Reise in Kirche, die sich durch ihre Opfer bekehren lassen will

26. August 2018 in Kommentar


Wo 1,2 Millionen Iren Johannes Paul II. zujubelten, bittet sein Nachfolger um Vergebung für vielfaches Versagen der Kirche. Beim Weltfamilientreffen/Dublin zeigt sich verunsicherte, zugleich gestärkte Kirche - Korrespondentenbericht von Roland Juchem


Dublin (kath.net/KAP) Innerhalb von nur vier Stunden am Samstagabend muss Papst Franziskus sich quasi Hölle und Himmel anhören: Eineinhalb Stunden lang spricht er mit acht Überlebenden von Missbrauch und Misshandlung in Irlands Kirche. Später im Croke-Park-Stadion erzählen ihm Familien aus fünf Ländern begeistert von ihren Freuden und Leiden. Und wie sie letztere erfolgreich meistern. Wie geht das zusammen?

Anlass der Irland-Reise des Papstes ist das neunte Weltfamilientreffen. Überschattet wird der Besuch aber vom Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche - nicht nur medial. Sowohl Irlands Staatspräsident Higgins und Premierminister Varadkar wie auch mehrere Bischöfe des Landes sprachen das Thema vor und zu Beginn der Reise öffentlich an. Und erwarteten Konkretes. Premier Varadkar forderte den Papst auf, "Amt und Einfluss zu nutzen", um eine echte Aufarbeitung und Wiedergutmachung in Irland und weltweit sicherzustellen.

In dieser Hinsicht enttäuscht Franziskus' Rede vor Politikern, Diplomaten und anderen Gesellschaftsvertretern am Samstagvormittag allerdings. "Nichts Neues", befand nicht nur Marie Collins, prominentes Opfer von Missbrauch in Irlands Kirche. Anders bei dem erwarteten Gespräch mit Opfern in der Nuntiatur.

Überlebende der "Mother and Baby Homes" äußern sich anschließend zufrieden. "Ein sehr starkes Treffen; er hat uns wirklich interessiert zugehört", sagt Clodagh Malone, die in einem dieser Heime "für gefallene Mädchen" zur Welt kam, ihrer Mutter weggenommen und im Alter von zehn Wochen zwangsadoptiert wurde. Marie Collins, die bei dem Gespräch in der Nuntiatur ebenfalls dabei ist, sagt anschließend, der Papst habe aber auch bestätigt, er plane keine weiteren rechtlichen Regelungen. Die bestehenden genügten.

Am Sonntagmorgen dann eine vermeintliche mediale Bombe: Auf einem Internetportal wird ein Bericht des früheren Papstbotschafters in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, veröffentlicht. Unter anderem bezichtigt dieser Papst Franziskus der Vertuschung im Fall des zurückgetretenen US-Kardinals McCarrick. In den Ausführungen Viganos bleiben aber etliche Fragen offen. Durchgehend glaubwürdig klingt das alles nicht. Eine offizielle Reaktion des Vatikan dazu ist bis Sonntagabend noch nicht bekannt.

Enthüllungen trafen irische Seele bis ins Mark

Die Menschen in Irland sind von Missbrauch, Misshandlung und Vertuschung durch Kleriker auch deshalb so getroffen, weil die katholische Kirche über fast 500 Jahre englisch-protestantischer Besatzung irische Identität sicherte. Die Enthüllungen zu Missbrauch und Vertuschung - auch im Vatikan - trafen die irische Seele bis ins Mark. Aus den Gesichtern und der wütenden, oft brechenden Stimme der Opfer, die davon erzählen, ist all das mit herauszulesen.

Im Marienwallfahrtsort Knock betet der Papst mit 45.000 Gläubigen in einer Schweigeminute, unterbrochen nur durch Glockenschläge, für "alle Opfer und Überlebenden von Missbrauch". Knock liegt im Erzbistum Tuam. Die Kleinstadt war international bekannt geworden, weil 2014 dort anonyme Massengräber mit Kinderknochen gefunden worden waren - auf dem Gelände eines der zehn ehemaligen "Mother and Baby"-Heime Irlands. In diesen waren insgesamt rund 35.000 ledige Mütter, sogenannte "gefallene Frauen", untergebracht. Sie mussten dort zum Teil Zwangsarbeit verrichten und wurden von ihren Kindern getrennt, die wiederum zur Adoption freigegeben wurden.

Es ist auch dieser geschichtliche Hintergrund, vor dem am Samstagabend in Irlands größtem Stadion mit knapp 80.000 Menschen das farbenfrohe, lautstarke Familienfestival stattfindet: Tanz, Musik, Gesang und etliche hoffnungsvolle Statements. Franziskus genießt die Feier, die sich bis in den späten Abend zieht, sichtbar. Nach rund drei Stunden Programm erweitert er seine ohnehin ausführliche Rede über Schönheit und Herausforderungen des Familienlebens mit etlichen Einlassungen.

Christliche Ideale lebensnah vermitteln

Das Treffen in Dublin trägt den Titel "Das Evangelium von der Familie - Freude für die Welt". In den Gesprächen, Workshops und Reden dieser Tage geht es um unterschiedlichste Erfahrungen realer Familien; oft zitierte Grundlage ist "Amoris laetitia". Mit seinem Schreiben über Ehe und Familie will Franziskus will christliche Ideale lebensnah vermitteln und lebbar machen.

Wer früher solchen Idealen der Kirche nicht entsprach - nicht nur, weil er anders dachte, sondern auch weil er nicht aufgeklärt wurde, unmündig gehalten, gar missbraucht wurde oder weil das Leben ihm schlecht mitspielte -, für den hatte das schlimme Konsequenzen. Irland kann Tausende solcher Schicksale erzählen.

Das Weltfamilientreffen ist der Versuch, in einer Gesellschaft, die über Sex, Ehe, Familie und Autorität heute oft anders denkt als die Kirche, weiterhin für katholische Ideale zu werben. Ohne jene zu verdammen, die anders denken. Dass die Kirche dies tut, ist unter anderem den Stimmen jener Opfer zu verdanken, deren "Schrei stärker war als die Maßnahmen all derer, die versucht haben, ihn totzuschweigen", wie Franziskus in seinem Brief am vergangenen Montag schrieb.

Und so bekennt der Papst im Schuldbekenntnis der Abschlussmesse so ausführlich wie nie das Versagen der Kirche. Bittet um Vergebung für Missbrauch, Misshandlung und Vertuschung. Dazu hatten ihn die Überlebenden, mit denen er am Samstagabend sprach, aufgefordert. Er könne damit ein "kleines Wunder" bewirken.

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