Jesus Christus, die aufgehende Sonne

20. April 2019 in Spirituelles


Der christliche Gottesdienst braucht wieder Orientierung - Von Georg Oblinger, Rektor der Gebetsstätte Marienfried


Augsburg (kath.net)
Sonnenuntergänge haben ihre Faszination und werden von vielen Menschen mit Urlaub assoziiert. Doch auch ein Sonnenaufgang ist romantisch. Wie schön ist es doch, den erwachenden Tag zu begrüßen! Die Dunkelheit weicht; die ersten Sonnenstrahlen bringen Licht und Wärme – zunächst noch zaghaft, dann immer stärker werdend.
Zu diesem Zeitpunkt feiern auch die Christen ihr wichtigstes Fest und ihre aufwendigste Liturgie. Die Osternacht kann zwar sowohl am Beginn als auch am Ende der Nacht gefeiert werden, doch lebt die ganze Feier von der Symbolik „vom Dunkel zum Licht“, weswegen eine Feier am späten Abend nach Sonnenuntergang lediglich praktischen Gründen geschuldet ist, die Feier am frühen Morgen jedoch dem Wesen dieser Liturgie weit eher entspricht. So beginnt die Osternacht noch im Dunkeln. Vor der Kirche wird das Osterfeuer gesegnet. Das Licht wird in die Kirche getragen und verteilt. Dann folgt mit dem „Exultet“ ein festlicher Lobpreis des Osterlichtes.

Die Kirche hat von alters her die Auferstehung Jesu Christi mit der aufgehenden Sonne verglichen. Sehr eindrucksvoll hat der Maler Matthias Grünewald im 16. Jahrhundert auf seinem Isenheimer Altar die Auferstehung Christi dargestellt: Hier erscheint Jesus Christus wie eine personifizierte Sonne, die aus sich heraus leuchtet. Und dennoch zeigt Jesu Leib auch die Wundmale seiner Passion, wodurch klar wird, dass es hier nicht um eine esoterische Verklärung geht, sondern um eine wirkliche Verwandlung, bei der die Persönlichkeit und die individuelle Lebensgeschichte erhalten bleibt. Der Gekreuzigte ist zugleich der Auferstandene.

Angelus Silesius hat diese Symbolik aufgegriffen in jenen Versen, die bis heute im katholischen wie auch im evangelischen Gottesdienst gesungen werden: „Morgenstern der finstern Nacht, der die Welt voll Freuden macht, Jesu mein, komm herein, leucht in meines Herzens Schrein. (…) Du erleuchtest alles gar, was jetzt ist und kommt und war; voller Pracht wird die Nacht, weil dein Glanz sie angelacht.“

Schon in der frühen Kirche haben sich die Gläubigen deshalb bei der Feier der heiligen Messe nach Osten gewandt. Priester wie Gläubige standen in gemeinsamer Gebetsrichtung; ihr Gegenüber war der auferstandene Christus, symbolisiert in der aufgehenden Sonne. In der orthodoxen Kirche ist diese Gebetshaltung bis heute üblich, in den meisten katholischen und evangelischen Kirchen hat man diese Gebetsrichtung leider zugunsten eines stärkeren Gemeindebezugs des Zelebranten meistens aufgegeben. Auch Kirchen wurden über Jahrhunderte für gewöhnlich so gebaut, dass ihre Apsis nach Osten gerichtet ist.

Wenn in der katholischen Kirche seit der Liturgiereform die Zelebration „ad orientem“ de facto abgeschafft ist, kann man sich hierfür allerdings auf keine kirchliche Weisung berufen. Die Messfeier ist eben kein Gegenüber von Priester und Gemeinde. Schon Kardinal Josef Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. regte in seinen Büchern über die Liturgie an, der Zelebrant möge sich bei der Messfeier wenigstens einem großen Kreuz zuwenden, um so einen ideellen Osten zu schaffen, wenn schon die buchstäbliche Ostung verloren gegangen ist. Erst im Sommer 2016 hat Kardinal Robert Sarah, Präsident der römischen Kongregation für den Gottesdienst dafür plädiert, dass Priester und Volk bei der Feier der heiligen Messe wieder in gleicher Gebetsausrichtung stehen. Er forderte sogar alle Priester auf, zur Zelebration „ad orientem“ zurückzukehren. Kurz darauf distanzierte sich Papst Franziskus allerdings von dieser Forderung.

Der christliche Gottesdienst hat seine Orientierung verloren. Ist die Symbolik der aufgehenden Sonne dem heutigen Christen noch bekannt? Für die Titelseite des Trauerbildchens anlässlich einer Beerdigung wird heute von den Angehörigen gerne ein Bild mit einer sinkenden Sonne gewählt.

Darin finden sie ihre Trauer ausgedrückt. Der heilige Paulus schreibt jedoch: „Wir wollen Euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen.“ (1 Thess 4,13f) In der christlichen Beerdigung soll gerade dieser Glaube zum Ausdruck kommen. So ist auch das was für einen Sonnenuntergang gehalten wird oftmals ein Sonnenaufgang. Gerade in diesem Bild kommen der christliche Glaube und die darin begründete Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben zum Ausdruck.

Schließlich leitet auch das Wort Ostern selbst sich vom Wort Osten ab. Der Blick nach Osten ist stets ein hoffnungsvoller; hier beginnt der neue Tag. Ein kraftvolles Morgenrot kündigt an, dass hier die Sonne bald in vollem Glanz erstrahlen wird. Wenn menschlich gesehen, im Leben die Dämmerung heraufzieht, gibt allein der Blick auf Jesus Christus neue Hoffnung. Orientierung tut heute Not. Der Anfang hierzu könnte darin bestehen, sich bei der Feier des Gottesdienstes buchstäblich wieder zu orientieren.

Georg Alois Oblinger ist Rektor der Gebetsstätte Marienfried bei Neu-Ulm im Bistum Augsburg.



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