Pelagius zu „Neo-Pelagianismus“

9. April 2018 in Kommentar


Zwischenruf aus dem Fegefeuer. Eine Glosse. Gastkommentar von Pfr. Stephan Spiegel


Augsburg (kath.net) Es muss in der Kirche anno domini 2018 eine ganz gefährliche Spezies Mensch existieren: die „Neopelagianer“ oder „Neognostiker“. Doch der Reihe nach. Ich, Pelagius, bekam im Fegefeuer doch tatsächlich Besuch vom heiligen Petrus. Der aktive Amtsinhaber des Petrusdienstes auf Erden belegt fromme brave Katholiken mit diesen Begriffen. Sogar die Glaubenskongregation musste angeblich das Ganze neulich mit einem Dokument theologisch untermauern. Und so bekam ich das Angebot vom sichtlich aufgebrachten Petrus, meine Fegefeuerzeit beenden zu dürfen, wenn ich, Pelagius, als geborener Experte dazu Stellung nehme.

Nun, als erstes finde ich es ein Unding, meinen unbescholtenen Namen und meine klare Theologie in einen Topf zu werfen mit dem Gnostizismus. Da ist es egal, ob man ein „Neo“ voranklebt oder nicht. Der Gnostizismus ist mit seinen vielen Spielarten eine verschwurbelte Erleuchtungslehre für die in die je eigene Gruppe Eingeweihten. Mit ihren Erkenntnissen wollen sie sich vergöttlichen und machen darum irgendwelche mystischen Eiertänze. Die meisten verwechselten dabei ihren eigenen Vogel mit dem Heiligen Geist. Im New Age auf Erden dieser Tage erlebt das Ganze eine z.T. säkularisierte Neuauflage. Die Gnostiker sind so sehr auf ihre Erleuchtung aus, dass sie den Leib in der Regel sehr geringschätzig betrachten. Soll mit „Neognostizismus“ nun das esoterische Geschwurbel des New Age kritisiert werden? Eher nicht, die Zielrichtung geht unausgesprochen gegen die sogenannten konservativen oder traditionell eingestellten Katholiken, die man als „heilssubjektivistisch“ vernagelt in die Schmuddelecke stellt. Im Visier sind auch die Gläubigen, die ordentlich oder außerordentlich die heilige Liturgie als Schnittmenge zum Übernatürlichen sehen und deshalb eine besondere Ehrfurcht vor der liturgischen Ordnung haben. Wie man auf solch eine Gleichsetzung von Gnostizismus und Liebe zur göttlichen Liturgie kommen kann, ist mir nicht nachvollziehbar. Die Wertschätzung und Liebe zur klassischen Liturgie, die vor Sinnesfreude nur so überfließt, und in der wir uns nicht selbst erleuchten sondern vom Herrn mit unzähligen Gnaden beschenkt werden, die allen offen ist und nicht nur dem Geheimzirkel der Erleuchteten, ist das krasse Gegenteil von Gnostizismus. Die angeblichen „Tradis“ sind mitnichten in einem wie auch immer gearteten „Heilssubjektivismus“ verschlossen noch haben sie oder die angesprochenen angeblichen Fehlhaltungen irgendetwas mit nach dem mir benannten „Pelagianismus“ zu tun. Da weiß wohl einer auf Erden mehr über argentinische Rindersteaks Bescheid als über Theologiegeschichte. Aber bestimmte Dinge habe auch ich erst im Fegefeuer lernen müssen, deswegen: Wer bin ich, um zu urteilen?

Doch jetzt könnte ich, und hier komme ich zu Punkt zwei, trotz aller guten Vorsätze mich wieder in Rage theologisieren. Geht es doch um meine Theologie. Auch wenn ich aus der zeitlichen und schmerzlichen Distanz im Fegefeuer ihre Fehler erkannt habe, so lasse ich ihr dennoch nicht die geschichtliche Würde wegnehmen. Ich hatte eine solche Hochachtung vor der menschlichen Seelenstärke, dass ich in Folge die Erbsünde zu wenig ernst genommen habe. Der Mensch habe von selbst die Kraft, heilig zu werden. Die Gnade bestehe in der Ermunterung, die Gott uns zum Heiligwerden gibt, aber darauf angewiesen seien wir nicht. Ich habe die moralische Kraft des Menschen überschätzt, aber ich hatte vom Menschen eine ganz hohe Meinung. Wie kann man diese meine Theologie mit einem „Neo“ versehen und damit schräge Typen meinen, die sich durch irgendwelche konservative Strukturen selbst erlösen wollen? Wird hier nicht vielmehr ein Typus Mensch erfunden, der in der Realität gar nicht existiert, mit dessen Bekämpfung man aber Kritiker der eigenen Position mundtot machen kann? Und was hat das jetzt mit Menschen zu tun, die in Frömmigkeit und Glaubenstreue an den Geboten und auch an der Heiligkeit der Sakramente festhalten? Die den Vorsatz zur Heiligkeit und die Heiligkeit der Sakramente miteinander synchronisiert sehen wollen? Die daran festhalten, dass es in sich böse und unerlaubte Handlungen gibt, mit deren Weiterpraktizierung die Christusbeziehung durch die heiligen Sakramente steht oder fällt? Ich will es euch verraten: Gar nichts! Gerade die „neopelagianisch“ Inkriminierten wissen darüber Bescheid, wie angewiesen sie auf die Gnade Gottes sind. Und dennoch können sie die glücklichsten Menschen werden, denn durch die Sakramente werden ihnen die Gnaden unverdient geschenkt und innerlich wird man gestärkt zum Guten. Wenn es denn tatsächlich ein so großes Problem in der heutigen Kirche mit religiösen Unsympathen gibt, hätte man sich einfach auf Jesus berufen können, der auch schon gegen scheinheilige Schriftgelehrte und Pharisäer ankämpfen musste. Aber bitte nicht meinen schönen Namen „Pelagius“ als Kampfbegriff missbrauchen. Nach meinem Urteil wollen durch die Verwendung dieser Begrifflichkeiten theologische Fliegengewichte mal als besonders gelehrt dastehen und von Ihresgleichen gelobt werden. Aber Vorsicht, das ist wie mit des Kaisers neuen Kleidern. Das geht furchtbar in die Hose.

So, falls der heilige Petrus mit meinem Dossier zufrieden ist und ich das Fegefeuer endlich verlassen darf, dann werde ich im Himmel ganz bald den heiligen Augustinus aufsuchen. Er hatte zwar theologisch recht, hat sich auf Erden mir gegenüber aber sehr unfair benommen. Fast so ähnlich, wie man heute mit kirchlichen Mitarbeitern in Rom umspringt, die nicht auf Amoris-Laetitia-Linie sind. Das kostet ihn schon einige Gläslein himmlisch Nektar und Ambrosia, damit ich ihm verzeihe.

Stephan Spiegel ist Pfarrer von St. Josef der Arbeiter in Senden/Bistum Augsburg.


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