Strafrechtlicher Zwang zur Übernahme der LGBT-Ideologie?

11. Oktober 2017 in Kommentar


Die Rechtskommission des Nationalrats plant, die Diskriminierungsstrafnorm (Art. 261bis StGB) um die Merkmale der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu erweitern. Gastkommentar von Dominik Lusser


Winterthur (kath.net/www.zukunft-ch.ch) Am 9. Oktober 2017 endete die Vernehmlassungsfrist zur Gesetzesrevision, der auch die Mehrheit der Christdemokraten blauäugig positiv gegenübersteht. Und so droht sich das Szenario ein weiteres Mal zu wiederholen: Die Kulturrevolution schreitet voran, weil christlich-bürgerlichen Kräfte einer falsch verstandenen Toleranz auf den Leim gehen.

Voraussetzung für eine strafbare Handlung gemäss 261bis StGB ist eine Verletzung der Menschenwürde. Diese gilt als verletzt, wenn einer Person oder Personengruppe aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit die Gleichberechtigung bzw. die Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen wird.

Der in der Bundesverfassung (Art. 8, 1) enthaltene Gleichheitssatz („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) besagt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden soll. Die Beurteilung, ob im Einzelfall tatsächlich eine Diskriminierung vorliegt oder aber eine sachlich begründete Ungleichbehandlung, die folglich die Menschenwürde nicht tangiert, hängt somit stark vom Verständnis des jeweiligen Diskriminierungsmerkmals ab.

Diskriminierungsmerkmale

Die in Art. 261bis StGB oder der Bundesverfassung (Art. 8, 2) genannten Diskriminierungsmerkmale sind sehr heterogen. Rasse und Geschlecht z.B. sind angeboren und in jedem Fall positiv zu bewerten. Eine Behinderung hingegen kann zwar angeboren sein, wird aber nach allgemeinem Konsens als Einschränkung bewertet, woraus aber keine Herabsetzung der Person folgt. Vielmehr tätigen Gesellschaft und Staat zahlreiche Massnahmen zum Schutz von Personen, die von Behinderungen betroffen sind: Diese Anstrengungen zielen darauf, die Betroffenen vor diskriminierenden Benachteiligungen zu schützen, die mit der Behinderung einhergehen. Es ist also je nach dem durchaus möglich und auch geboten, ein bestimmtes Merkmal einer Person als negativ zu werten und gleichzeitig die Person selbst in ihrer ganzen Persönlichkeit zu würdigen.

Das Verständnis der Merkmale der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität unterliegt gegenwärtig einem starken Wandel in eine fragwürdige Richtung. Der internationale (Menschen-)Rechtsdiskurs ist stark von der Gender-Ideologie geprägt, wie u.a. die belgische Kulturwissenschaftlerin Marguerite A. Peeters in „Le gender – une norme mondiale“ (2013) systematisch aufzeigt. Symptomatisch für diese Entwicklung bezieht sich der erläuternde Bericht zur Gesetzesreform für die Definition der beiden Merkmale auf die Yogyakarta-Prinzipien, denen jedoch keine völkerrechtliche Legitimation zukommt. Damit macht sich die Rechtskommission des Nationalrats die Sichtweise der internationalen LGBTI-Lobby zu eigen.

Sexuelle Orientierung

Die Yogyakarta-Prinzipien verstehen unter sexueller Orientierung „die Fähigkeit eines Menschen, sich emotional und sexuell intensiv zu Personen desselben (homosexuell) oder eines anderen Geschlechts (heterosexuell) oder mehr als eines Geschlechts (bisexuell) hingezogen zu fühlen und vertraute und sexuelle Beziehungen mit Ihnen zu führen.“

Sexuelle Orientierung wird also in allen genannten Ausprägungen als positive Fähigkeit des Menschen beschrieben; ohne einen Unterschied zu machen zwischen der Homo- und Bisexualität auf der einen und der Heterosexualität auf der anderen Seite. Diese unsachliche Einschätzung, die zunehmend zum juristischen und politischen Mainstream wird, dürfte früher oder später zu ebenso unsachgemässen Gerichtsentscheiden bei Diskriminierungsklagen führen. Die Entwicklung in anderen Ländern wie Grossbritannien oder Frankreich, die bereits eine erweiterte Diskriminierungsgesetzgebung eingeführt haben, liefert dazu genügend haarsträubende Beispiele.

Homosexualität (und analog dazu auch die Bisexualität) ist nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wissenschaftlich ein hoch umstrittenes Phänomen und bis heute in ihrem Ursprung nicht geklärt. Homosexuell empfindende Menschen mögen ihre sexuelle Orientierung subjektiv als wichtigen Teil ihrer Identität sehen und darum jede Problematisierung der Homosexualität als Angriff auf ihre Menschenwürde bewerten. Allerdings weisen zahlreiche wissenschaftliche Befunde auf problematische Aspekte der homosexuellen Neigung und Lebensweise hin und nicht selten bekunden Betroffene selber grosse Mühe mit ihrer homo- oder bisexuellen Orientierung. Auch ist Homosexualität nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft nicht angeboren. Ferner ist es – wie die belgische Sexualtherapeutin Thérèse Hargot schreibt – grundsätzlich fraglich, die menschliche Identität anstatt am Geschlecht (Mann, Frau) an (oft instabilen) sexuellen Empfindungen festzumachen (Sexuelle Freiheit aufgedeckt, Springer Science, 2017).

Unterscheidungsvermögen

Würde die Homosexualität, wie ihre Lobbyisten anstreben, zu einer Identität erklärt, müsste sie künftig in jedem Fall z.B. wie das Merkmal der Hautfarbe behandelt werden. Diese Sichtweise wäre allerdings nicht sachgemäss. Homosexualität ist keinesfalls einem angeborenen, eindeutig positiven Merkmal wie der Rassenzugehörigkeit vergleichbar. Sie stellt eine mehr oder weniger ausgeprägte Neigung dar, die diverse problematische Folgen im Leben von Betroffenen zeigen kann. Eine moralisch negative Bewertung homosexueller Praktiken bzw. des homosexuellen Lebensstils muss deshalb weiterhin möglich bleiben, ohne pauschal als Angriff auf die Würde homosexuell empfindender Personen verurteilt zu werden.

Eine homosexuell empfindende Person wird zweifellos in ihrer Würde herabgesetzt und diskriminiert, wenn beispielsweise ein Bäcker ihr aufgrund der sexuellen Orientierung kein Brot verkauft. Um sich in solchen und anderen begründeten Fällen gegen eine Diskriminierung oder Ehrverletzung ihrer Person zu wehren, steht Menschen mit normabweichender Sexualorientierung bereits heute der gleiche strafrechtliche Schutz wie allen Bürgern zur Verfügung.

Anders verhält es sich hingegen, wenn ein Bäcker das Anfertigen einer Hochzeitstorte für ein gleichgeschlechtliches Paar verweigert, weil er diese Art von Partnerschaft (z.B. aus moralischen Gründen) ablehnt. Entsprechende Rechte stünden im entgegengesetzten Fall auch einem homosexuell empfindenden Bäcker zu. Diese notwendige Unterscheidung zwischen der Würde der Person und ihrer Lebensweise, die (moralisch) unterschiedlich bewertet werden darf, ist aufgrund der angesprochenen Entwicklung stark gefährdet.

„Geschlechtsidentität“

Analoges gilt für die Geschlechtsidentität, für deren Definition der Bericht ebenfalls auf die Yogyakarta-Prinzipien zurückgreift. Demnach meint Geschlechtsidentität „das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, welches der betroffene Mensch bei seiner Geburt hat, übereinstimmt oder nicht.“ Das Geschlecht wird also zur Empfindungssache erklärt, die mit dem Leib prinzipiell nichts zu tun hat. Dabei wird unterschlagen, dass sowohl Inter- als auch Transsexualität von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheitsdiagnosen eingestuft werden (ICD-10, F64 bzw. Q99). Transsexualität gilt dort nicht als Geschlechtsidentität, sondern im Gegenteil als Störung der Geschlechtsidentität. Je nachdem aber, ob Trans- und Intersexualität als Anomalien, oder aber, im Sinne der Gender-Ideologie, als normale Ausprägungen menschlichen Geschlechtsempfindens eingeschätzt werden, wird auch die Beurteilung von Diskriminierungsklagen unterschiedlich ausfallen.

In Kanada, das bereits über eine ausufernde Gesetzgebung zum „Schutz“ von LGBT-Personen verfügt, wurde 2016 einem Vater, der sich weigerte, seine 11-jährige Tochter mit Jungennamen anzureden, dies per Gerichtsbeschluss auferlegt. Mit Erlaubnis des Gerichts darf dem Kind weiterhin der „Pubertätsblocker“ Lupron verabreicht werden, der die Pubertätsentwicklung stoppt und den Körper auf die Gabe von gegengeschlechtlichen Hormonen vorbereitet. Der vom kanadischen Gericht geschützte ideologische Umgang mit sogenannten „Transkindern“, der auch in der Schweiz bereits praktiziert wird, wird von namhaften Experten wie Michelle A. Cretella als „Kindsmissbrauch“ kritisiert.

Gender-Ideologie

Die Yogyakarta-Prinzipien sind eine Umdeutung geltender Menschenrechte im Sinne der Gender-Ideologie. Sie gehen von einem Verständnis von Geschlecht und Sexualität aus, welches die natürliche Kohärenz von biologischem Geschlecht (sex), gefühlter Geschlechtsidentität (gender) und sexuellem Begehren (desire) verneint. Erst durch die Infragestellung dieser Kohärenz (Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität) entsteht das, was heute als „sexuelle Vielfalt“ propagiert und durch den vorliegenden Gesetzesentwurf mit einem strafrechtlichen Sonderschutz versehen werden soll. Damit wird unterschlagen, dass menschliche Sexualität, die in einer heterosexuellen und auf Dauer angelegten zweigeschlechtlichen Beziehung gelebt wird, auf eine Weise zum Wohl und Fortbestand der Gesellschaft beiträgt, wie dies normabweichenden Ausdrucksformen menschlicher Sexualität nicht möglich ist.

Es ist mehr als fragwürdig, umstrittene Phänomene wie Homo- oder Transsexualität, über die (anders als bei der Bewertung der Rasse oder der Behinderung) weder ein wissenschaftlicher noch gesellschaftlicher Konsens besteht, unter den besonderen Schutz des strafrechtlichen Diskriminierungsverbots zu stellen; insbesondere wegen der akuten Gefahr, dass die neuen Diskriminierungsmerkmale im Sinne der Gender-Ideologie ausgelegt werden dürften.

Bedrohung für öffentlichen Frieden

Sollte sich durchsetzen, dass alle sexuellen Orientierungen und sogenannten „Geschlechtsidentitäten“ – unter Strafandrohung – in allen Belangen unterschiedslos als gleich und gleichwertig zu behandeln sind, so hätte dies weitreichende negative Folgen für unsere Gesellschaft. Nicht zuletzt wären wohl schwerwiegende Einschränkungen zentraler Freiheitsrechte wie z.B. der Meinungsäusserungs-, der Gewissens-, der Religions- und der Wissenschaftsfreiheit, aber auch der Therapiefreiheit und Patientenautonomie (z.B. bei ichdystoner Sexualorientierung) die Folge.

Die aktuell gültige Diskriminierungsstrafnorm ist im Strafgesetzbuch unter dem zwölften Titel „Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden“ aufgeführt. Der Gesetzgeber schützt mit dieser Norm somit nicht nur die Würde des Menschen, sondern mittelbar auch den öffentlichen Frieden. Die geplante Erweiterung der Diskriminierungsstrafnorm aber stellt gerade eine erhebliche Gefahr für diesen Frieden dar.

Der Autor ist Leiter des Fachbereichs Werte und Gesellschaft bei der Stiftung Zukunft CH, einer überkonfessionell christlichen Stiftung mit Sitz in Engelberg. Diese setzt sich ein für zukunftstragende Werte, insbesondere für die Menschenrechte (1948) sowie für Ehe und Familie: www.zukunft-ch.ch.


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