiel, wir lernen die Schönheit auszudrücken in Architektur, wir lernen dass die Kirche eine historische ist, die auch wieder entdeckt werden müsste, wir lernen, was es heißt zu erwarten, dass der Heilige Geist da ist, egal ob wir eine Atmosphäre haben oder nicht. Das haben Katholiken jeden Sonntag in der Heiligen Messe, Gott ist gegenwärtig. Als Lobpreisleiter war es viel leichter Katholiken in eine Zeit des Lobpreises zu leiten. Man lernt über heilige Orte, 24/7-Gebetsdienst. Die Liste ist genauso groß - Katholiken sind nur vielleicht etwas freier das zuzugeben.

KATH.NET: Warum sind Katholiken da ihrer Meinung nach freier?

Bruce Clewett: Vielleicht jst eine gewisse Demut da, durch die Schwierigkeiten der Kirche in Österreich zum Beispiel. Das hat mich sehr berührt auch schon in den siebziger Jahren, als ich nach Österreich gekommen bin. Ich möchte die Freikirchler jetzt nicht als weniger demütig hinstellen, aber wie sie es bekannt machen ist anders. Wie Maxi gesagt hat: Zitate von den Kirchenvätern, das ist neu in diesen Kreisen! Das Lernen vom Leben mancher Heiligen, die früher als Götzen gesehen wurden, diese werden jetzt eher als Männer und Frauen Gottes gesehen, und so weiter. Es ist etwas langsamer vielleicht, aber es ist für mich auch sichtbar als Nichtkatholik. Es ist verrückt, dass eine Gruppe mit freikirchlichen Wurzeln wie „Jugend mit einer Mission“ so sehr eine Gruppe mit Medjugorje-Wurzeln wie Loretto liebt (beide Männer lachen herzlich). Sie gehören zu unseren besten Freunden in ganz Österreich.

Ich bin seit 1978 hier und arbeite hauptsächlich mit Jugendlichen. Damals war Österreich verschrien als Friedhof der Missionare, und wir wurden gewarnt. Es war aber absolut anders. Wir haben erlebt, dass in sechs Monaten mehr Leute zum Herrn gekommen sind als in einigen Jahren in Deutschland. Mitte der achtziger Jahre ist das ein bisschen eingeschlafen, bis vor etwa fünf bis acht Jahren würde ich sagen. Da bemerkte man wieder, vor allem unter der Jugend, eine riesige Offenheit, die noch größer ist als damals 1978. Mein Sohn hat beispielsweise vorgestern einfach einen Schulfreund mitgebracht, und der hat sein Leben dem Herrn gegeben.

Maximilian Oettingen: Ich möchte abschließend dazu noch sagen: manche meinen, dass solche Events wie „Awakening Europe“ Eintagsfliegen wären. Und das stimmt. Aber das Interessante ist, dass wir mittlerweile in Österreich schon einen ganzen Haufen dieser Fliegen haben. Das Pfingsttreffen in Salzburg, die Herbsttage bei Loretto letztes Jahr mit fünftausend Menschen im Dom, das „Awakening“ jetzt, KISI haben große Treffen, und einige mehr.... Man merkt etwas von einer Veränderung in der geistlichen Atmosphäre, dadurch dass solche Sachen möglich sind, und zwar gar nicht so selten möglich sind.

KATH.NET: Danke für das Interview!




Rede von Kardinal Schönborn bei Awakening Europe


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