"Kreuzweg" der katholischen Kirche in einstiger Sowjetunion

1. November 2017 in Chronik


Buch über Kirchengeschichte "von der Oktober-Revolution bis zur Perestrojka" wird am 8. November an römischer Gregoriana-Universität präsentiert - Hintergrundbericht von Erich Leitenberger (Pro Oriente)


Rom-Minsk (kath.net/KAP) Am 8. November wird an der römischen Gregoriana-Universität das Buch "Die katholische Kirche in der Sowjetunion von der Oktober-Revolution bis zur Perestrojka" präsentiert. Herausgeber des Buches im 100. Jahr der Oktober-Revolution, das vorerst auf Italienisch beim "Gabrielli"-Verlag in Verona erscheint, ist der früher in Wien und nunmehr an der Gregoriana tätige Historiker Prof. Jan Mikrut. Der römisch-katholische Erzbischof von Minsk-Mogilew, Tadeusz Kondrusiewicz, bezeichnet im Vorwort die Geschichte der katholischen Kirche in der Sowjetunion als "Kreuzweg", geprägt vom heroischen Glaubenszeugnis "der Märtyrer und einfachen Gläubigen". Viele Märtyrer seien bereits zur "Ehre der Altäre" erhoben, aber von "tausenden unbekannten Glaubenshelden wird man niemals ihre Geschichte erfahren".

In seinem Vorwort erzählt Erzbischof Kondrusiewicz bemerkenswerte Geschichten, etwa eine aus der Ukraine. Nach dem ersten Raumflug von Jurij Gagarin wollten "kämpferische Nichtglaubende" überall in der UdSSR daraus Gewinn für ihre atheistische Propaganda ziehen. In einem ukrainischen Dorf sagte der örtliche Parteivorsitzende dem orthodoxen Pfarrer, er müsse jetzt den Gläubigen nach der Liturgie mitteilen, dass Jurij Gagarin im Weltraum gewesen sei, dort Gott nicht gesehen habe und dass Gott daher nicht existiere. Wenn sich der Pfarrer weigere, würden die kommunistischen Behörden seine Kirche schließen. Der Priester sagte dann in der Kirche: "Liebe Gläubige, Jurij Aleksejewitsch Gagarin ist ins Weltall geflogen und hat Gott nicht gesehen. Aber der Herr hat ihn gesehen, er hat ihn gesegnet und deshalb ist Jurij Aleksejewitsch glücklich zur Erde zurückgekehrt".

Aus seiner Zeit als Kaplan der berühmten Kapelle am "Tor der Morgenröte" (Ausros Vartai/Ostra Brama) in der litauischen Hauptstadt Vilnius/Wilna erzählt Kondrusiewicz, wie ihm eines Tages in der Sakristei eine ältere Dame berichtete, dass sie gerade in der kurz zuvor in ein "Museum des Atheismus" umgewandelten katholischen St. Kasimir-Kirche auf den Knien gebetet habe. Eine Museumsmitarbeiterin machte sie darauf aufmerksam, dass es in einem "Museum des Atheismus" nicht gestattet sei, zu beten. Aber die ältere Dame habe resolut geantwortet, dass St. Kasimir für sie immer eine Kirche bleiben werde, "und daher ein Haus des Gebets".

Tief beeindruckt war Kondrusiewicz auch vom Verhalten der Bewohner der Stadt Marx (an der Wolga; ursprünglich die vom niederländischen Baron Ferdinand Caneau de Beauregard begründete Kolonie Jekaterinograd), als dort zu Beginn der 1990er Jahre der Grundstein für den Neubau einer katholischen Kirche gelegt wurde. Ältere Bewohner der Stadt brachten Kondrusiewicz Ziegelsteine mit der Bitte, sie als Grundstein zu verwenden. Auf die Frage nach dem Motiv berichteten die Menschen, dass sie in den 1930er Jahren, als die kommunistischen Behörden den Abriss der ursprünglichen katholischen Kirche anordneten, Ziegelsteine in ihre Wohnungen retteten. Die Ziegelsteine wurden dort in Ehren gehalten, die Familien versammelten sich davor zum Gebet - und so trugen die Überbleibsel der alten Kirche zur Weitergabe des Glaubens an die jungen Generationen bei.

Heute habe die katholische Kirche in Russland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion feste Strukturen und entwickle sich in dynamischer Weise, betont der Erzbischof von Minsk. Trotz aller Schwierigkeiten sei die katholische Kirche im seelsorglichen, kulturellen und publizistischen Bereich sehr aktiv. Das von Prof. Mikrut herausgegebene Buch zeige die diffizile Geschichte der Kirche in diesen Territorien auf. Es sei notwendig, sich dieser Geschichte zu erinnern, denn die Geschichte sei auch "Mutter und Lehrmeisterin". "Wenn es in der Zeit der Verfolgungen nicht die Helden des Glaubens gegeben hätte, wäre es nicht zu einer so raschen Wiedergeburt der Kirche gekommen", so Erzbischof Kondrusiewicz.

Vita von Kondrusiewicz spiegelt Geschichte

In der Vita von Tadeusz Kondrusiewicz (geboren 1946 in Adelsk bei Grodno) spiegelt sich die Situation der katholischen Kirche unter dem kommunistischen Regime. Er studierte Physik und Mathematik in Grodno, musste aber gehen, weil ihm seine regelmäßigen Kirchenbesuche zum Vorwurf gemacht wurden. Später machte er seinen Abschluss (mit Auszeichnung) in Maschinenbau am Polytechnischen Institut in St. Petersburg, damals Leningrad. Er arbeitete als Ingenieur in einer Schleifmaschinenfabrik in Vilnius. Zusammen mit Kollegen erfand er eine Hochgeschwindigkeits-Spezialschleifmaschine für das "Wolga"-Automobilwerk. Nach dem Theologiestudium in Kaunas wurde er zum Priester geweiht. Als junger Priester war er in Litauen und Weißrussland als Pfarrseelsorger tätig. 1989 wurde er zum Bischof ernannt und war zunächst Apostolischer Administrator der Erzdiözese Minsk. Danach war er katholischer Bischof in Moskau und kehrte 2007 als Erzbischof nach Minsk zurück.

Als Erzbischof von Minsk-Mogilew führt er gewissermaßen auch die Tradition der Erzdiözese Mogilew weiter, die 1773 auf Bestreben Katharinas der Großen als Metropolitansitz für die Katholiken im ganzen Russischen Reich (mit Ausnahme Polens) begründet wurde. Der katholische Erzbischof von Mogilew residierte in St. Petersburg, dort befand sich auch das große katholische Priesterseminar (das jetzt wieder in Betrieb ist). Der letzte Erzbischof von Mogilew im alten Stil war Eduard von der Ropp (1851-1939), der nach der bolschewistischen Machtergreifung sein Amt nicht mehr ausüben konnte und nach Polen emigrieren musste.

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