Entfremdung

12. September 2017 in Kommentar


Umfragen belegen, daß die Mehrheit der Bundesbürger dem Berufsstand des Journalisten zunehmend weniger Vertrauen schenkt - Diakrisis am Dienstag von Eva Demmerle


Linz (kath.net)
Sinkende Auflagenzahlen, Verflachung des TV-Programms, Kritik an den TV-Gebühren, alternative Medien, Schlagworte wie „Staatsrundfunk“ und „Lügenpresse“, all dies sind Symptome einer Krise, die die klassischen Medien seit einigen Jahren erfasst hat. Umfragen belegen, daß die Mehrheit der Bundesbürger dem Berufsstand des Journalisten zunehmend weniger Vertrauen schenkt. Der Journalist geniesst keinen guten Ruf. Insbesondere die Journalisten der sogenannten Leitmedien, allen voran die TV-Journalisten werden zunehmend weniger ernst genommen. Viele Bürger fühlen sich nicht mehr ausreichend informiert und wenden sich anderen Medien zu.

Der gegenwärtige Bundestagswahlkampf (so er denn von irgendjemandem bemerkt wird, so leise, wie er abläuft) und die dazugehörige Berichterstattung illustrieren diesen Komplex auf besondere Art und Weise. Themen sind ausgespart, „gekämpft“ wird mit Worthülsen und diffusen Emotionen („fedidwgugl“). Nichts hört man von den Herausforderungen und Problemen, die unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren prägen und beschäftigen werden: weder die demographische Situation, die unsere Sozialsysteme bedroht, wird thematisiert, noch die Energiefrage, die nach einem plötzlichen Ausstieg aus der Kernenergie hin zu den erneuerbaren Energien in einem hoch industrialisierten Land wie Deutschland völlig ungeklärt ist, noch die Frage, welche Konsequenzen der massenhafte Zuzug von Asylsuchenden für unsere Gesellschaft haben wird. Die Gestaltung für eine gelingende Integration wird nicht diskutiert. Ebenso kein Wort von einer schwierigen geopolitischen Lage und der damit verbundenen Sicherheitsfrage.

Nun gut, wenn man sich in den Konrad-Adenauer- und Willy-Brandt-Häusern darüber einig ist, so wenig Konflikte wie möglich zu thematisieren, dann mag das ja so sein. Fast wehmütig erinnert man sich an Wahlkämpfe, in denen noch über die großen Ideen wie „Freiheit oder Sozialismus“ gestritten wurde.
Erschreckend ist allerdings, daß die Medien das mitmachen. Auch in den Redaktionen, so scheint es, hat man sich in der Konsensgesellschaft gut eingerichtet. Kontroversen finden kaum mehr statt. Alles wird gut.

Jüngste Umfragen haben gezeigt, daß die Bundesbürger von ganz anderen Problemen als dem Dieselskandal oder der Eierproblematik umgetrieben werden, vielmehr steht die innere Sicherheit oder die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei vielen an oberster Stelle. Die mediale Realität spiegelt das kaum wieder. Es entsteht eine Kluft zwischen der Realität der Berliner Hauptstadtredaktionen und der Realität, die die Bürger täglich erleben. Vor allem viele politisch Interessierte sind mittlerweile davon überzeugt, dass die Medien gesellschaftlich relevante Kontroversen nicht mehr realitätsgerecht darstellen.

Zunehmend läuft die Meinungsbildung an den klassischen Medien vorbei. Wobei nicht wenige der alternativen Medien reichlich unseriös sind.
Groß ist die Klage über „fake news“ und alternative Medien, die selbige produzieren. Aber auch die Journalisten der Leitmedien müssen sich fragen, inwieweit sie selbst den Glaubwürdigkeitsverlust provoziert haben. Lange war man der Ansicht, daß man neben dem Informationsauftrag auch einen Erziehungsauftrag habe. Und nun kämpft man um den Einflussverlust.
Die Mehrheit der Journalisten macht eine seriöse Arbeit, im Einklang mit dem Pressekodex. Doch anhand einiger Skandalisierungen der letzten Jahre läßt sich gut abbilden, was zu der zunehmenden Entfremdung der Journalisten von ihrem Publikum beigetragen hat. Eine jüngste Publikation dazu ist bemerkenswert. Der Mainzer Medienwissenschaftler Hans Matthias Kepplinger hat eine Studie vorgelegt, die sorgfältig rezipiert werden müsste: „Totschweigen und Skandalisieren. Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken.“

In einer großen Journalistenbefragung untersucht Kepplinger die Akzeptanz fragwürdiger Publikationspraktiken anhand einiger ausgewählter Skandale der vergangenen Jahre, darunter den „Hitler-Putin-Vergleich“ von Wolfgang Schäuble, die Medienkritik an Christian Wulff, die Risiken der Kernenergie nach Fukushima und auch die Skandalisierung des Indienfluges von Bischof Tebartz-van Elst. Gerade in letzterem Fall weist Kepplinger nach, dass der Spiegel mit seiner fälschlichen Behauptung, der Bischof habe gelogen, gleich vier Verbote des Pressekodex gebrochen hat. Hier liegt ganz klar eine Skandalisierung durch eine Verkürzung von Aussagen vor.

Ebenso fragwürdig war die Berichterstattung rund um die Reaktorkatastrophe in Fukushima In Folge des verheerenden Tsunami in Japan. Drei Jahre nach der Kernschmelze von Fukushima, das heißt, auch drei Jahre nach dem deutschen Atomausstieg, veröffentlichte das „Scientific Committe on the Effects of Atomic Radiation“ der Vereinten Nationen (UNSCEAR) ihren UNSCEAR-Report 2013. Darin wurden auch die relevanten Auswirkungen des Reaktorunfalls analysiert, mit dem Ergebnis, dass die radioaktive Belastung nicht zu signifikant erhöhten Krankheitsrisiken geführt hat. Nur wenige deutsche Medien haben darüber berichtet. Dennoch haben die befragten Journalisten in der Mehrheit geantwortet, dass die Nichtberichterstattung bzw. das Totschweigen dieser Fakten nicht im Einklang mit ihrem Berufsethos war.
Dies sind nur zwei Beispiele von höchst fehlerhaften Verhalten von Medienvertretern. Wenn sich die Entfremdung zwischen Journalisten und ihrem Publikum wieder auflösen soll, dann muss sich auch dieser Berufsstand einer kritischen Selbstreflexion unterziehen.


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