Theologe: Jägerstätter hat Verhältnis Gehorsam-Gewissen revidiert

10. August 2017 in Österreich


Innsbrucker Dogmatiker Prof. Niewiadomski bei Jägerstätter-Gedenken in St. Radegund: Ein "Herzensanliegen" sei diese "Wolke der Märtyrer der Gegenwart" Papst Johannes Paul II. gewesen.


Linz (kath.net/KAP) Laut dem Innsbrucker Dogmatiker Prof. Josef Niewiadomski hat der Selige Franz Jägerstätter beträchtlich zur Revision des Verhältnisses von Gehorsam und Gewissen beigetragen. "Nicht nur dem Erschrecken über die Folgen einer allzu formalen Auffassung des Gehorsams im Nationalsozialismus, sondern auch der Entscheidung eines Jägerstätters ist diese Revision in den ethischen Reflexionen der Nachkriegsphilosophie und -theologie zu verdanken", so Niewiadomski beim Internationalen Jägerstätter-Gedenken am Mittwoch in Tarsdorf und St. Radegund.

Die Hochschätzung des Gewissens, die Anerkennung der Menschenrechte und der Mündigkeit jedes einzelnen Menschen habe für die Frage nach dem Gehorsam unverrückbare neue Referenzpunkte geschaffen und so den Gehorsam ungefragt "vom Podest der Mutter und Wächterin aller Tugenden gestürzt". Gehorsam sei damit, so der Dogmatiker, begründungspflichtig geworden und könne deshalb nur noch gefordert werden, "wenn er als Dienst am Lebensrecht der Menschen verstanden wird; und Jägerstätter ist eine der Ikonen, die diesen Wandel mit dem Preis ihres Lebens bezahlt haben".

Jägerstätter wurde am 9. August 1943 hingerichtet. Die geschichtlichen Rahmenbedingungen hätten dabei Jägerstätters Gewissensentscheidung noch einmal mehr an Brisanz verliehen, betonte Niewiadomski. Anders als viele Märtyrer sei er nämlich nicht von einer "Wolke von Zeugen", wie sie im Hebräerbrief beschrieben wird, umgeben gewesen; wohl aber stehe er mit anderen Märtyrern wie etwa Josef Mayr-Nusser und Pater Franz Reinisch für eine "überdimensionale Wolke der Märtyrer unserer Gegenwart". Es seien dies jene Heiligen, "die durch ihre Gewissensentscheidung der kirchlichen Tradition und auch dem theologischen Nachdenken über das christliche Gottesbild neue Wege gewiesen haben".

Ein "Herzensanliegen" sei diese "Wolke der Märtyrer der Gegenwart" Papst Johannes Paul II. gewesen. Überall - auch in Österreich - sei nicht zuletzt auf seinen Appell hin "unheimlich viel an Dokumentationsarbeit geleistet worden" und die Martyrologien des 20. Jahrhunderts verzeichneten Tausende und Abertausende von Namen. Sie zeigten, "dass der Widerstand auf religiöser Ebene und auch das Glaubenszeugnis vielschichtige Formen angenommen haben".

Nicht unterschätzt werden dürfe auch das Ausmaß des inneren Kampfes Jägerstätters. "Der gläubige Laie, der ja der Kirche gegenüber im geradezu kindlichen Gehorsam ergeben war, stellt sich in seiner Entscheidung dem Ratschlag des Bischof Josef Fließer entgegen." Schlussendlich habe die Kirche mit seiner Seligsprechung seinem Handeln aber das Gütesiegel der Heiligkeit verliehen: "Weil er wegen des Hasses gegen den christlichen Glauben in der Haltung der Hingab gestorben ist, wird er als Märtyrer in der Katholischen Kirche verehrt".

Ambivalenz des "Martyriums"

Mir religiös faszinierter Gewalt, wie das etwa bei Selbstmordattentätern der Fall sei, habe die Entscheidung Jägerstätters aber nichts zu tun, hielt Prof. Niewiadomski fest. Denn trotz formaler Parallelen müsse durch den Inhalt dessen, was der Wille Gottes sei, radikal zwischen diesen unterschieden werden. Die im Zentrum stehenden Märtyrer und Attentäter blieben zwar in ihrem Leben und Sterben beide der Wahrheit verpflichtet, der Gott der Islamisten verpflichte aber zu töten.

Das Gewissen Jägerstätters, Reinischs und Mayr-Nussers seien hingegen an den Willen jenes Gottes gebunden gewesen, "der ein Freund, ja ein Liebhaber des Lebens ist. Die Ehre dieses Gottes erweist sich nämlich nicht dadurch, dass er Menschen in ihrem Gewissen zum Töten verpflichtet". Beim Gottesbild also, so der Dogmatiker, von dem das Gewissen des gläubigen Menschen den Willen Gottes für die jeweils konkrete Situation des Lebens ableitet, liege ein nicht zu nivellierender Unterschied zwischen den Märtyrern und den Selbstmordattentätern.

Noch bis zum Abend des 9. August gedenkt die Diözese Linz auch heuer wieder des Märtyreres und Seligen Franz Jägerstätters. Höhepunkt ist am 9. August um 19.30 Uhr eine Eucharistiefeier mit Bischof Manfred Scheuer in St. Radegund. Im Anschluss findet eine Lichterprozession zur Jägerstätter-Grabstätte statt.

Seliger Bauer und Mesner

Franz Jägerstätter war Bauer, Mesner und Familienvater in St. Radegund (Oberösterreich). Er verweigerte die Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialismus, da ihm dieser mit dem Christentum völlig unvereinbar erschien. Nachdem er 1940 zum Militärdienst einberufen und zweimal unabkömmlich gestellt wurde, leistete er einer weiteren Einberufung nicht mehr Folge, da er den Kampf für Hitler als Sünde ansah. Für seine Erklärung, aus religiösen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe abzulehnen und nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik sein zu können, wurde er verhaftet, wegen "Wehrkraftzersetzung" verurteilt und am 9. August 1943 in Brandenburg an der Havel enthauptet.

Ab 1989 wurden im Auftrag des damaligen Linzer Diözesanbischofs Maximilian Aichern Personen, die Franz Jägerstätter gekannt haben, als Zeugen einvernommen. Der Seligsprechungsprozess wurde 1997 offiziell eröffnet und ab 1998 vom heutigen Linzer Bischof Manfred Scheuer als Postulator geleitet. Am 1. Juni 2007 bestätigte Papst Benedikt XVI. das Martyrium, woraufhin die Seligsprechung am 26. Oktober 2007 im Linzer Mariendom stattfinden konnte. Als Gedenktag wurde der 21. Mai festgesetzt. Jägerstätters Ehefrau Franziska, die für seinen religiösen Glauben eine große Rolle spielte, verstarb am 16. März 2013, wenige Tage nach ihrem 100. Geburtstag.

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