Kardinal Schönborn: Missbrauchsvertuschung ist "Gegenevangelium"

13. März 2019 in Weltkirche


Wiener Erzbischof in "Vatican News"-Interview zum 6. Jahrestag der Wahl Jorge Bergoglios zum Papst: Konkretes Handeln von Franziskus bei Kinderschutz "äußerst kohärent" - Kinderschutzkonferenz habe "natürlich im Nachhinein auch Kritik erfahren"


Vatikanstadt (kath.net/KAP) Kardinal Christoph Schönborn sieht Missbrauch, Täterschutz und Vertuschung als Praktizierung eines "Gegenevangeliums", und er verteidigt die bisher erfolgten Schritte von Papst Franziskus zu besserem Kinderschutz in der Kirche. Er sei dem Papst sehr dankbar, dass er die Ende Februar veranstaltete große Kinderschutzkonferenz in Rom einberufen habe, sagte der Wiener Erzbischof am Dienstag in einem "Vatican News"-Interview zum sechsten Jahrestag der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio zum Nachfolger des Apostels Petrus.

Die Kinderschutzkonferenz habe "natürlich im Nachhinein auch Kritik erfahren", jedoch "zum Teil, wie ich glaube, zu Unrecht", so Schönborn: "Ich habe sie als äußerst positiv und zukunftsorientiert erlebt. Der Papst wollte deutlich machen, dass es in allen Teilen der Welt, in allen Teilen der katholischen Kirche durch die Einberufung aller Bischofskonferenz-Vorsitzenden ein klares gemeinsames Bemühen und Kämpfen darum geben muss, dass die Diener des Evangeliums nicht zu Boten des Gegenevangeliums werden, des totalen Gegenzeugnisses zur Barmherzigkeit."

Tatsächlich sei es "wirklich unvorstellbar, dass die, die von Jesus besonders privilegiert waren - die Kleinen, die Schwachen, die Kinder - Opfer von Missbrauch werden". Dies dürfe es in der Kirche einfach nicht geben, hob der Wiener Erzbischof hervor: "Darum sehe ich das so schmerzlich."

Das konkrete diesbezügliche Handeln des Papstes sei "äußerst kohärent" mit seinem Programm, wie er es am Anfang seines Pontifikats gewollt und gesagt habe, nämlich: "Die Freude des Evangeliums dürfen wir uns nicht nehmen lassen; sie muss wieder aufleben", sagte Schönborn. Demgegenüber bedeute Missbrauch, dass Menschen die Freude des Evangeliums geraubt und zerstört werde, und zwar durch Verkünder der Frohbotschaft - "Menschen, die eigentlich die Frohe Botschaft verkündigen sollten".

Papst Franziskus stelle sich hier klar auf die Seite der Betroffenen und sage, "dass unser erster Blick den Opfern von Missbrauch gelten muss". Er betone, dass es Missbrauch von Macht, von spiritueller Autorität, von sexuellem Verlangen und anderen menschlichen Triebkräften gebe. "Besonders Missbrauch Schwachen und Kleinen gegenüber ist so konträr gegenüber dem Evangelium, dass, wer die Freude des Evangeliums verkünden will, das Übel der Zerstörung dieser Freude natürlich bekämpfen muss", sagte der Kardinal in dem Interview.

Freude als Reformanliegen

Schönborn erinnerte zudem an das Papstschreiben "Evangelii gaudium". Dieses stelle das große Thema dieses Pontifikats dar, die Freude des Evangeliums: "Papst Franziskus hat uns allen von Anfang an zugerufen: 'Lasst euch die Freude am Evangelium nicht nehmen!'" Dies sei insofern ein Reformanliegen, weil ja die Barmherzigkeit stärker betont werden solle, wobei aus kirchengeschichtlicher Sicht "dieses Reformanliegen das ewige Anliegen" sei.

Es gelte, dass "wir alle, die wir Kirche sind", uns am Evangelium orientieren. Das bedeute auch Reform in den Institutionen, was ebenfalls "von Anfang an ein Anliegen des Papstes" gewesen sei, so der Wiener Erzbischof. Als von Franziskus ernanntes Mitglied der Kardinalskommission zur Aufsicht über die Vatikanbank könne er etwa das von Benedikt XVI. begonnene und Franziskus fortgesetzte Bemühen bezeugen, in den Finanzen der Vatikanbank "wirklich Ordnung zu schaffen".

Es sei aber noch viel zu tun, "auch an Modernisierung und Organisation", räumte der Wiener Erzbischof ein. Ziel sei immer, dass die Strukturen dem Evangelium dienten. Das sei bereits das Anliegen aller vorgehenden Päpste gewesen, und "in dieser Perspektive steht natürlich auch die Kurienreform", an der Franziskus von Anfang an zu arbeiten begonnen habe.

Den Stil von Franziskus bezeichnete Schönborn als "sehr erfrischend", wenn auch "manchmal ein bisschen verwirrend, weil der Stil eines Lateinamerikaners einfach anders ist als der Stil eines Bayern, eines Polen oder eines Norditalieners". Franziskus habe jedenfalls "die große Erfahrung der Kirche von Lateinamerika eingebracht", was "uns unglaublich gut" tue. Für die Kirche sei es nämlich "eine ganz wichtige neue Erfahrung, Europa, das alte Zentrum der Kirche, ein wenig zu verlassen".

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Archivfoto Kardinal Schönborn (c) Erzdiözese Wien


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