Aufarbeitung oder Tabuisierung von Fehlentwicklungen?

8. Oktober 2018 in Deutschland


„Würde man sich der Frage stellen, wie die ganzen sexuellen Vergehen von Priestern hätten verhindert werden können, müsste man erkennen, dass die Treue zur kirchlichen Sexualmoral extrem geholfen hätte.“ Gastkommentar von Pfr. N.N.


Bonn (kath.net) Vorletzte Woche haben sich die deutschen Bischöfe zur Vollversammlung in Fulda getroffen, um die Ergebnisse der Studie über den sexuellen Missbrauch an Kindern durch Geistliche zu besprechen. Ihr Vorsitzender, Kardinal Marx, ist danach mit bemüht betroffener Miene vor die Presse getreten und hat einige vage Erklärungen von sich gegeben.

Um es vorsichtig zu sagen: Bei mir und bei vielen anderen, mit denen ich gesprochen habe, ist dabei nicht der Eindruck entstanden, dass die Deutschen Bischöfe jetzt wirklich alle Missstände radikal aufdecken wollen, also nicht nur den sexuellen Missbrauch und die Vertuschung, sondern auch die tieferen Gründe, wie es dazu kommen konnte und warum es möglich war, dieses System so lange aufrecht zu halten. Zumal der eigentliche Missbrauchsskandal ja schon 2010 aufgebrochen ist und sich seitdem gefühlt nichts getan hat.

Was könnte die Deutschen Bischöfe von dieser Aufarbeitung abhalten? Ich glaube, hinter dem sexuellen Missbrauch und der Vertuschung stehen (mindestens) vier delikate Fehlentwicklungen, deren Aufarbeitung so folgenschwer wäre, dass sie lieber tabuisiert werden. Um was genau handelt es sich dabei?

Die erste tabuisierte Fehlentwicklung: Im kirchlichen Milieu der letzten Jahrzehnte ist die Vorstellung verbreitet worden, das Festhalten an Recht und Gerechtigkeit würde der Haltung Jesu widersprechen. Noch vor kurzem hat beispielsweise Papst Franziskus gesagt: „hinter der Kasuistik, hinter dem kasuistischen Denken liegt immer eine Falle, immer!“ So ist der Eindruck entstanden, dass diejenigen, die sich an das Recht halten, die Dummen sind, welche die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Deshalb hatten die Täter so wenig Skrupel, Gesetzte zu übertreten bzw. deshalb hatten die Verantwortlichen in den Bistumsleitungen so viele Hemmungen, das Recht anzuwenden und die Täter zu bestrafen. Insofern wird sich nichts verbessern, bevor in der Theologie nicht Recht und Gerechtigkeit wieder aufgewertet werden. Zumal wir ja an einen Gott glauben, dessen Reich auf Recht und Gerechtigkeit basiert. Das Gegenteil von Rechtskonformität ist nämlich nicht Liebe, sondern Unrecht; und das Gegenteil von Gerechtigkeit ist nicht Barmherzigkeit, sondern Ungerechtigkeit.

Die zweite tabuisierte Fehlentwicklung: Im kirchlichen Mainstream wird es seit einiger Zeit als ein hehres Ziel angesehen, die katholische Sexualmoral zu ändern. Ganz oben auf der Agenda stehen die Abschaffung des Zölibats, sowie die positive Bewertung von außerehelichem Geschlechtsverkehr und Homosexualität. Nun zeigen die Statistiken jedoch einen Zusammenhang von Homosexualität und Pädophilie bzw. Ephebophilie, weil der prozentuale Anteil der Homosexuellen unter den Tätern viel höher ist als unter den Nichttätern. Wer das Geschehene also unvoreingenommen aufarbeitet, muss zugeben, dass Homosexualität bei weitem nicht so positiv bewertet werden kann, wie führende Meinungsmacher allgemein verkünden. Zudem wäre das ganze Leid, das der sexuelle Missbrauch verursacht hat, erspart geblieben, wenn die Priester erkannt hätten, wie sinnvoll es ist, außerehelichen Geschlechtsverkehr zu meiden bzw. sich an das Zölibatsversprechen zu halten. Würde man sich also ernsthaft der Frage stellen, wie die ganzen sexuellen Vergehen von Priestern hätten verhindert werden können, müsste man erkennen, dass die Treue zur kirchlichen Sexualmoral extrem geholfen hätte.

Die dritte tabuisierte Fehlentwicklung: Seitdem in den achtziger Jahren einige Bischofsweihen unter dem lautstarken Protest von Gläubigen stattgefunden haben, ist man in der oberen Führungsriege der Kirche – wie man munkelt – zu der Übereinkunft gekommen, keine Kandidaten mehr zu Bischöfen zu ernennen, die umstrittenen sein könnten, sondern nur noch solche, die in keiner Weise anstößig sind. Das Ergebnis waren zwar ruhige Weiheliturgien, allerdings auch schwache Charaktere im Bischofsamt. Schon seit einiger Zeit gibt es im deutschsprachigen Raum fast nur noch Bischöfe, die sich nicht mehr trauen, auch solche Wahrheiten auszusprechen oder Maßnahmen durchzusetzen, die unpopulär sind und die ihnen die Verachtung der Gesellschaft einbringen. Wann bekommen wir endlich wieder Bischöfe, die auch dann die katholische Lehre vertreten, wenn sie dafür medial an den Pranger gestellt werden?

Die vierte tabuisierte Fehlentwicklung: Warum hat man die Priester, die sich an Minderjährigen vergangen haben, nicht aus der Kinder- und Jugendarbeit abgezogen, sondern immer wieder in anderen Gemeinden eingesetzt? Ein Grund mag sein, dass häufig gerade diese Priester darauf ausgerichtet waren, alles Anstößige in der katholischen Lehre zu verschweigen und bei den Leuten gut anzukommen, um das Vertrauen der Eltern und Kinder zu gewinnen. Die pädophilen Priester haben also besonders dann ein leichtes Spiel gehabt, wenn sie in den Gemeinden sehr beliebt waren. Sind dann Stimmen laut geworden, dass diese Priester übergriffig geworden sind, scheint bei den Entscheidungsträgern der Diözesen der Gedanke im Vordergrund gestanden zu haben: „Das ist ja einer unserer Besten, den können wir nicht wegschicken; der hat doch so viel Gutes getan und sich nur in ein paar wenigen Situationen unklug verhalten...“ Bis heute gilt allgemein in den diözesanen Personalkammern: Ein beliebter Priester ist ein guter Priester, ein unbeliebter Priester ist ein schlechter Priester. Dabei ist die Kirchengeschichte reich an Heiligen, die während ihres Lebens sehr unpopuläre Standpunkte vertreten haben. Vielleicht sollten sich jetzt im Zuge der Aufarbeitung die Verantwortlichen auch mal fragen, warum die Priester, die allseits beliebt sind, so hofiert werden, während diejenigen, die es auf sich nehmen, in den Gemeinden die katholische Lehre unverkürzt zu verkünden und dafür viel Kritik erdulden müssen, von der Bistumsleitung oft fallengelassen werden.

Der Name des Autors ist der kath.net-Redaktion bekannt. Aus gegebenen Gründen möchte der einem Bistum anhörige Pfarrer anonym bleiben.

Symbolbild: Fragezeichen und Kreuz




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