Kirchliche Kritik an Medien nach ‘Freitod’ eines 104-Jährigen

13. Mai 2018 in Schweiz


IMABE-Geschäftsführerin Kummer:"Wenn der 'Seniorenfreitod' positiv besetzt wird, ist das ein besorgniserregendes Signal" - Australier David Goodall am Donnerstag nach tödlicher Infusion in Basel gestorben.


Wien-Basel (kath.net/ KAP)
Heftige Kritik am Umgang der Medien mit dem assistierten Suizid eines 104-jährigen Australiers in der Schweiz hat die Geschäftsführerin des Wiener Bioethik-Instituts IMABE, Susanne Kummer, in einer "Kathpress" vorliegenden Stellungnahme geübt. Der 104-jährige australische Wissenschaftler David Goodall nahm sich am Donnerstag in Basel mit Hilfe des Schweizer Vereins "lifecircle" und der Partnerorganisation "Exit International" das Leben. In Australien ist Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen verboten, Goodall flog deshalb eigens in die Schweiz. Der Botaniker, der bis vor zwei Jahre noch an einer Universität arbeitete, hatte einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich. Er klagte über Altersschwäche.

Medial sei Goodall als neue "Ikone der Sterbehilfe" bezeichnet worden, problematisiert Kummer. Der internationale Medienrummel sei enorm gewesen, nur sehr wenige Medien wiesen in Zusammenhang mit Goodalls Suizid auf Hilfsangebote für Menschen mit Suizidgedanken hin, kritisiert die Ethikerin und frühere Journalistin: "Der Fall Goodall sollte Medienschaffende dazu bringen, ihre Berichterstattung im Zusammenhang mit Suiziden kritisch zu reflektieren."

Medien hätten eine hohe Verantwortung in Sachen Suizidprävention: Während Suizide sonst generell als tragische Ereignisse eingestuft werden wie im Fall von DJ Avicii oder des Schauspielers Robin Williams, werde die Beihilfe zum Selbstmord im Fall Goodall nun weltweit als eine mutige und in gewisser Weise lösungsorientierte Handlung präsentiert, bemerkt Kummer kritisch. Laut der Ethikerin sei dies "sehr problematisch", da es bei gefährdeten Menschen einen Nachahmungseffekt auslösen kann. Umgekehrt könne eine adäquate Medienberichterstattung aber auch einen suizidprotektiven Effekt haben.

Kummer: "Medien müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie - bewusst oder unbewusst - ein Klima schaffen, in dem sich ältere, kranke und vulnerable Menschen immer mehr unter Druck gesetzt fühlen. Der Gedanke, dass sie eine Last sind und durch ein sozialverträgliches Frühsterben ihren Mitmenschen viel ersparen könnten, auch finanziell, schwingt subtil mit."

Die Ethikerin erinnert daran, dass in den Niederlanden bereits über die "Letzte-Wille-Pille" für ältere, aber noch gesunde Menschen debattiert wird. "Die Hochstilisierung der Selbstbestimmung hat inzwischen zu einer Abwertung des Lebens geführt: Wenn Optionen wie der 'Seniorenfreitod' positiv besetzt werden ist das ein besorgniserregendes Signal", warnt Kummer.

Die IMABE-Geschäftsführerin unterstreicht, dass Suizidgefährdung bei älteren Menschen ein ernstzunehmendes Problem sei. Erst kürzlich habe der Schweizer Alterspsychiater Raimund Klesse darauf hingewiesen und betont, dass jeder Mensch, der sich das Leben nehmen will, in einer seelischen Notlage sei. "Suizidwillige brauchen Menschen, die ihnen im Leben beistehen - nicht solche, die ihnen den Giftbecher reichen", zitiert Kummer den Schweizer Psychiater.

WHO-Richtlinien für Medien

Kummer verweist im Hinblick auf die Medien auch auf den Suizidpräventionsbericht der WHO. Medien sollten über Suizide zurückhaltend berichten und darauf verzichten, die Umstände einer Selbsttötung detailliert zu beschreiben, so eine der WHO-Forderungen. Bereits im Jahr 2008 habe die WHO eigene Richtlinien zur Darstellung von Suizid in Medien erlassen. "Leider wurden diese im Fall Goodall von vielen ignoriert", kritisiert Kummer. Medienschaffende würden darin aufgefordert, sowohl eine "Sensationssprache" als auch "normalisierende Darstellung von Selbstmord als Lösung für Probleme" zu vermeiden, ebenso eine "prominente Platzierung von Geschichten über Selbstmord" sowie eine "explizite Beschreibung der verwendeten Methode". Besondere Zurückhaltung sollte bei der Berichterstattung über Promi-Selbstmorde geübt werden.

Kummer weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass der Verein "lifecircle" bzw. dessen Präsidentin Erika Preisig unter dem Motto "Selbstbestimmt leben - selbstbestimmt sterben" international für die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid kämpft, etwa auch für einsame, ältere Menschen, ohne schwerwiegende Erkrankung. Der Verein betreibt seit 2012 im Raum Basel eine Wohnung zur Freitodbegleitung. Hier begehen die Mitglieder ihren Suizid - die Kosten sind nicht unerheblich: Ausländer bezahlen 10.000 Franken, Einheimische 3.000 Franken. Wie Kummer schreibt, läuft gegen Preisig derzeit ein Strafverfahren. Ihr werde vorgeworfen, das tödliche Arzneimittel Natrium-Pentobarbital für ihre Suizid-Klienten nicht rechtskonform zu beziehen.

"Kein Recht auf Tötung"

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat sich am Donnerstag kritisch zum Fall Goodall geäußert. "Was organisierte Sterbehelfer als schöne, neue Welt verkaufen, ist ein fatales Signal an die Gesellschaft", sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Gewerbliche Hilfe zur Tötung habe nichts mit Solidarität zu tun. "Vielmehr ist das ein Anschlag auf die Hilfeleistungsethik", so Brysch. "Es gibt ein Recht auf Sterben, aber kein Recht auf Tötung."

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