Die Beleidigung tötet die Zukunft des anderen

14. Juni 2018 in Aktuelles


Franziskus in Santa Marta: die Radikalität Jesu. Von der Beleidigung zur Aussöhnung und zur Freundschaft. Der Karneval der kreativen Beleidigungen, der schon beim Autofahren in der Stoßzeit beginnt. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Wenn ich beleidige, vielleicht sogar im Auto zur Hauptverkehrszeit, aber öfter aus Neid, beginne ich, den anderen zu töten, ich nehme ihm das Recht, achtungsgebietend zu sein, ich töte seine Zukunft. Die Versöhnung, die Jesus von uns verlangt, ist radikal: die Würde des anderen respektiert und auch meine. Die unterstrich Papst Franziskus erneut in seiner Predigt zum Tagesevangelium (Mt 5,20-26) bei der heiligen Messe in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses „Domus Sanctae Marthae“ am Donnerstag der zehnten Woche im Jahreskreis.

„Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen“, so Jesus im Evangelium (V. 25). Die Einladung Jesu an die Jünger sei „menschliche Weisheit: immer ist eine schlechte Übereinkunft besser als eine gute Verurteilung“. Um seine Lehre über die Beziehung der Liebe, der Nächstenliebe zu unseren Brüdern und Schwestern gut verstehen zu lassen, verwende der Herr ein „Beispiel aller Tage“. Aber dann „geht er weiter und erklärt das Problem der Beleidigungen“.

Bei den von Jesus zitierten Beleidigungen handle es sich um „antiquierte“ Formen, so Franziskus lächelnd: „Wir haben eine Liste von blumigeren, folkloristischeren, bunteren Beleidigungen“. Und es sei schwer, weil Jesus dem Gebot „Du sollst nicht töten“, hinzufüge: „der, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein“ (V. 22):

„Der Herr sagt: die Beleidigung endet nicht in sich selbst. Sie ist eine Tür, die sich auftut, es heißt, einen Weg einzuschlagen, der dabei endet, den anderen zu töten“. Denn „die Beleidigung „ist der Anfang des Tötens, es bedeutet, den anderen zu disqualifizieren, ihm das Recht zu nehmen, geachtet zu werden, es bedeutet, ihn beiseite zu legen, ihn vor der Gesellschaft zu töten“.

Franziskus wandte sich an die Menschen von heute, „die wir es gewohnt sind, die Luft der Beleidigungen zu atmen“. Es genüge, „mit dem Auto während der Hauptverkehrszeit zu fahren. Es gibt da einen Karneval von Beleidigungen. Und die Leute sind kreativ, wenn es darum geht, zu beleidigen“. Und die kleinen Beleidigungen, „die zufällig in der Hauptverkehrszeit während des Autofahrens gesagt werden, werden danach zu großen Beleidigungen“. Die Beleidigung hebe das Recht einer Person auf: „Nein, hör nicht auf ihn, das ist so einer, der..“ – Mit derartigen Worten steinigt man einen Menschen. Diese Person hat kein Recht mehr, zu sprechen, ihre Stimme wurde ausgelöscht“.

Die Beleidigung sei extrem gefährlich, „denn viele Male entsteht sie aus Neid“. Wenn ein Mensch eine geistige oder körperliche Behinderung habe, „bedroht er mich nicht, und wir haben keine Lust, ihn zu beleidigen. Doch wenn ein Mensch etwas tut, das nicht gefällt, dann beleidige ich ihn und bezeichne ihn als ‚Behinderten’: geistig behindert, sozial behindert, familiär behindert, ohne die Fähigkeit, sich zu integrieren... Und das tötet: es tötet die Zukunft eines Menschen. Es tötet den Weg eines Menschen. Es ist der Neid, der die Tür öffnet, denn wenn ein Mensch etwas hat, das mich bedroht, bringt mich der Neid dazu, ihn zu beleidigen. Fast immer ist da der Neid gegeben“.

Das Buch der Weisheit „sagt uns, dass aus Neid des Teufels der Tod in die Welt gekommen ist. Es ist der Neid, der den Tod bringt“. Wenn wir sagten: „ich beneide niemanden“, dann müssten wir gut nachdenken: „jener Neid ist versteckt, und wenn er nicht verborgen ist, ist er stark, er ist fähig, dich grün und gelb werden zu lassen, wie bei der Galle, wenn du krank bist“. Menschen mit einer „vor Neid gelben und grünen Seele, die sie zur Beleidigung führt, die sie dazu führt, den anderen zu zerstören“.

Doch Jesus stoppe diesen Weg: „Nein, das darf man nicht tun“. Dies gehe so weit, dass, „wenn du zum Beten gehst, wenn du zur Messe gehst und merkst, dass einer deiner Brüder etwas gegen dich hat, du hingehen sollst, um dich mit ihm zu versöhnen“:

„Jesus ist so radikal. Die Versöhnung ist keine Haltung aus guten Manieren, nein: sie ist eine radikale Haltung, sie ist eine Haltung, die die Würde des anderen und auch meine eigene zu respektieren versucht. Von der Beleidigung zur Versöhnung, vom Neid zur Freundschaft. Das ist der Weg, den Jesus uns heute gibt“.

Abschließend erklärte der Papst: „es wird uns gut tun heute, darüber nachzudenken: ‚wie beleidige ich?’“:

„Wann nehme ich den anderen mit Beleidigungen von meinem Herzen weg? Und zu sehen, ob da jene bittere Wurzel des Neids ist, der mich dazu bringt, den anderen zerstören zu wollen, um ihn beim Wettbewerb zu überwältigen. Das ist nicht leicht. Doch denken wir daran: wie schön ist es doch, niemals zu beleidigen. Das ist schön, denn auf diese Weise lassen wir die anderen wachsen. Der Herr schenke uns diese Gnade“.

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