Wenn Ästhetik mit Erotik verwechselt wird

6. Dezember 2017 in Jugend


Ich glaube fest, dass Gott den Menschen zur Schönheit erschaffen hat - Die Jugendkolumne von kath.net - Diese Woche ein Beitrag von Alexandra Hartlieb


Salzburg (kath.net)
Heute wage ich mich auf sehr dünnes Eis, denn im Gespräch über das Thema, über das ich mir Gedanken mache, kann man niemals alle Menschen zufrieden stellen.

Vor einigen Monaten, als ich nach dem Besuch der heiligen Messe die Kirche verlassen wollte, kam eine ältere Dame auf mich zu, die ich nicht kannte und fragte mich, ob sie kurz mit mir sprechen könne. Nichtsahnend nickte ich, um mir kurz darauf anhören zu müssen, dass ich eine Männerverführerin sei. Der Grund: Ich sei viel zu aufreizend angezogen. Verwirrt und auch etwas verärgert ging ich an diesem kalten Winterabend nach Hause, denn ich war nicht, wie man bei dieser Anschuldigung vielleicht meinen könnte, im Minirock und weit ausgeschnittenem Top unterwegs, sondern ich hatte eine lange (für meinen Begriff recht durchschnittliche) Hose und eine Daunenjacke an, ich war also wirklich von den Zehenspitzen bis zum Hals hinauf bedeckt.

Mit etwa 14 Jahren stellte sich mir erstmals die Frage, ob denn der Glaube auch das Aussehen beeinflussen solle und ob ich als Frau im Speziellen genauen Standards folgen sollte. In meiner damaligen Schule war ich von hübschen Mädchen umgeben, die teilweise sehr offen mit ihren reizen spielten und gleichzeitig hörte ich immer wieder in meinem Umfeld, dass man sich sittsam kleiden solle. Was sittsam genau bedeute, das wusste ich zu dieser Zeit nicht genau. Dennoch hörte ich auf einen damaligen Freund, der meinte, man solle keine hohen Absätze oder Nagellack tragen. Warum ich das tat? Wahrscheinlich nicht, weil mir ein sittsames Äußeres wichtig war, sondern weil ich ihm imponieren wollte.

Doch diese Phase ging vorbei und mit ungefähr 16 Jahren wollte ich mir herzlich wenig sagen lassen, was ich zu tragen oder besser gesagt nicht zu tragen habe. Ich erinnere mich, dass ich in Vorbereitung auf den Weltjugendtag in Madrid zwar den Aufruf des Leiters meiner Pilgergruppe, darauf zu achten, dass Schultern und Knie immer bedeckt sein sollten, zur Kenntnis nahm und daraufhin auch meine Augen nach entsprechend langen Röcken offen hielt, ich mich dann aber in der sommerlichen Hitze Spaniens dann doch dazu hinreißen ließ, Hotpants zu tragen – auch in der Kirche.

2012 schließlich wurde das Jahr, in dem ich mich bemühte, den katholischen Glauben erstmals wirklich mit Ernsthaftigkeit zu leben. Mit einem damaligen Seminaristen sprach ich über dieses Thema und mir wurde bewusst, dass mit Kleidung auch Verantwortung einhergeht. Ich entwickelte also ansatzweise ein Gespür dafür, dass es vielleicht wirklich nicht die beste Idee ist, sich zu offenherzig zu kleiden. Allerdings fing ich im Prozess der Suche nach meiner eigenen katholischen Identität an, zu übertreiben. Plötzlich klagte ich mich selber an, wenn ich mal nicht einen mindestens knielangen Rock anhatte, sondern eine Hose und ich sparte auch nicht mit Kritik an anderen jungen Frauen. Ich las den ersten Timotheusbrief, in dem es von Frauen, die gottesfürchtig sein wollen, heißt "nicht Haartracht, Gold, Perlen oder kostbare Kleider seien ihr Schmuck" (1 Tim 2,9), und kam zu falschen Schlüssen.

Doch auch diese Phase ging vorüber und so glaube ich, dass ich mittlerweile mein eigenes Gleichgewicht gefunden habe. Natürlich ist es wichtig, Klarheit zu bewahren: Nach wie vor bin ich fest der Meinung, dass in der Kirche Röcke und Kleider die Knie zumindest umspielen sollten und man bei allem, was kürzer ist, am besten eine blickdichte Strumpfhose trägt. Doch finde ich mittlerweile, dass jede Frau selber nach ihren Standards zu suchen hat. Nur weil eine Frau für sich selbst entschieden hat, dass sie nur lange Röcke tragen will, müssen ihr nicht alle anderen Frauen in dieser Praxis folgen.

Was mir in der Reflexion der Situation mit der Anschuldigung der älteren Dame klar wurde, ist, dass man gerade in "konservativ" katholischen Kreisen dazu neigt, schlichte Ästhetik mit Erotik zu verwechseln. Man darf nicht vergessen, was Paulus weiter an Timotheus geschrieben hat: "nicht Haartracht, Gold, Perlen oder kostbare Kleider seien ihr Schmuck, sondern gute Werke." (1 Tim 2,9f) Heute verstehe ich diese Stelle nicht mehr als Verbot, mich schön herzurichten, sondern ich sehe darin, die Botschaft, dass das Äußere nicht alles sein darf.

Als ich für mein Studium nach Salzburg zog, lernte ich viele junge Menschen kennen, die mich faszinierten, weil sich in ihrer Kleidung ihr Glaube widerspiegelte und das nicht auf eine biedere Art und Weise, sondern auf eine sehr ästhetische. Ich glaube fest, dass Gott den Menschen zur Schönheit erschaffen hat. Und wie wunderbar wäre es, wenn wir Katholiken mit einem schönen gepflegten Aussehen auch Zeugnis für ihn geben könnten.



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