'Kirche trägt Mitschuld an Radikalisierung'

24. Oktober 2017 in Deutschland


Anette Schultner, Vorsitzende der „Christen in der AfD“, hat die Partei verlassen. Mit dem „pro Medienmagazin“ hat sie über eine Radikalisierung der AfD und die Mitschuld von Medien und Kirchen daran gesprochen. Von Anna Lutz


Berlin (kath.net/pro Medienmagazin) Die AfD wurde schon ganz zu Anfang stark gemobbt, in einer Zeit übrigens, die viele rückblickend als eine gemäßigte Phase betrachten. Wenn Kirchen und Medien eine Partei permanent stigmatisieren, schweißt das Radikale zusammen. Die Bürgerlichen aber verjagt es oft. Die AfD hätte sich nicht so entwickeln müssen, wie sie es getan hat. Das geschah auch durch die schon frühe und völlig unverhältnismäßige Stigmatisierung von außen. Kirche darf sich nicht so stark und einseitig parteipolitisch äußern. Sie trägt insofern leider im Ergebnis eine gewisse Mitverantwortung an der radikaler werdenden Entwicklung der AfD.

pro Medienmagazin: Christ und in der AfD sein – verträgt sich das Ihrer Meinung nach heute noch?

Anette Schultner: Es wird schwieriger und ich fürchte, dass ein Zeitpunkt kommen wird, an dem man Ihre Frage eindeutig mit Nein wird beantworten müssen. Es gibt aber immer noch anständige Christen in der Partei und denen kann und werde ich ihren Glauben nicht absprechen. Manche ringen noch um die AfD. Im Dezember wählt sie einen neuen Bundesvorstand. Viele wollen besonders diesen Termin noch abwarten, bevor sie eine Entscheidung treffen. Das kann ich niemandem vorwerfen.

pro Medienmagazin: An welchem Punkt hat die Politik der AfD so sehr Ihren christlichen Werten widersprochen, dass Sie anfingen, sich ernsthaft mit einem Austritt zu beschäftigen?

Schultner: Björn Höcke hat Ende 2015 von r- und K-Strategien (Fachbegriffe für Fortpflanzungsstrategien, entweder sehr viele Nachkommen zu zeugen oder sehr wenige, die dafür bessere Überlebenschancen haben, wie es etwa beim Menschen der Fall ist; Anm. d. Red.) in Anwendung auf sehr große Menschengruppen gesprochen ...

pro Medienmagazin: Er behauptete damals öffentlich, Afrikaner hätten andere Reproduktionsstrategien als Europäer. Deshalb müsse Europa vor Überpopulation geschützt werden, indem man Zuwanderung aus Afrika stoppt ...

Schultner: Mein Hauptkritikpunkt daran war und ist, dass er in einer vorbereiteten Rede, bei der er dann doch wissen sollte, wovon er öffentlich sprach, das Gros afrikanischer Menschen einfach als „r-Strategen“ verortete. Als hätten sie das Reproduktionsverhalten von Insekten oder Mäusen. Sowas ist doch massiv menschenfeindlich. Es hat mich fassungslos gemacht, dass eine Führungspersönlichkeit der Partei sich so äußert. Und das war ja nicht die erste hochproblematische Äußerung Höckes. Ab dem Zeitpunkt habe ich jedenfalls offen und vehement die Position vertreten, dass Herr Höcke nicht in die AfD gehört. Wie könnte man auch so eine Haltung verteidigen? Gerade in den vergangenen Monaten habe ich meine Kritik an Herrn Höcke immer wieder erklärt und habe dabei erlebt, wie AfD-Mitglieder das nicht ernst genommen haben oder sogar Ihre Unterstützung Höckes betonten. Ich möchte aber sehr deutlich sagen, dass es in der Partei bei weitem nicht nur Radikale gibt. Sie sind eigentlich eine Minderheit. Die AfD in toto wie einen radikalen monolithischen Block zu beschreiben, ist eine falsche Stigmatisierung aus Teilen der Medien. Ich habe mich bisher, so weit man da trennen konnte, im Kreis der Gemäßigten in der Partei bewegt und sage Ihnen: Es gibt immer noch viele in der bürgerlich-konservativen Ausrichtung wie mich. Allerdings: Ich sehe für die Entwicklung der Partei nicht die Radikalen als größtes Problem, sondern den gemäßigten Mittelbau, der leider zum Großteil nicht annähernd wehrhaft genug gegen diese ist. Deshalb habe ich der AfD keine weitere Chance gegeben.

pro Medienmagazin: Sie haben die Christen in der Partei geführt. Gibt es in dieser Gruppe Rechtsextreme?

Schultner: Nein, nicht, dass ich wüsste. Ich war allerdings schon befremdet, als ich hörte, dass ein Vorstandsmitglied der „Christen in der AfD“ vor acht Jahren an die NPD gespendet hat. Die Person hat sich mir und dem übrigen Vorstand gegenüber erklärt und sagte, es sei in einer Frustsituation und einmalig gewesen. Er nannte es einen Fehler. Natürlich ist es dennoch heikel, die NPD ist verfassungsfeindlich. Die Vereinigung der Christen in der AfD ist in jedem Fall gemäßigter als die Partei in Gänze. Deshalb habe ich immer gehofft und darauf gesetzt, dass sie als bürgerlich-stabilisierender Faktor wirken kann. Dennoch gibt es aber auch dort Menschen, die mit Herrn Höcke und seinem Flügel deutlich sympathisieren.

pro Medienmagazin: Erwarten Sie aus dem christlichen Kreis innerhalb der AfD weitere Austritte?

Schultner: Ich befürchte leider sehr, dass sich die AfD weiter radikalisieren wird. Vor diesem Hintergrund bin ich so gut wie sicher, dass es zu weiteren Austritten kommen wird. Gleichzeitig haben sich durch die starke bisherige Stigmatisierung, die die Partei erlebt hat, auch viele Gemäßigte eine Wagenburgmentalität zugelegt. Sie leben teilweise in einer Art blinder Solidarität mit den falschen Leuten. Auszutreten ist da für viele schwierig.

pro Medienmagazin: Ihr eigener Austritt ist ein massives Eingeständnis, nachdem Sie die AfD zuletzt auf dem Kirchentag im Gespräch mit dem evangelischen Berliner Bischof Markus Dröge stark verteidigt haben ...

Schultner: Es ist ein Eingeständnis bezüglich des heutigen Zustandes und der in meinen Augen jetzt erwartbaren weiteren Entwicklung der Partei. Mit Worten kann ich Ihnen kaum beschreiben, für wie essentiell ich es für unsere Demokratie halte, dass es wieder eine echte konservative Volkspartei gibt. So lange ich hierfür im AfD-Aufbau die Chance sah, war aufgeben keine Option. Und ich habe gerade deshalb viel Verständnis besonders für die, die hierbei noch etwas Hoffnung haben und deshalb um die Ausrichtung weiterkämpfen wollen. Gerade wenn es in einer so jungen Partei auch Fehlentwicklungen gibt, geht man doch nicht direkt, sondern versucht, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Ich habe jedoch auch bereits im Gespräch mit dem Bischof gesagt, dass ich bestimmte Dinge innerhalb der AfD kritisch sehe. Nun war es genug.

pro Medienmagazin: Wie sind die Mitchristen in der Partei mit Ihrem Austritt umgegangen?

Schultner: Ich war fast noch nie in meinem Leben mit derart vielen emotionalen Reaktionen konfrontiert. Von den Mitchristen in der AfD kamen vor allem Äußerungen des Bedauerns und auch manche der Sorge. Gemäßigte, ob Christen oder nicht, die den Richtungskampf noch offen sehen, äußerten manchmal auch nachvollziehbare Enttäuschung. Ein paar „Christen in der AfD“-Mitglieder sprachen von Verrat. Außerhalb des christlichen Lagers wurde ich auch als Volksverräterin bezeichnet, was angesichts eines Parteiaustritts surreal ist, aber logisch wirken kann, wenn man einzig in der AfD „die letzte evolutionäre Chance" für Deutschland sieht, wie Björn Höcke sagte. Schlichte Beleidigungen und das Verbreiten wilder Verschwörungstheorien gab es ebenso und reichlich. Es erreichten mich aber von Christen aus allen möglichen Bereichen auch viele sehr warmherzige Danksagungen. Natürlich machen einen manche E-Mails nachdenklich, aber ich bin mit mir im Reinen und überzeugt, Gott geht mit mir. Das ist mir auch sehr wichtig.

pro Medienmagazin: Was raten Sie Christen, die die AfD unterstützen?

Schultner: Das AfD-Programm enthält viel Gutes, das sehe ich noch immer so. Aber es ist auch aussagekräftig, wie sich manche AfD-Leute äußern. Wer die Partei unterstützen will, soll da genau hingucken.

pro Medienmagazin: Sie haben gemeinsam mit der Parteiführung in der Vergangenheit die kritische Haltung der Kirchen zur AfD scharf verurteilt. Verstehen Sie die Kirchen heute besser?

Schultner: Ich finde es immer noch sehr problematisch, wie die Kirche sich in der Vergangenheit gegenüber der AfD positioniert hat. Eine Aktion wie in Köln, als die Kirchen mit dem Slogan „Unser Kreuz hat keine Haken“ gegen den AfD-Parteitag demonstriert haben, ist unwürdig und effektheischend. Die AfD wurde schon ganz zu Anfang stark gemobbt, in einer Zeit übrigens, die viele rückblickend als eine gemäßigte Phase betrachten. Wenn Kirchen und Medien eine Partei permanent stigmatisieren, schweißt das Radikale zusammen. Die Bürgerlichen aber verjagt es oft. Die AfD hätte sich nicht so entwickeln müssen, wie sie es getan hat. Das geschah auch durch die schon frühe und völlig unverhältnismäßige Stigmatisierung von außen. Kirche darf sich nicht so stark und einseitig parteipolitisch äußern. Sie trägt insofern leider im Ergebnis eine gewisse Mitverantwortung an der radikaler werdenden Entwicklung der AfD.

pro Medienmagazin: Frau Schultner, vielen Dank für das Gespräch.

Foto Anette Schultner (c) pro Medienmagazin/Anna Lutz


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