'Guter Routenplaner' auf dem Weg zur Einheit

28. Juli 2017 in Interview


Schiebt das Reformationsjubiläum die Ökumene an? – Augsburgs Bischofsvikar und ACK-Vorsitzender Bertram Meier setzt auf Leidenschaft und Geduld – Lob für ehrliche Darstellung des Reformators. Interview von Johannes Müller


Augsburg (kath.net/Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost) Mit dem Reformationsjubiläum verbanden die deutschen Protestanten große Erwartungen. Diese sind, was die Besucherzahlen anbelangt, bisher nicht erfüllt worden (kath.net hat berichtet). Bei den Katholiken hingegen ist das Gedenkjahr auf sehr reges Interesse gestoßen. Bertram Meier (Foto), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern und Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog im Bistum Augsburg, erläutert im Interview unserer Zeitung den Stand des konfessionellen Miteinanders.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Herr Bischofsvikar, betrachtet man die zahlreichen Veranstaltungen, die es derzeit landauf landab konfessionsübergreifend zum Gedenken an die Reformation vor 500 Jahren gibt, drängt sich der Eindruck auf: Um das Miteinander von katholischer und evangelischer Kirche in Deutschland ist es gut bestellt. Teilen Sie diesen Eindruck?

Meier: Insgesamt können wir derzeit von einem entspannten ökumenischen Klima sprechen. Die vielen Gottesdienste, Vorträge, Ausstellungen, karitativen Projekte und kulturellen Events, die meistens ökumenisch verantwortet sind, sprechen für sich. Ein besonderes Highlight für Augsburg war die Bibelausstellung an drei Orten der Stadt. Da hat ein ökumenischer Trägerkreis tatsächlich das Wort Gottes ins Herz der Stadt getragen. Wichtig für gemeinsames Handeln ist immer, dass die Chemie zwischen den Amtsträgern stimmt. Wenn das der Fall ist, lassen sich auch Probleme und Krisen, die es zweifellos im ökumenischen Miteinander gibt, leichter im Gespräch lösen. Ins Bild der Jahreszeiten gegossen meine ich, dass wir im Hinblick auf die Ökumene gerade im Hochsommer sind. Dass es da auch Gewitter mit Blitz und Donner geben kann, sollte uns weder erschrecken noch entmutigen.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Jahrhundertelang wurde Luther katholischerseits als Ketzer und Glaubensspalter charakterisiert. Jetzt ist eine weitaus versöhnlichere Betrachtungsweise im Umlauf. Hat sich nur die Perspektive verändert oder gibt es auch neues Wissen zur Person Martin Luther?

Meier: Es ist positiv zu vermerken, dass unsere evangelischen Glaubensgeschwister in diesem Jahr nicht so sehr die Person Martin Luthers in den Mittelpunkt rücken, sondern das Anliegen, mit dem er angetreten war: die geistliche Erneuerung der Kirche. Das war für ihn weniger eine Strukturfrage, sondern gerade anfangs ein spirituelles Projekt, das ihn als Person in Anspruch nahm. Es geht um die Gottesfrage und ihre Auswirkungen auf das Kirchenverständnis. Papst Benedikt XVI. hat es bei seinem Besuch in Erfurt 2011 treffend auf den Punkt gebracht: „Was Luther umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist: ‚Wie kriege ich einen gnädigen Gott?‘ Diese Frage hat ihn ins Herz getroffen und stand hinter all seinem theologischen Suchen und Ringen. Theologie war für Luther keine akademische Angelegenheit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott.“

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Martin Luthers Aussagen über die Juden oder die aufmüpfigen Bauern sind nicht gerade zimperlich. Reine Rhetorik? Üble Scharfmacherei? Oder ganz einfach eine Anpassung an den Zeitgeist??

Meier: Die Gründe für Aussagen gegen Juden und Bauern, aber auch gegen andere Personen und Gruppen, die Luther ins Visier nahm, mögen vielfältig sein. Insgesamt wage ich die Behauptung, dass hier auch viel Psychologie mitspielt. Je mehr Machtinteressen sich unter dem Oberbegriff der Reformation versammelten und ihr eine gewaltsame Stoßkraft verliehen, desto mehr musste Luther das Empfinden haben, dass ihm die Reformation aus den Händen glitt. Er versuchte gegenzusteuern und schoss sich umso schärfer auf Gegner ein. In seinen Äußerungen gegen die Juden ist er Kind seiner Zeit, denn der Antijudaismus war in der Kirche allgegenwärtig. Es ist gut, dass unsere evangelischen Schwestern und Brüder diese dunklen Seiten Luthers nicht verschweigen, sondern ausdrücklich benennen und sich davon distanzieren. Luther eignet sich nicht für eine „Heiligsprechung“, genauso wenig wie mancher seiner katholischen Zeitgenossen.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Einer Ihrer Beiträge zum Gedenkjahr war eine Predigt über „Luther und Maria“. Und dies, obwohl es für Katholiken lange Zeit ausgemacht schien, dass der Reformator mit der Himmelskönigin wenig am Hut hatte. Wie lauten Ihre Erkenntnisse?

Meier: Martin Luther hat zeitlebens Maria verehrt. Er hat sich – zu Recht – gegen eine Quasi-Anbetung der Gottesmutter gestellt, zugleich aber keinen Zweifel daran gelassen, dass Maria Jungfrau und Gottesmutter ist. Die Auslegung des Magnificat aus der Feder Martin Luthers ist ein beredtes und beeindruckendes Zeugnis für die Marienverehrung des Reformators.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Was können Katholiken sonst noch von den evangelischen Christen lernen?

Meier: Als Katholiken können wir vor allem in zweierlei Hinsicht von unseren evangelischen Schwestern und Brüdern immer noch dazulernen: im Blick auf die Hochschätzung der Heiligen Schrift und das lebendige Bewahren geistlicher Schätze wie Gebete, Lieder sowie der Kirchenmusik. Ökumene heißt ja auch Austausch von geistlichen Gaben und Geschenken, die Vielfalt als Reichtum entdecken. Das neue Gotteslob ist dafür ein gelungenes Beispiel.

Für mich persönlich war mein verstorbener Vater Vorbild als evangelischer Christ. An ihm schätze ich bis heute sein aufrechtes Wesen und seinen aufrichtigen Glauben. Aus dieser Haltung heraus hat er sich als Jugendlicher bewusst auch nicht der Hitlerjugend angeschlossen.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Bei aller Versöhnlichkeit: Manche finden, dass man vom eigentlichen Ziel – der Überwindung der Spaltung und der gemeinsamen Kommunion – meilenweit entfernt ist. Ihre Meinung?

Meier: Es stimmt: Bis zur gemeinsamen Kommunion ist es wohl noch ein weiter Weg. Auf dem Weg zu diesem Ziel der vollen sichtbaren Einheit gilt die Faustregel: Ich gehe in der Kirche zur Kommunion beziehungsweise zum Abendmahl, zu der ich gehöre. Diese Erfahrung, die durchaus schmerzlich sein kann, gilt es auszuhalten. Deshalb rate ich, in der Ökumene besonders zwei Tugenden einzuüben und zu pflegen: Leidenschaft und Geduld. Der Heilige Geist wird uns die nötigen Schritte zeigen. Rafik Schami, ein aus Damaskus stammender aramäischer Christ und einer der wichtigsten Gegenwartsautoren im deutschen Sprachraum, sagte erst kürzlich: „Ich bin für Evolution statt für Revolution, für langsame Schritte.“ Das ist ein guter Routenplaner für die Ökumene.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: „Ökumene ist möglich, wenn die Uhrzeit stimmt“, formulierten Sie in einem Interview unserer Zeitung vor genau zehn Jahren beim Thema ökumenische Gottesdienste. Bleiben diese nach wie vor dem Samstag oder dem Sonntagnachmittag vorbehalten?

Meier: Die ganze Woche über kann zu allen Tages- und Nachtzeiten ökumenisch gebetet und gefeiert werden. Doch der Sonntagvormittag ist für uns Katholiken der Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium, 11) vorbehalten. An diesem Grundsatz hat sich auch im Gedenkjahr „500 Jahre Reformation“ nichts geändert. Seltene Ausnahmen von dieser Regel müssen bei mir als dem Bischofsvikar für Ökumene vom Ortspfarrer rechtzeitig erbeten werden. Nach eingehender Prüfung wird dann über den Antrag entschieden.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft der Ökumene aus?

Meier: Unsere Gesellschaft wird immer pluraler und säkularer. Die Grundfrage, an der sich die Geister scheiden, ist dann weniger: Bist du katholisch, evangelisch, orthodox oder freikirchlich? Die eigentliche Frage lautet: Bist du Christ? So sehe ich unsere Aufgabe in der Ökumene nicht darin, eine Kircheneinheit „zusammenzubasteln“ oder diplomatisch-strategisch auszuhandeln, sondern gemeinsam zu Jesus Christus umzukehren, der sich wünscht: „Lass sie eins sein!“ (Joh 17,21). Dann rücken wir auch als Kirchen näher zusammen. Die Kirchen werden zukunftsfähig sein, wenn sie auf Christus und sein Evangelium hin profiliert sind und zugleich ökumenisch offen.

katholisch1tv - Bischofsvikar Bertram Meier: Chancen im ökumenischen Miteinander


Foto Bischofsvikar Meier © Bistum Augsburg


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