Bosniens Katholiken: Minderheit mit ungewisser Zukunft

3. März 2018 in Aktuelles


Statistik zeigt Halbierung der katholischen Bevölkerung seit Balkankriegs-Beginn - Leidvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts noch ohne Versöhnung.


Sarajewo (kath.net/ KAP)
Österreichs Bischöfe halten in der kommenden Woche an einem auch aus kirchlicher Sicht schwierigen Ort ihre Frühjahrsversammlung ab: Sarajewo ist Hauptstadt eines Landes, das nach dem vor mehr als 20 Jahren beendeten Balkankrieg weiterhin nicht zur Ruhe und Stabilität gefunden hat - und in dem die Katholiken zahlenmäßig auf dem Rückzug sind wie sonst nirgendwo in Europa. Von den 800.000 katholischen Gläubigen, die 1991 in Bosnien-Herzegowina lebten, sind infolge der Kriegsvertreibungen und einer weiter anhaltenden massiven Abwanderung nur noch die Hälfte übriggeblieben.

Die letztverfügbaren Statistik-Zahlen datieren aus dem Jahr 2013. Demnach hatte das Land damals gut 3,5 Millionen Einwohner; 50,11 Prozent waren Bosniaken, 30,78 Prozent Serben und 15,43 Prozent Kroaten. Diese Zahlen sind fast ident mit jenen zur Religionszugehörigkeit: 50,70 Prozent bezeichneten sich selbst als Muslime, 30,74 als Serbisch-Orthodoxe und 15,18 Prozent als Katholiken. Halte die Entwicklung an, werde es in absehbarer Zeit fast keine katholischen Christen mehr im Land geben, warnte Mitte 2017 der Erzbischof von Sarajewo, Kardinal Vinko Puljic. Ursachen für die Migration seien die sozialen und ethnischen Spannungen sowie die wirtschaftlich desolate Situation des Landes, in dem die Arbeitslosigkeit derzeit bei 40 Prozent liegt, sowie auch zunehmender Extremismus, und ein von Korruption und Bestechung geprägtes Umfeld.

Die katholischen Bischöfe des Landes beklagen immer wieder eine zunehmende Veränderung des Islam von einem europäisch geprägten hin zu einer vermehrt arabisch bzw. fundamentalistischen geprägten Version.

In der jüngeren Geschichte seit dem 1995 ratifizierten Friedensabkommen von Dayton, das einen zweigeteilten Staat - die Republika Srpska und die bosnisch-kroatische Föderation, ergänzt 2000 durch einen Sonderstatus für den Distrikt Brcko - schuf, fehlt weiter das nötige Fundament für längerfristigen Frieden und Demokratie. Kardinal Puljic beklagt eine "systematische Benachteiligung" der katholischen Kirche, die etwa keine Restitutionen aus den Enteignungen der Kommunismus-Zeit erhält und Baugenehmigungen nur mit großen Hürden und Verzögerungen, ganz im Gegensatz zu den Muslimen.

Klaffende Kriegswunden

Vor allem aber ist auch der Bosnien-Krieg (1991 bis 1995) bis heute nicht aufgearbeitet, wodurch klaffende Wunden zurückblieben. Slowenien und Kroatien erklärten sich 1991, Bosnien 1992 unabhängig vom serbisch dominierten Jugoslawien, dessen Bundesarmee gemeinsam mit Freischärlern und den bosnischen Serben die muslimischen und katholisch-kroatischen Gebiete Bosniens angriff und Sarajevo 44 Monate lang belagerte. "Ethnische Säuberungen" durch Massaker, Folter und Vertreibungen kennzeichneten das grausame Ringen um Gebietsgewinne, erneut wurden katholische Priester und Ordensleute ermordet, Kirchen zerstört und Gläubige vertrieben.

Etwa im Gebiet der heutigen Republika Srpska verschwanden im Krieg und den Folgejahren 94 Prozent der einst 153.000 Katholiken, und bis heute hält der landesweite Exodus der Katholiken aus Bosnien an. Aktuelle Zahlen liegen nicht vor. Eine Statistik mit Stichtag 31. Dezember 2014 führte aber nur mehr 9.355 Katholiken in der Republika Srpska auf.

In der Bevölkerung der bosnischen Hauptstadt Sarajewo machen Christen unter den dominierenden Muslimen eine Minderheit aus. Von den laut letzter Volkszählung aus dem Jahr 2013 rund 275.000 Einwohnern sind etwas mehr als 13.000 katholisch und rund 10.000 orthodox. Hinzu kommt eine kleine Zahl an Evangelischen, Baptisten und Adventisten.

Das katholische kirchliche Leben in den vier Diözesen der Kirchenprovinz mit dem Namen "Vrhbosna" - nämlich die Erzdiözese Sarajewo und die Diözesen Mostar-Duvno, Banja Luka und Trebinje-Mrkan - verteilt sich auf 304 Pfarren. 14 Schulen und zwei Universitäten stehen in kirchlicher Trägerschaft. In Bosnien/Herzegowina wirken laut den letzten verfügbaren kirchlichen Statirktiken (Anfang 2014) 344 Ordens- und 280 Diözesanpriester sowie rund 500 Ordensfrauen.

Beziehungen zu Österreich

Die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche in Österreich und Bosnien-Herzegowina sind recht intensiv. So besteht etwa seit dem Mitteleuropäischen Katholikentag 2004 eine Diözesanpartnerschaft zwischen Klagenfurt und Sarajewo. Früchte waren mehrere Hilfsprojekte in Bosnien, u.a. "Schafe für Rückkehrer", "Essen auf Rädern", die Installierung einer Hauskrankenhilfe in Odak, der Bau des "Europakindergartens" im Caritaszentrum in Sarajewo oder Hilfe für das katholische Jugendzentrum "Johannes Paul II." in Sarajewo. Im Zentrum steht jedoch nicht primär die materielle Hilfe, sondern vor allem Solidarität und Begegnung. So entstanden zahlreiche Pfarr- und Schulpartnerschaften Regelmäßig besuchen der Kärntner Bischof Alois Schwarz und Kardinal Puljic auch mit Delegationen die jeweils andere Diözese.

Die Diözese Gurk-Klagenfurt ist freilich nicht die einzige Diözese, die enge Kontakte zu Bosnien-Herzegowina pflegt. So besteht auch zwischen den Diözese Linz und Mostar eine Diözesanpartnerschaft. Vor allem auch die beiden lokalen Caritas-Organisationen arbeiten eng zusammen.

Christentum fasste im 3. Jahrhundert Fuß

Die Kirchengeschichte in der Region geht bereits auf das 3. Jahrhundert zurück: Zu den frühesten prominenten Vertretern zählen der Märtyrerbischof Venantius aus der Stadt Delminium (heute Tomislavgrad) und der in der dalmatinischen Stadt Stridon geborene Kirchenvater Hieronymus (347-420). Der heilige Benedikt erhielt um 540 vom oströmischen Kaiser Justinian Ländereien für Klöstergründungen in Bosnien, wo es um 600 bereits mehrere Bistümer und viele Basiliken gab, wie Dokumente der Synode von Salona und archäologische Ausgrabungen zeigen. Durchlebte die Kirche mit dem Awareneinfall im 7. Jahrhundert auch eine tiefe Krise, stabilisierte sich die Lage mit der späteren Einwanderung und Christianisierung der Kroaten wieder.

Mit Beginn des 13. Jahrhunderts breitete sich die Bogumilen-Sekte aus, gegen deren Einfluss der Papst Dominikaner als Missionare in die Region schickte, die hier zwischen 1228 und 1330 eine Reihe von Klöstern gründeten und mehrere Bischöfe stellten. Ihre Rolle wurde von den Franziskanern, die ab 1291 dazukamen, allmählich vollständig übernommen. 48 ihrer Klöster, sowie auch 464 katholische Kirchen, wurden durch die Osmanen zerstört, die 1463 Bosnien und 1482 dann Herzegowina eroberten.

Ein Großteil der Katholiken floh nach Istrien, manche ins Burgenland oder nach Italien, während manche in die serbisch-orthodoxe Kirche ein- oder zum Islam übertraten. Die Franziskaner harrten unter den Verbleibenden aus, vorschriftsmäßig in türkische Gewänder gehüllt, während die ebenfalls in der Region tätigen Jesuiten- und Dominikanermissionare sich nicht durchsetzen konnten. Franziskaner waren es auch, die ab 1735 als Apostolische Vikare das neu gegründete Vikariat Bosnien leiteten. Viele seiner Privilegien behielt der Orden bei, als in Bosnien-Herzegowina nach dem Volksaufstand 1878 und der folgenden österreichisch-ungarischen Herrschaft eine reguläre Kirchenstruktur erhielt.

Habsburger-Ära als Blütezeit

In der Habsburger-Ära errichtete Papst Leo XIII. errichtete 1882 in Sarajevo die neue Erzdiözese Vrhbosna - unter dem aus Zagreb berufenen Diözesanpriester und Theologen Josip Stadler als Erzbischof -, und unterstellte ihr die Diözesen Banja Luka und Mostar Duvno. Pfarrgemeinden wurden gegründet, da zahlreiche kroatische Katholiken wieder ins Land kamen. Die Erzdiözese Sarajevo, wo nun der katholische und orthodoxe Dom sowie auch die Synagoge gebaut wurden, spricht heute rückblickend von einer katholischen "Blütezeit".

Weiterhin stellten die orthodoxen Serben, die unter dem Schutz des russischen Zarenreichs standen und den Habsburgern mit Distanz begegneten, 1910 mit 42 Prozent die Bevölkerungsmehrheit, während ein Drittel Muslime, und 23 Prozent Katholiken waren. Infolge der Balkankriege 1912 und 1913 kam es zu einer Radikalisierung und einer Verschärfung des Nationalismus. Nach dem tödlichen Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in der Altstadt von Sarajevo folgten Ausschreitungen, Verhaftungen und große Fluchtwellen serbischer Familien aus Sarajevo nach Serbien und Montenegro.

Kommunisten veranstalteten Schauprozesse

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Bosnien und Herzegowina zunächst Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, dann ab 1929 des Königreichs Jugoslawien. Die serbische Obrigkeit begegnete der weiter wachsenden katholischen Kirche mit großer Skepsis und enteignete die muslimischen Landbesitzer. Eine Zäsur brachten die Wirren des Zweiten Weltkriegs: Im erbitterten Kampf zwischen kroatischer Heimwehr, Ustascha-Faschisten, serbischen Tschetniks, kommunistischen Partisanen sowie deutscher Wehrmacht und italienischen Truppen entlud sich viel aufgestauter Hass zwischen den Glaubensgemeinschaften. Etliche Gläubige und Priester wurden umgebracht, Kirchen zerstört und ganze Gemeinden ausgelöscht.

Mit der kommunistischen Partisanen-Zeit ab 1945 dauerten die Verfolgungen der Katholiken an: Tausende - darunter 160 Priester und Dutzende Ordensleute - wurden ermordet, viele in Schauprozessen zu Zwangsarbeit verurteilt, Frauenorden vertrieben, die Priesterseminare in Sarajevo und Mostar geschlossen, die katholische Presse verboten und lange gab es im Land keinen Bischof auf freiem Fuß. Erst langsam gelang es Bosniens Katholiken mit ausländischer Unterstützung, einzelne Gebäude wieder aufzubauen oder zu renovieren.

In diese Zeit fällt auch der Beginn der Berichte von angeblichen Marienerscheinungen - der Vatikan hat diese bisher nicht anerkannt - im von Franziskanern betreuten herzegowinischen Wallfahrtsort Medjugorje in den 1980er Jahren. 1990 folgte die Ernennung von Vinko Puljic zum Erzbischof von Vrhbosna-Sarajewo durch Papst Johannes Paul II., der den damals 49-Jährigen 1994 auch zum ersten Kardinal aus Bosnien machte. Damals herrschte bereits drei Jahre Krieg im Land, mit den oben beschriebenen dramatischen Folgen für alle Bewohner von Bosnien-Herzegowina, im Besonderen aber eben auch für die dort lebenden Christen bzw. Katholiken.

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