„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“

29. August 2018 in Kommentar


Missbrauch und Homosexualität: Weihbischof Eleganti (Chur) spricht eine unbequeme Wahrheit aus, die Diözese St. Gallen antwortet mit alternativen Fakten. Gastkommentar von Tobias Klein


St. Gallen (kath.net) Seit der öffentlichen Maßregelung des emeritierten Erzbischofs von Washington, D.C., Theodore E. McCarrick, wegen glaubwürdiger Vorwürfe vielfacher sexueller Übergriffe gegen Minderjährige und Priesteramtskandidaten ist das Thema des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche erneut in aller Munde. Dabei handelt es sich jedoch nicht einfach um eine Fortsetzung oder Neuauflage früherer Missbrauchsskandale. Ein entscheidender Schwerpunkt der neueren Enthüllungen – ausführlich dokumentiert z.B. im Blog des Journalisten und „Benedikt-Option“-Autors Rod Dreher, der bereits an der journalistischen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals des Jahres 2002 in den USA bedeutenden Anteil hatte – betrifft die Existenz von Seilschaften aktiv homosexueller Priester; Seilschaften, die sich oft schon in den Priesterseminaren herausbilden und sich durch die Förderung klerikaler Karrieren im Austausch gegen sexuelle Gefälligkeiten bis in höchste Ränge der kirchlichen Hierarchie hinein fortsetzen. Dafür, dass es Querverbindungen zwischen solchen Homosexuellen-Netzwerken und Fällen extremer sexueller Gewalt gegen Minderjährige gibt, stellt nicht nur Ex-Kardinal McCarrick selbst ein drastisches Beispiel dar; weitere Belege lassen sich anhand des unlängst veröffentlichten „Grand Jury“-Reports über Missbrauchsfälle in sechs der acht Diözesen des US-Bundestaates Pennsylvania aufzeigen.

Auf diese Fakten bezog sich der Weihbischof von Chur, Marian Eleganti, als er jüngst in einem Interview mit dem katholischen Fernsehsender EWTN am Rande des Weltfamilientreffens in Dublin erklärte, man dürfe „nicht ignorieren, dass die Homosexualität im Missbrauchskandal der Kirche eine Rolle spiele“. Man müsse blind sein, wenn man leugnen wolle, „dass wir da ein Problem haben in der Kirche mit der Homosexualität“, so der Schweizer Bischof.

Ein Beleg dafür, wie verbreitet eine solche willentliche Blindheit selbst innerhalb der Kirche ist, ließ indes nicht lange auf sich warten: Über die Social-Media-Kanäle Facebook und Twitter ließ die Diözese St. Gallen verbreiten, sie widerspreche der Aussage von Weihbischof Eleganti und distanziere sich „deutlich“ davon: Es sei „unerträglich, dass die Thematik der Übergriffe mit dem Thema der Homosexualität verbunden wird“.
Die Rhetorik dieses Einspruchs ist bezeichnend: Ob man eine Aussage „erträglich“ findet oder nicht, sagt schließlich noch nichts über ihren Wahrheitsgehalt aus. Oder, wie die katholische Schriftstellerin Flannery O'Connor (1925-1964) es formulierte: „Die Wahrheit richtet sich nicht danach, ob wir in der Lage sind, sie zu verdauen.“

Zu betonen ist, dass selbstverständlich nicht alle Missbrauchstäter homosexuell sind, und erst recht kann man nicht alle Homosexuellen für Missbrauch verantwortlich machen. Das hat jedoch auch Weihbischof Eleganti nicht behauptet oder unterstellt. Das Phänomen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche ist insgesamt zu umfangreich und zu komplex, um es in Gänze auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Zweifellos gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die eine seriöse Ursachenforschung in Betracht ziehen muss. Ebenso wäre es verfehlt, das Thema Missbrauch einseitig einem kirchenpolitischen „Lager“ zuzuordnen: Als „konservativ“ geltende Diözesen und Seminare sind von Cliquenbildungen, die sexuelle Übergriffe und deren Vertuschung begünstigen, ebenso betroffen wie „liberale“. Aber die Behauptung, sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche habe nichts mit Homosexualität zu tun, ist so offensichtlich falsch, dass es einigermaßen fraglich erscheint, ob die Vertreter dieser These eigentlich selbst glauben, was sie sagen. Der im Facebook-Beitrag der Diözese St. Gallen geäußerte Vorwurf, Weihbischof Elegantis Stellungnahme sei „das Gegenteil von seriösen Anstrengungen, künftig sexuelle Übergriffe zu verhindern und die geschehenen schlimmen Taten an Opfern aufzuarbeiten“, fällt letztlich auf die Urheber selbst zurück: Es entsteht der Eindruck, die Verantwortlichen in der Diözese St. Gallen seien an einer wirklich vorbehaltlosen Aufklärung der Missbrauchsfälle und ihrer Hintergründe nicht interessiert und wollten die Wahrheit nur dann wissen, wenn diese mit einer politisch korrekten Weltsicht vereinbar ist.

Das St. Gallener Social-Media-Statement schließt mit dem Vorwurf an Weihbischof Eleganti, seine Äußerung verletze „homosexuelle Menschen in ihrer Würde“, und das sei „nicht akzeptabel“. Darüber, ob es nicht auch und erst recht eine inakzeptable Verletzung der Würde der Opfer homosexueller Übergriffe ist, offen zu Tage liegende Zusammenhänge zu ignorieren oder wegdiskutieren zu wollen, haben die Urheber dieses Statements sich offenbar erheblich weniger Gedanken gemacht.

Dr. Tobias Klein ist Journalist und Blogger. Er hat das Buch „Die Benedikt-Option: Eine Strategie für Christen in einer nachchristlichen Gesellschaft“ von Rod Dreher in die deutsche Sprache übersetzt.

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