Wer spaltet Deutschland?

25. Juli 2018 in Kommentar


„Mesut Özil, der Deutsche Fußballbund, die Migranten, Seehofer, die Muslimverbände, Merkel, die AfD?“ Gastkommentar von Oberkirchenrat i.R. Klaus Baschang


Karlsruhe (kath.net) Wer spaltet Deutschland? Mesut Özil, der Deutsche Fußballbund, die Migranten, Seehofer, die Muslimverbände, Merkel, die AfD? Keine politische Meldung kommt zurzeit ohne den Vorwurf aus, dass das gemeldete Ereignis Deutschland spaltet und darum auch Europa und wegen Trump auch… usw. Der Vorwurf der Spaltung greift Ängste auf und löst weitere Ängste aus. Das Schauspiel der Vorwürfe, die sich gegenseitig aufschaukeln, findet nicht nur in den großen Stadien der öffentlichen Medien statt. In den sog. sozialen Medien werden im Schutz der Anonymität geradezu Partisanenkämpfe ausgetragen. Jede der streitenden und bestrittenen Positionen erhebt ihren Moralanspruch. Moral steht gegen Moral, Moral wird zum Kampfmittel. Sie spaltet und verbindet nur dort, wo die eigene moralische Position dadurch weitere Durchschlagskraft bekommen soll. Die mehrfach, auch vom Bundespräsidenten, kritisierte Verrohung der Sprache, ist die Folge des Moralstreits, der die Sachfragen überwölbt und vernebelt und so unklar werden lässt, dass wieder neue Ängste… usw.

Werte werden beschworen. Auf Skalen abgetragen und nach unten und oben verschoben, von ihrer Herkunft gelöst, ihres Sinnes beraubt. Freiheit z. B. lebt nicht aus sich selbst heraus. Sie ist im Abendland in einem zähen Ringen zwischen geistlicher und politischer Autorität entstanden, bis sie schließlich im deutschen Grundgesetz in Artikel 4 als Glaubens- und Gewissensfreiheit normativ wurde. Gilt diese Glaubensfreiheit auch uneingeschränkt für Bewegungen, die genau diesen Unterschied von Religion und Politik leugnen und bekämpfen? Darf denn darüber nicht so vorurteilsfrei diskutiert werden wie über Straßenverkehrsregeln?

In Deutschland wird niemand gezwungen, einem Sportverein beizutreten und Fußball zu spielen. Und niemand wird verfolgt, wenn er dabei weltweit bekannt und superreich wird.

Zur Offenheit unserer Gesellschaft gehört freilich auch die Distanz zu Machthabern, die mit diktatorischen Maßnahmen die innerstaatlichen Freiheitsrechte bei sich abschaffen und Deutschland regelmäßig über die Medien beschimpfen. Wer solche Wahlkampfhilfe leistet, hat noch Integrationsdefizite. Er hat bei uns keinen Anstand gelernt. Und das kann spalten.

Unbestritten ist, dass es europäische Regeln für die Asyl- und Flüchtlingsfrage gibt. Auch ist wohl unbestritten, dass es diese Regeln überstaatlich, also europaweit geben muss. Aber nahezu jede Nachrichtensendung zeigt bisher, dass diese Regeln nicht eingehalten werden. Sie bewirken trotz ihrer guten Absichten nichts. Das haben die Bürger jahrelang erlebt. Darf dann von ihnen erwartet werden, dass sie andere Regeln für das gemeinschaftliche Alltagsleben beachten?

Bei günstigem Klima breiten sich Pilze rasch aus. Auch Spaltpilze in einer Gesellschaft, die sich an ihrer eigenen Moral erfreuen und so ihr Leben absichern will. „Bete und arbeite“ hatte Benedikt der Große (480-547) dem Abendland in das Stammbuch geschrieben. Wir bleiben nicht auf uns selbst fixiert, wenn wir Gott zum Gegenüber haben. Wir können uns in dieser irdisch-himmlischen Spannung des Glaubens sogar verändern, korrigieren, auch entschuldigen und um Vergebung bitten. Wer in seinem religiös-kulturellen Stammbuch das Stichwort „kismet“ hat, hat es ungleich schwerer. Dieser Glaubenssatz nötigt zu dauerhafter Unterwerfung. In den gegenwärtigen Debatten mit den unsäglichen Spaltungsvorwürfen kommt diese religiöse Dimension unserer Kultur nicht zu Sprache. Dabei hat sie massive politische Folgen.

Wir sind mit unseren aufgeregten Seelen zu nahe an den Alltagsproblemen. Die heilsame Distanz abendländischer Religion fehlt. Die Dinge des Alltags werden zu heiligen Sinnstiftern hochgejubelt. Bei seiner Deutschland-Reise hat Benedict XVI. in seiner Rede in Freiburg von „Entweltlichung“ gesprochen. Das ist keineswegs nur materiell zu verstehen, arme Kirche etwa. Es ist die Distanz von den alltäglichen Verwirrungen, eine Distanz, die aus dem Glauben kommt und zu verantwortlichem Leben befähigt. Der deutsche Papst hat mit dem Begriff „Entweltlichung“ einen Zentralbegriff des evangelischen Theologen Rudolf Bultmann (1884-1976) aufgenommen. Der beste Beitrag der Kirchen zur friedlichen Gestaltung der Gesellschaft besteht mithin nicht in modernistischen Anpassungen, sondern in der unerschrockenen Verkündigung der Wahrheit der Heiligen Schrift. Oder – mit Karl Barth, dem anderen großen Nachkriegstheologen deutscher Sprache geredet: „Es gibt keinen intimeren Freund des gesunden Menschenverstandes als den Heiligen Geist und keine gründlichere Normalisierung des Menschen als im Widerfahrnis seines Werkes“.

Klaus Baschang wurde 1976 zum Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Baden berufen, von 1991 bis 1998 war Baschang zudem ständiger Stellvertreter des Landesbischofs.

Symbolbild: Spalten



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