Eine Pastoral, die die Verletzlichkeit Jesu sieht

12. März 2018 in Kommentar


"In der Pastoral gilt es viele Aspekte zu berücksichtigen. Wenn aber Situationen entstehen, in denen nicht alles miteinander vereinbart werden kann, dann stellt sich die Frage, was wichtiger ist als das andere." Gastkommentar von Pfr. Robin Baier


Berlin (kath.net) Viele, die heute in der Pastoral tätig sind, klagen über immer größer werdende Spannungen. Und oft prallen unterschiedliche Positionen genau dort aufeinander, wo sie es eigentlich am wenigsten sollten, nämlich in der Liturgie. Da gibt es einerseits diejenigen, die alles nach ihren eigenen Vorstellungen umgestalten möchten: Priester, die ihr Hochgebet selbst schreiben; Lektoren, die ohne Absprache Teile der Lesung weglassen, weil sie Aussagen unpassend finden; Seelsorger, die den Leib Christi für die Hauskommunion Tage vorher aus dem Tabernakel nehmen und in ihr Auto legen, weil das für sie so bequemer ist; Pastoralreferenten, die meinen, sie hätten ein Recht, in der Messe das Evangelium auszulegen; Pfarrer, die ihren Kaplänen verbieten die Kommunion auszuteilen, mit der Begründung, dass die Laien sonst aus der Übung kommen würden, usw. (Das sind leider alles keine erfundenen Beispiele.)

Andererseits gibt es diejenigen, die auf der Ordnung der Kirche beharren: Pfarrer, die das mühsam ausgearbeitete Konzept des Familiengottesdienstes zusammenstreichen; Laien, die ihren Seelsorgern liturgischen Missbrauch vorwerfen, weil sie ihren evangelischen Kollegen die Kommunion gereicht haben. Priester, die in der Messe darauf bestehen, das Allerheiligste selbst aus dem Tabernakel zu holen; Kapläne, die sich bei der Reihenfolge des Kommunionempfangs nur an das Messbuch statt an die Praxis vor Ort halten, usw.

Die einen beklagen die mangelnde Achtung vor der Ordnung der Kirche; die anderen beklagen die Sturheit, mit der auf liturgischen Vorschriften beharrt wird. Den einen wird vorgeworfen, nicht genügend Ehrfurcht vor dem Heiligen zu haben; den anderen wird vorgeworfen, nicht auf die Menschen einzugehen.

Bei solch gegensätzlichen Positionen hat wahrscheinlich jeder erst einmal den Impuls, den anderen für dumm oder verrückt zu halten, aber das wäre natürlich wenig hilfreich. Denn ich glaube, dass – ausgehend von den jeweiligen Grundannahmen – bei allen die Ergebnisse folgerichtig sind. Es lohnt sich also viel mehr, über die Grundannahmen zu reden als über die Ergebnisse.

Wo sich – nach meiner Erfahrung – die Grundannahmen in Bezug auf die Pastoral unterscheiden, möchte ich einmal an einem Vergleich deutlich machen: Angenommen, im Pfarrheim wird für das Begegnungskaffee eine große, komplexe Kaffeemaschine angeschafft – ein kompliziertes Gerät mit vielen Knöpfen. Nun ist es natürlich ein berechtigtes Anliegen, dass die Kaffeemaschine richtig bedient wird, nicht kaputt geht und am Ende ein guter Kaffee herauskommt. Dafür würde man in der Gebrauchsanweisung nachschauen und alle, die mit der Kaffeemaschine zu tun haben, auf den korrekten Umgang hinweisen. Aber das hätte natürlich Grenzen. Denn was würde es bringen, wenn das so rigide geschieht, dass die Leute dabei vergrault werden? Damit wäre nichts gewonnen. Letztendlich wäre es schlimmer, wenn die Leute wegbleiben, als wenn die Kaffeemaschine kaputtgeht.

Etwas gänzlich anderes ist es aber, wenn die Leute nicht eine Kaffeemaschine bedienen, sondern ein kleines Kind betreuen sollen. Wenn die Leute mit dem Kind nicht gut umgehen und es so lieblos behandeln, dass sich das Kind sehr unwohl fühlt, dann muss man eingreifen und den Leuten eine Grenze aufzeigen. Natürlich würde man versuchen, diese Grenze so liebevoll und so erklärend wie möglich zu vermitteln, aber am Ende müsste ein klares Ergebnis stehen, selbst wenn das die Leute nicht verstehen und sich im schlimmsten Fall abwenden. Die Sorge um das Kind ist letztendlich wichtiger als die Sorge um die Erwachsenen, weil das Kind am meisten Schutz braucht. Das Kind zu schützen und die Erwachsenen vor ihrem falschen Verhalten zu bewahren wäre ein Zeichen von Liebe, selbst wenn die Erwachsenen einem vorwerfen würden, man hätte sie brüskiert.

Der Vergleich, übertragen auf die Liturgie der Heiligen Messe, soll deutlich machen: Es ist ein Unterschied, ob das gewandelte Brot als Sache oder als Person verstanden wird. Praktisch verhalten sich viele so, als wäre es eine Sache; tatsächlich ist es aber eine Person. Das Kind steht also für Jesus in der Eucharistie, der unter allen Beteiligten die schwächste Position eingenommen hat, der sich uns anvertraut und der auf keinen Fall verletzt werden darf. – An dieser Stelle höre ich schon den Einwand einiger Theologen: „Jesus ist doch auferstanden und der verklärte Leib ist nicht mehr leidensfähig! Was soll Jesus schon passieren?“ Natürlich ist der verklärte Leib nicht mehr leidensfähig und natürlich bricht sich Jesus keinen Arm, wenn mal eine konsekrierte Hostie versehentlich aus dem Ziborium fällt. Aber ist es nicht so, dass jeder, der liebt, verletzlich ist? Wir glauben doch nicht an einen Gott, der gefühllos ist und über den Dingen steht, sondern wir glauben an einen Gott, der ein lebendiges Herz hat und mit uns eine unbegrenzte Beziehung möchte. Natürlich verletzt es Jesus, wenn jemand seine Liebe nicht beantwortet und ihm gegenüber ganz gleichgültig ist.

In der Pastoral kommen folgerichtig ganz unterschiedliche Ergebnisse heraus, je nachdem, ob gesagt wird: Es gibt den Seelsorger, die Leute und die „Sache Jesu“ (also die christliche Botschaft); oder ob gesagt wird: Es gibt den Seelsorger, die Leute, die christliche Botschaft und Jesu persönliche Gegenwart in der Eucharistie. Im ersten Fall müssen die liturgischen Vorgaben der Kirche, wenn die Leute sie nicht verstehen, übergangen werden. Im zweiten Fall müssen sie zum Schutz des Allerheiligsten eingehalten werden, weil jede Abweichung vom verbindlichen Ritus ein Akt des Ungehorsams gegenüber der Kirche ist und Ungehorsam dem Wesen Jesu entgegensteht. Vor allem aber darf es im zweiten Fall keine Abweichungen vom Ritus dahingehend geben, dass Jesus zu einem Zeitpunkt ignoriert wird, wo ihm eigentlich die ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Hinter dem Beharren auf der kirchlichen Ordnung steht deshalb keine kalte Kasuistik, sondern die in der Heiligen Schrift so oft angemahnte Gottesfurcht, also die Furcht, Gottes Liebe zu verletzten.

Besonders deutlich können diese unterschiedlichen Sichtweisen bei den alljährlichen Vorbereitungen auf die Fronleichnamsprozession zutage treten. Angenommen, der Eine-Welt-Kreis möchte das Programm an einem der Fronleichnamsaltäre gestalten und plant, dass der Priester die Monstranz zum Altar bringt, der Eine-Welt-Kreis sich dann vom Allerheiligsten abwendet und der Gemeinde seine Gedanken zum Wassermangel in der Welt vorträgt. Wie soll ein Priester damit umgehen? Soll er die Leute gewähren lassen, weil sonst ein Konflikt entsteht oder soll er auf der Ordnung der Kirche bestehen, selbst wenn ein Konflikt entsteht? Aufgrund der einen Grundposition wird er zu dem Ergebnis kommen: „Auch wenn es nicht optimal ist, dass die Leute das Allerheiligste außer Acht lassen, darf man ihnen nichts sagen, was sie vergraulen könnte.“ Aufgrund der anderen Grundposition wird er zu dem Ergebnis kommen: „Auch wenn es im schlimmsten Fall die Leute vergraulen würde, darf es vor dem Allerheiligsten keine Veranstaltung geben, die Jesus in der Eucharistie außer Acht lässt.“ Welche der beiden Positionen ist richtig?

Im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums spricht Jesus davon, dass das Brot, das er geben wird, nicht mehr nur eine Sache ist, sondern er selbst. Und was passiert daraufhin? Es kommt, aufgrund dieser Aussage, zum Konflikt. Und der Konflikt endet damit, dass sich viele Leute von Jesus abwenden. Aber er hält sie nicht auf, sondern fragt sogar seine Apostel, ob auch sie gehen wollen. Jesus ist nicht bereit, inhaltlich von seiner Position abzurücken; vielmehr er nimmt in Kauf, dass die Leute weggehen.

Wie sich die Pastoral im Einzelnen ausgestaltet, ist eine Konsequenz der Grundpositionen. Aber gehört es nicht zu unseren Grundüberzeugungen, dass das gewandelte Brot nicht mehr nur eine Sache ist, sondern eine Person?! Und macht sich nicht jeder, der liebt, verletzlich, erst recht jemand, der so sehr liebt wie Jesus?! Und haben wir nicht die Pflicht, Jesus vor allem zu bewahren, was seine Gefühle verletzen könnte?! In die Pastoral schleicht sich leider immer häufiger ein praktischer Deismus ein: Theoretisch wird noch allgemein bejaht, dass der Sohn Gottes im eucharistischen Brot gegenwärtig ist, aber praktisch verhalten sich viele so, als sei er nicht da oder als wären zumindest seine Gefühle abwesend.

♫ Lied: ´Kirchenglöckchen und Mamaglöckchen´ singen ´Lamm Gottes, für uns gegeben´



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