Klasnic-Kommissionsmitglied: Verjährung bei Missbrauch sinnvoll

23. März 2019 in Aktuelles


Richterin Caroline List bei Servus TV-Debatte zu Missbrauch in Kirche: Beweisbarkeit muss weiter gegeben sein - Kirche kommt mit unkomplizierter Beweisführung Opfer entgegen - Linzer Generalvikar Lederhilger: Kirche meldet jeden Misssbrauchsfall


Wien (kath.net/KAP) Die Frage, ob es bei Missbrauchsfällen eine Verjährung geben soll, hat die Präsidentin des Grazer Landesgerichts für Strafsachen, Caroline List, bejaht. Derzeit sei diese Frist vom Gesetzgeber ohnehin "sehr sehr lange" bemessen, und zwar bei der deliktischen Haftung im Zivilrecht. In diesem Fall treten die Verjährung erst 30 Jahren ab dem schädigenden Ereignis etwa im Fall von sexuellem Missbrauch oder Körperverletzung ein. Daneben gebe es die kürzere Verjährungsfrist von drei Jahren, wenn nicht der Schädiger selbst, sondern die dahinter stehende Institution für den Schadenersatz aufkommen soll.

Dem generellen Verzicht auf die Verjährungseinrede oder der generellen Aufhebung von Verjährungsfristen - in der Diskussionsendung forderte das der Opferanwalt Roman Schiessler - konnte List nichts abgewinnen. Da im Zweifel immer für den Angeklagten zu entscheiden sei und die Beweisführung möglich bleiben müsse, "habe ich als Opfer das große Problem der Beweisbarkeit und muss damit rechnen, dass der Beschuldigte freigesprochen wird. Denn der Prozess wird sich dann plötzlich auf ein bestimmtes Datum konzentrieren und man kann nicht mehr nachvollziehen, was an diesem Tag geschehen ist", so List, die auch der Klasnic-Opferschutzkommission angehört.

List äußerte sich am 20. März bei der Diskussion "Talk im Hangar" des Fernsehsenders "Servus TV", die dem Thema "Missbrauch in der Kirche" gewidmet war. Mit ihr debattierten unter Moderation von Michael Fleischhacker der Linzer Generalvikar Severin Lederhilger, der Anwalt Roman Schiessler von der Plattform Betroffene kirchlicher Gewalt, die Gründerin der Plattform "Wir sind Kirche", Martha Heizer, Christoph Zellenberg von der Plattform "kath.net" und Klaus Oberndorfer, der selbst von sexuellem Missbrauch durch einen Priester betroffen war.
Entscheidungen über eine Verjährung von Missbrauchsfällen oder auch über strafrechtliche Konsequenzen würden nie kirchliche Kommissionen treffen, "sondern immer die Staatsanwaltschaft", erklärte der Kirchenrechtler Lederhilger, der selbst an der Ausarbeitung der "Rahmenordnung gegen Missbrauch" der österreichischen Bischofskonferenz beteiligt gewesen war. Die Kooperation der Kirche mit den Staatsanwaltschaften sei eng, ausnahmslos alle Meldungen von Missbrauchsfällen würden von ihr an diese weitergeleitet, soweit die Beschuldigten noch am Leben sind. "Die Kirche schützt auf keinen Fall die Täter", betonte der Linzer Generalvikar.

Während im Zivilrecht drei Jahre nach der Tat das Recht auf Entschädigungszahlungen verliert, habe die Kirche in Österreich seit 2010 für Missbrauchs-Betroffene einen möglichst unkomplizierten, raschen Weg gefunden, um therapeutische und finanzielle Hilfe anzubieten, betonte Lederhilger. Entscheidend sei dabei eine sehr unterschiedliche Beweiswürdigung im Vergleich zu gerichtlichen Verfahren. "Es wird auf Glaubwürdigkeit abgestellt und besonderes Gewicht auf die Aussagen des Betroffenen gelegt", so der Generalvikar. Gutachten und Rechtsanwälte würden dabei kaum hinzugezogen und es gebe auch Zuerkennungen bei Fällen, in denen Betroffene oder Täter teils nicht mehr lebten.
Keine Deckelung bei Zahlungen

Hinsichtlich des Vorwurfs, die Kirche wolle sich durch die Opferschutzkommission in Wahrheit Geld sparen und leiste nur niedrige Zahlungen, betonte die Richterin List, die man orientiere sich dabei an den Sätzen der Rechtssprechung aus dem Jahr 2010, zudem seien diese Zuerkennungen nicht gedeckelt. Zwar gebe es bei der Höhe der Ausgleichszahlungen verschiedene Kategorien, bei denen die dritte bis zu 25.000 Euro betrage, "doch es gibt auch eine vierte Kategorie, die in vielen Fällen auch ausbezahlt worden ist: 35.000, 50.000 oder auch 100.000 Euro", so List. Auch sie wies darauf hin, dass die Grundlage dafür eine bloße Plausibilitätsprüfung sei, "wo nur das Opfer gehört wurde, unter traumapsychologischer Betreuung, nicht bei dem sonst üblichen schmerzhaften Beweisverfahren, das sich oft über mehrere Jahre hinzieht und womöglich negativ ausgeht".

List wandte sich zudem dagegen, die durchschnittliche Zahlungshöhe - sie beträgt 11.000 Euro - als Maßstab zu nehmen; er sei nicht aussagekräftig. "Die Zahlungen gehen in ihrer Hauptzahl auch an Menschen, die ein paarmal mit Rohstäbchen eine überbekommen oder Ohrfeigen erhalten haben und dafür 5.000 Euro bekamen, was sie bei einem Schadenersatzprozess vor Gericht nie erhalten würden. Dass sich zwei Drittel der 2.022 seit dem Kommissions-Start im Jahr 2010 ausgesprochenen Anerkennungen um Fälle mit körperlicher Gewalt und nur ein Drittel um sexuelle Gewalt handelte, gab Generalvikar Lederhilger zu bedenken. Der größte Teil davon sei an frühere Bewohner von Heimen gegangen - "und davon wären eigentlich nicht nur kirchliche Einrichtungen, sondern in gleichem Maße auch die staatlichen Einrichtungen betroffen".
"Wendepunkt nach Jahrhunderten"

Als Ursache des Missbrauchs sah List vor allem die institutionellen Strukturen. "Zwar gibt es auch Einzeltäter, doch meistens war das Problem dahinter ein geschlossenes System. Vor allem in den Heimen hatten die hier lebenden Kinder keine Möglichkeit, den Kummer und ihr Leid kundzutun. Wenn sie es taten, glaubten selbst die Eltern nicht." Was die Täter zu Tätern gemacht habe, seien viele Faktoren, so die Erfahrung der Richterin aus ihrer Tätigkeit bei der Opferschutzkommission: "Eine winzige Gruppe sind Pädophile, viele andere griffen auf Kinder und Gelegenheitsmenschen, da sie selbst keine anderen Sexualpartner hatten. Manche waren auch überfordert, teils nachdem sie selbst sexuelle Übergriffe erfahren haben und die Muster inhärent haben."

Nun bestehe jedoch Hoffnung, dass die Kirche "an den Wendepunkt einer jahrhundertelangen Entwicklung" angelangt sei, erklärte List; das Aufkommen der Menschen- und der Kinderrechte sowie die Beschäftigung mit Ursachen und Wirkung hätten dazu maßgeblich beigetragen. Von einem "Perspektivenwechsel" in den vergangenen drei Jahrzehnten sprach auch Lederhilger. Das frühere Tabu und die Skepsis gegenüber den Opfern auch in der Gesellschaft - noch in den 1970ern seien Meldungen wegen Missbrauch teils auch von Polizei oder Staatsanwaltschaft "einfach zurückgelegt worden" - hätten sich weitgehend aufgelöst. In der Kirche habe sich seit dem Entstehen der ersten Opferschutzkommissionen Mitte der 1990er-Jahre viel verbessert, und besonders seit 2010 sei "ein sehr großer Schritt nach vorne in Richtung Aufarbeitung geschehen".

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