„Wer erinnert sich da nicht an die schicksalsschweren Stunden?“

21. Mai 2019 in Spirituelles


„Heute sind es nicht mehr fremde Heere, die uns bedrohen – es sind menschenfeindliche Ideologien und moralische Verirrungen, die wie Krankheiten unsere Gesellschaft befallen haben.“ „Rosenkranz für Österreich“-Predigt von Walter Kardinal Brandmüller


Wien (kath.net) kath.net dokumentiert die nicht gehaltene Predigt, die für die Gemeinschaft „Rosenkranz für Österreich“ vorgesehen war, in voller Länge. Kardinal Brandmüller musste seine Teilnahme leider absagen. Die Predigt sollte beim levitierten Hochamt in der außerordentlichen Form des römischen Ritus mit Kardinal Walter Brandmüller am 13. Mai in der Wiener Karlskirche gehalten werden. kath.net dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Rosenkranz für Österreich – das ist es, was uns heute zusammenführt.

Wer erinnert sich da nicht an die schicksalsschweren Stunden, in denen Eure Vorfahren zum Rosenkranz gegriffen und in größter Not die Hilfe der Gottesmutter, der Magna Mater Austriae, auf wunderbare Weise erfahren haben.

War es der Sieg Don Juans d’Austria bei Lepanto, waren es die tapfer überstandenen Belagerungen durch die Janitscharen des Sultans – oder schließlich die Befreiung Österreichs nach dem 2. Weltkrieg – immer war es das Rosenkranzgebet das Erhörung gefunden hat.

In der Erinnerung an diese großen Augenblicke, da die Hilfe des Himmels so spürbar war, greifen wir auch heute zum Rosenkranz, dieser mächtigsten Waffe in der Hand des Christen.

Heute, liebe Gläubige, sind es nicht mehr fremde Heere, die uns bedrohen – es sind menschenfeindliche Ideologien, es sind moralische Verirrungen, die wie Krankheiten unsere Gesellschaft befallen haben und unser Zusammenleben, unsere Kultur zerstören.

Da nun gilt es aufs Neue, die Hilfe der Gottesmutter zu erflehen, indem wir im Rosenkranz betend die Geheimnisse unserer Erlösung betrachten und immer wieder hinzufügen: „Heilige Maria, Gottes Mutter, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.“

Zugleich aber hören wir ihre Worte, die sie den Tischdienern bei der Hochzeit zu Kana sagte, als dort der Wein ausgegangen war: „Was ER euch sagt, das tut“ – und dann geschah das Wunder. Was aber sagt ER uns - auch heute?

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“.

I

In der Tat – wir sind vom Weg abgekommen. Sittliche Verirrungen werden als normal bezeichnet. Und – einige Stichworte nur: Leben und Gesundheit der Bevölkerung werden durch Vertrieb verdorbener Lebensmittel oder Medikamente aufs Spiel gesetzt, Bauunternehmer verwenden minderwertiges Material und verursachen damit Gebäudeeinstürze.

Kinder werden entführt, verstümmelt, getötet, um mit ihren gesunden Organen Handel zu treiben.

Hinter fragwürdigen biotechnischen Forschungen stecken massive finanzielle Interessen. Hinzu kommt der ungeheuerliche Skandal der Abtreibung, dem in zunehmendem Maße am Ende des Lebens – welch schönes Wort für Tötung! – sogenannte Euthanasie entspricht – genug des Schrecklichen. Wir sind weit vom Wege abgeirrt, von Jesus Christus, der sagt: „Ich bin der Weg“.

Erinnern wir uns aber: es ist der Schöpfer selbst, der seinem Geschöpf Mensch einen Kompass mitgegeben hat, der ihm den wahren Weg zum Leben weist.

Die Rede ist hier zuallererst von dem natürlichen Sittengesetz, dessen Normen und Forderungen sich aus der geistig-leiblichen Natur des Menschen, der menschlichen Person ergeben.

So wie diese Raum und Zeit übergreifend ein und dieselbe menschliche Natur ist, so muss sich auch das sittliche Handeln des Menschen an Maßstäben orientieren, die immer und überall gültig sin und keinem Wandel unterliegen.

Und – so sagt der hl. Johannes Paul II., „Diese Normen bilden in der Tat das unerschütterliche Fundament und die zuverlässige Gewähr für ein gerechtes und friedliches menschliches Zusammenleben…“ (Veritatis splendor Nr. 96). Diese Prinzipien und Normen wurzeln in der innersten Natur des Menschen. So konnte denn der hl. Paulus schreiben, dass auch den Heiden „die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist und ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab.“

Im Lichte dieser Worte gilt es auch, der vielfachen Bedrohung der Ehe von Mann und Frau durch moderne Ideologien, wie auch der vielfach propagierten sittlich orientierungslosen Sexualerziehung von Kindern und Jugend entschieden zu wehren. Johannes Paul II. hat in seiner „Theologie des Leibes“ Entscheidendes gelehrt.

Wenn wir diesem Wegweiser folgen, finden wir Ihn, der sagt: „Ich bin der Weg. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

Kehren wir als Einzelne, als ganzes Volk, auf diesen Weg zurück, folgen wir dem Wort der Mutter unseres Herrn: „Was ER sagt, das tut!“

II

Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Ja, von Wahrheit ist die Rede – und allein heute von „Wahrheit“ zu reden genügt, um Protest und Unverständnis hervorzurufen. Die alte Pilatus-Frage wird laut: „Was ist Wahrheit?“ – sagen wir es – auch so: Was ist schon Wahrheit?! Es gibt doch eigentlich nur eine Meinung: Meine Meinung, deine Meinung – und jeder hat ein Recht auf seine Meinung. Wahrheit, gibt es sie überhaupt? Kommt es überhaupt darauf an?

Eigentlich nicht, sagen viele. Entscheidender Maßstab menschlichen Handelns ist doch, ob etwas nützt, ob etwas zum Erfolg führt!

So dachte allerdings auch der Hohepriester Kaiphas, als er meinte, es sei doch besser, dass nur ein einziger sterbe, als dass die Römer das ganze Volk vernichteten. Ob die gegen den Propheten aus Galiläa erhobenen Anklagen war sind, oder nicht – das spielt in einem Augenblick, da politisch so viel auf dem Spiel steht, keine Rolle!

Wahrheit – kommt es wirklich darauf an? Entscheidend ist doch, ob etwas machbar ist. Machbarkeit – ja! Wahrheit? „Was ist Wahrheit“ hat ja schon Pilatus gefragt.

Ihm ging es im Fall des Galiläers um eine praktikable, machbare Lösung. Da bot sich die Freilassung des Barrabas an. Ja, meine Lieben, so geht an auch heute mit der Wahrheit um!

Und doch - auf sie kommt es entscheidend an. Ein einziges Beispiel nur: Niemals wären Astronauten auf dem Mond gelandet, wenn die Berechnungen der Ingenieure nicht der Wahrheit, der Wirklichkeit entsprochen hätten, sondern falsch gewesen wären!
Nicht die einzige, wohl aber die entscheidende Frage, die wir vor allen unseren Entscheidungen stellen müssen, heißt nicht: „Was bringt’s“, sondern: ist es wahr! Und wenn es wahr ist, dann ist es auch gut und schön! Dann ist es auch im Einklang mit Jesus Christus, der sagt: Ich bin die Wahrheit.

III

Dann aber fügt er hinzu: „und das Leben“. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Damit meint Jesus das ewige Leben: „wer mein Fleisch...“

Ein Mensch, eine Gesellschaft, die die ewige Bestimmung des Menschen aus dem Blick verloren hat, verschließt sich selbst die entscheidende Dimension menschlicher Existenz. Das bedeutet aber auch einen grundsätzlichen Verzicht auf das Wahre, Gute, Schöne und Heilige, denn Quelle für all das ist der unendliche, ewige Schöpfer allen Seins. Nur wenn wir Ihm begegnen, wenn unser Leben ein beständiges Zwiegespräch mit dem Dreieinigen Gott ist, kann es gelingen, wird der Strom unseres Lebens in den uferlosen Ozean des ewigen Lebens münden.

Eben diese Botschaft den vielen bekanntzumachen, die orientierungslos dahintreiben, ist ein wahrer Akt der Nächstenliebe. Jeder von uns ist hier in die Pflicht genommen. So wie Maria einst den Gottessohn in ihrem Schoß zu Elisabeth getragen hat, sollen auch wir Jesus, der in uns lebt, zu denen tragen, denen wir in unserem Alltag begegnen.

Dazu bedarf es noch vor allen Worten der in Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Liebe gelebten Botschaft unseres Lebens.

IV

Unser heutiges öffentliches Rosenkranzgebet für Österreich hier in Wien ruft – wie haben eingangs davon gesprochen – große Erinnerungen wach. Erinnerung auch daran, dass es in all den historisch so bedeutenden Augenblicken keineswegs allein um Österreich gegangen wäre. Stets hat auch das Schicksal Europas, des Christentums in Europa, auf dem Spiel gestanden. Ist aber das – so fragen wir – nicht auch heute der Fall?
Gewiss, heute wird Europas Zukunft nicht mehr auf dem Schlachtfeld entschieden – sondern bei Wahlen. Aber auch da gilt es, all das, was Europa, was Euer Vaterland in Jahrhunderten groß gemacht hat, im Auge zu behalten: Es war der Glaube, den wir bekennen, wenn wir den Rosenkranz beginnen. Dabei hören wir aber auch die Stimme der Mutter, die, wie einst zu den Tischdienern in Kana, so auch heute zu uns sagt: „Was ER euch sagt, das tut.“

Wenn wir dies hören und befolgen, dann kann der Sohn auch in unseren Tagen Wunder der Verwandlung wirken – das Wunder einer christlichen Wiedergeburt Europas.

Archivfoto Kardinal Brandmüller



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