Pakistan: „Das Blasphemiegesetz zerstört Leben“

12. Jänner 2019 in Interview


Pakistan: Dominikanerpater Channan setzt sich für Dialog zwischen Christen und Muslimen ein - 187 Christen der Blasphemie beschuldigt, darunter Asia Bibi - „Gerade jetzt ist der Dialog wichtiger denn je“ - Interview von Tobias Lehner/Kirche in Not


München-Wien (kath.net/KIN) Dominikanerpater James Channan setzt sich seit Jahren für den Dialog zwischen Christen und Muslimen ein – in einem Land, in dem es immer wieder zu Ausschreitungen gegen die verschwindend kleine Minderheit der Christen kommt und ein Blasphemiegesetz jede vermeintliche Kritik am Islam unter drakonische Strafen stellt, nicht nur im Fall Asia Bibi. Channan leitet das „Peace Center“ in der pakistanischen Hauptstadt Lahore. Nach der Sisyphusarbeit im interreligiösen Dialog gefragt, lächelt der ruhige, international geschätzte Experte: „Gerade jetzt ist der Dialog wichtiger denn je.“ Er verweist auf den engen Kontakt mit zahlreichen muslimischen Religionsführern, mit denen er immer dann warnend eingreift, wenn die Lage zu eskalieren droht.

Channan war Ende November 2018 bei der Vorstellung des neuen Berichts „Religionsfreiheit weltweit“ beim deutschen Zweig der Päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“ zu Gast. Mit Tobias Lehner sprach er über die Auswirkungen der Blasphemiegesetze, hoffnungsvolle Entwicklungen in der islamischen Welt und die Zukunftsaussichten für Asia Bibi.

Kirche in Not: Die lebensgefährliche Situation vieler Christen in Pakistan hat für die Weltöffentlichkeit durch das Schicksal von Asia Bibi ein Gesicht bekommen. Nach Jahren in der Todeszelle wurde sie Ende Oktober 2018 vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen und aus dem Gefängnis entlassen. Doch noch immer sitzen sie und ihre Familie in Pakistan fest. Was wissen Sie über die aktuelle Situation?

Pater James Channan: Die Lage der Christen in Pakistan ist alarmierend. Sie leben in Angst und Unsicherheit. Diese Situation hält schon seit den Siebzigerjahren an, seitdem die islamische Gesetzgebung der Scharia in Pakistan als Quelle der Gesetzgebung dient. Vor allem das umstrittene Blasphemigesetz wird von radikalen Muslimen missbraucht, um persönliche Rechnungen zu begleichen. Wenn irgendwo ein Christ wegen angeblicher Blasphemie angeklagt wird, stehen gleichzeitig alle Christen in der Region am Pranger. Oft kommt es dann auch zu Ausschreitungen gegen Christen.

Genau das passierte auch im Fall Asia Bibi. Wegen angeblicher Blasphemie war sie neun Jahre in der Todeszelle. Auch nach ihrem Freispruch ist sie nach wie vor nicht sicher. Radikale Islamisten versuchen, sie ausfindig zu machen und zu töten. Daher steht sie unter staatlichem Schutz. Wir hoffen, dass das oberste Gericht bald den Freispruch nochmals bestätigt und keine weitere Revision zulässt. Dann kann sie hoffentlich ausreisen und mit ihrer Familie in Freiheit leben.

187 Christen der Blasphemie beschuldigt

Kirche in Not: Asia Bibi ist kein Einzelfall. Was wissen Sie über das Schicksal der Christen, die ebenfalls wegen Blasphemie angeklagt sind?

Pater Channan: Einem Bericht der katholischen Bischofskonferenz von Pakistan zufolge gibt es weitere 187 Fälle, in denen Christen wegen Blasphemie angeklagt sind. Darunter ist zum Beispiel das Ehepaar Shafqat Masih und Shagufta Bibi. Sie sind in der Todeszelle, ich habe sie dort besucht. Sie werden beschuldigt, blasphemische SMS verschickt zu haben. Das Paar bestreitet das. Ihre Zukunftsaussichten sind sehr düster. Selbst wenn sie doch noch freigesprochen werden sollten, werden sie und ihre Kinder nicht länger in Pakistan leben können. Fanatische Muslime werden versuchen, sie zu töten. Das Blasphemiegesetz zerstört das Leben der Angeklagten, auch wenn sie der Hinrichtung entgehen.

Kirche in Not: Nach dem Freispruch von Asia Bibi haben wir Bilder einer aufgeheizten Menge gesehen, die weiterhin ihre Hinrichtung fordert – und zwar so vehement und gewalttätig, dass die pakistanische Regierung Zugeständnisse gegenüber den Aufständischen gemacht hat. Haben die Christen in Pakistan vor diesem Hintergrund jemals eine Chance auf Religionsfreiheit?

Pater Channan: Dass die Regierung vor den Radikalen eingeknickt ist, war ein falsches Signal an die friedliebenden und gesetzestreuen Bürger Pakistans. Es entstand der Eindruck, dass eine Gruppe militanter Muslime jederzeit das ganze Land lahmlegen können. Aber der militante Islamismus hat in Pakistan keine Mehrheit. Es gibt entweder zehn bis 15 Prozent radikale Islamisten, die die Menschen zu Gewalt anstacheln. Aber die Mehrheit der Muslime folgt diesen Aufheizern nicht. Sie setzen sich für die Religionsfreiheit auch der Christen ein. Es war eine große Erleichterung für Christen und Muslime, dass die pakistanischen Sicherheitskräfte in jüngster Zeit über 1000 Islamisten festgenommen hat. Es war ein richtiger Schritt der Regierung, hart gegen den Extremismus vorzugehen. Und ich hoffe, dass das so bleibt.

Hoffnungsvolle Entwicklungen in der arabischen Welt

Kirche in Not: Sie setzen sich als Leiter des Friedenszentrums in Lahore seit Jahren für den christlich-muslimischen Dialog ein und arbeiten auch eng mit Imamen zusammen. Mitte November haben sie als einziger christlicher Vertreter am „World Tolerance Summit“ in Dubai teilgenommen. Welche Entwicklungen beobachten Sie in der islamischen Welt in Sachen Toleranz und Religionsfreiheit?

Pater Channan: Der Toleranz-Gipfel war eine großartige Erfahrung. Über 1000 Gelehrte, Regierungsvertreter und Wissenschaftler haben sich über interreligiösen Dialog und Frieden ausgetauscht. Gerade in den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es – trotz traditioneller religiöser Einschränkungen –Zeichen für einen Wandel hin zu mehr Toleranz. Ein schönes Beispiel ist die Umbenennung einer der größten Moscheen in der Hauptstadt Abu Dhabi. Sie trägt jetzt den Namen „Maria, Mutter Jesu“. Das ist ein schönes Zeichen des Respekts und des guten Willens gegenüber den Christen. Ich hoffe, das weitere muslimische Länder diesem Beispiel folgen, einschließlich Saudi-Arabien.

Kirche in Not: „Kirche in Not“ arbeitet seit vielen Jahren mit Ihnen zusammen. Aus europäischer Sicht scheinen die Möglichkeiten begrenzt, um die Situation zu verändern. Macht die Hilfe dennoch einen Unterschied für die Christen in Pakistan?

Pater Channan: Die Unterstützung von „Kirche in Not“ trägt immens dazu bei, dass die Kirche in Pakistan den Glauben verkünden und den Dialog fortsetzen kann. Durch diese Hilfe ist es uns gelungen, viele Brücken zwischen Christen und Muslimen zu bauen. Wir wollen zeigen, dass die verschiedenen Religionen keine Angst voreinander zu haben brauchen. Im Friedenzentrum in Lahore sind viele muslimische Geistliche, darunter der Großimam der zweitgrößten Moschee Pakistans, fester Bestandteil unseres Programms und enge Freunde. Ich bin überzeugt, dass eine gute und friedliche Zukunft im Dialog zwischen Christen und Muslimen begründet liegt.

Um die Seelsorge der bedrängten pakistanischen Kirche und den Einsatz für Dialog und Religionsfreiheit weiter unterstützen zu können, bittet „Kirche in Not“ um Spenden:

Kirche in Not Deutschland

Kirche in Not Österreich

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Foto Pater Channan (c) Kirche in Not


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