Joachim Kardinal Meisner: Die Kirche ist der Leib Christi

13. Juli 2017 in Chronik


„Wer also die Eucharistie isst, obwohl er nicht zu unserer katholischen Kirche gehört, der versündigt sich am Leib Christi“ - Fastenhirtenbrief des verstorbenen Kölner Kardinals zum Thema Ökumene und Eucharistie aus dem Jahr 2002 in voller Länge!


Köln (kath.net/pek) kath.net dokumentiert den Fastenhirtenbrief „Die Kirche ist der Leib Christi“ des vor wenigen Tagen verstorbenen Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner zum Thema Ökumene und Eucharistie in voller Länge:

Liebe Schwestern, liebe Brüder im Herrn! Der selige Papst Johannes XXIII. hat in seiner letzten Ansprache – sie war über den Rundfunk an uns Deutsche gerichtet – den hl. Augustinus zitiert: „Seid überzeugt, Brüder, nach dem Maß, wie einer die Kirche Christi liebt, hat er den Heiligen Geist.“ Dieses Wort mag heute manch einem Mitchristen seltsam, ja anstößig erscheinen. Aber es weist uns darauf hin, dass man die Kirche nicht richtig verstehen kann, wenn man sie nur als menschliche Institution sieht. Vielmehr gehört sie in den Glauben und damit in unser Glaubensbekenntnis hinein. Denn sie ist ein Werk des Heiligen Geistes und deshalb nur im Zusammenhang mit dem Geheimnis unserer Erlösung durch Jesus Christus verstehbar. Die Heilige Schrift kennt einige Bilder, die das Geheimnis der Kirche und die Fülle der Gegenwart Christi in ihr zum Ausdruck bringen. So etwa die Kirche als der „Leib Christi“, das „Volk Gottes“, die „Familie Gottes“, der „Weinstock Gottes“, das „Haus Gottes“ und der „Tempel Gottes“. Die einzelnen Bilder schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich. Wird eines der Bilder verabsolutiert, werden wir der Fülle der Gegenwart Christi in seiner Kirche nicht gerecht. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil wurde in besonderer Weise das biblische Bild der Kirche vom Volke Gottes akzentuiert. Das berechtigte Bild vom Volk Gottes, aber aus seinem Zusammenhang gelöst, gab freilich nicht selten den Weg frei für eine mehr oder weniger soziologische Betrachtung der Kirche, bei der das Mysterium zu kurz kam. Das Konzil wollte dagegen das Christusgeheimnis als Mitte der Kirche im Blick behalten, zumal nach dem hl. Augustinus das neutestamentliche Volk Gottes nur als Leib Christi existiert. Wir haben in den letzten Jahren viel über Strukturen nachgedacht und geredet. – Das war auch nötig! – Aber wir müssen dabei bedenken, dass Strukturen nur Korsett sind, aber nicht der Leib. Was nützt ein Korsett, wenn kein Leib da ist. Darum ist es dringend erforderlich, dass wir wieder von der Kirche als dem „Leib Christi“ sprechen, wie es der hl. Paulus in seinen Briefen in so eindrucksvoller Weise tut. Die Kirche ist ein Organismus und nicht eine Organisation. Und das hat Folgen für unser Tun im persönlichen Leben, in Ehe und Familie, in Beruf und Gemeinde.

1. Die Kirche ist der Leib Christi. Christus ist das Haupt und das Lebensprinzip dieses Leibes, und wir sind Glieder am Leibe Christi. Wir werden buchstäblich in diese Christuswirklichkeit einverleibt durch die Initiationssakramente: Taufe, Eucharistie und Firmung. Der Christ ist darum das, was er isst; er hat Anteil am Leib Christi. Die Eucharistie ist geradezu das Sakrament der Einverleibung des Einzelnen in den Leib Christi, der die Kirche ist. Kommuniongemeinschaft setzt daher Kirchengemeinschaft voraus. Wer also die Eucharistie isst, obwohl er nicht zu unserer katholischen Kirche gehört, der versündigt sich am Leib Christi, dessen sichtbare Seite auch soziologisch feststellbar ist. Ich habe mir sagen lassen, dass in der altlutherischen Gemeinde von Berlin am Eingang eine Tafel hängt mit dem Hinweis: „Jeder, der am Gottesdienst teilnimmt und etwa das Abendmahl empfängt, soll bedenken, dass er dann bleibend zur Gemeinde gehört mit allen Pflichten und Rechten.“ – Hier lebt noch das katholische Eucharistieverständnis am ehesten fort. Von hierher gesehen ist eine sogenannte eucharistische Interkommunion mit den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften aus inneren Gründen nicht möglich. Hinzu kommt, dass Eucharistie im katholischen Sinne nur dort Wirklichkeit wird, wo sie von einem gültig geweihten Priester vollzogen wird. Von daher werde ich nicht müde, die Dringlichkeit der Sorge um Priesterberufungen zu betonen. Denn ohne Eucharistie gibt es keine Kirche und ohne Priester keine Eucharistie. Die Kirche ist der „Leib Christi“.

2. Christus ist das Haupt, wir die Glieder. Der Herr erweist sich als Haupt seines Leibes, indem er durch die Gnade vom Haupt aus die Glieder seines Leibes zu beleben und zu inspirieren sucht. Die Konsequenz für die Glieder dieses Leibes unter dem Haupt Jesus Christus ist ihre Heiligkeit. Der Heilige Vater Papst Johannes Paul II. schreibt in seinem Apostolischen Schreiben „Novo millennio ineunte“ zum Ende des Heiligen Jahres 2000: „Die Wiederentdeckung der Kirche als 'Geheimnis' oder als 'das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk' musste auch zur Wiederentdeckung ihrer 'Heiligkeit' führen. Heiligkeit ist hier im grundsätzlichen Sinn verstanden als Zugehörigkeit zu dem, der eigentlich der Heilige ist, ja 'der dreimal Heilige' ist (vgl. Jes 6,3). Das Bekenntnis zur 'heiligen' Kirche bedeutet auf ihr Antlitz als Braut Christi zu verweisen, für die er sich gerade deshalb hingegeben hat, um sie zu heiligen (vgl. Eph 5,25-26). Dieses Geschenk der Heiligkeit ist sozusagen 'objektiv'. Es ist jedem Getauften angeboten. Doch setzt sich das Geschenk seinerseits in eine Aufgabe um, die die ganze christliche Existenz leiten muss. 'Das ist es, was Gott will: eure Heiligkeit' (1 Thess 4,3). Dieser Auftrag betrifft nicht nur einige Christen: 'Alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges sind zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen.' „ (Novo millennio ineunte, Nr. 30). Heiligkeit bedeutet also für Christen, lebendiges Glied am Leib Christi zu sein. Wo ein Glied durch Schuld und Sünde gleichsam verkalkt, sodass die Inspirationen Christi, des Hauptes, es nicht mehr lenken und bewegen können, treten Durchblutungsstörungen ein, die oft genug zur Amputation des einzelnen Gliedes führen, d.h. im Klartext: zur Trennung von der Kirche. Zugehörigkeit zur Kirche heißt: „Gliedschaft“, oder besser noch „Mitgliedschaft“ mit den anderen Gliedern am Leibe Christi, dessen Haupt Christus ist. Eine wichtige Weise, allen Kreislaufstörungen im Leibe Christi entgegenzuwirken, ist das Gebet. Im Gebet entsteht jener Dialog mit Christus, der uns zu seinen engsten Vertrauten macht. „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ (Joh 15,4), sagt der Herr ausdrücklich. Diese wechselseitige Beziehung von Haupt und Gliedern ist der eigentliche Kern, die Seele des christlichen Lebens und die Voraussetzung für geistliche Vitalität und Effektivität. Aus solcher Sichtweise heraus sagt der Apostel Paulus: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt“ (1 Kor 6,19). Mitgliedschaft am Leibe Christi ist eine Wirklichkeit, die uns auch in unserer ganzen leiblichen Existenz beansprucht und prägt. „Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib“ (1 Kor 6,13). Der Herr hat uns im Bußsakrament gleichsam eine zweite Taufe geschenkt, damit uns eine verlorene oder geminderte erste Liebe wiedergegeben wird, indem wir unsere Sünden aufrichtig bereuen und beichten. Das Bußsakrament ist ein typisches Sakrament des Leibes Christi, das ein krankes Glied wieder revitalisiert. Gerade dieses „Leibsakrament“ des Herrn - das sollten wir nicht vergessen - kommt von demjenigen, der das Herz des einzelnen Menschen am besten kennt und weiß, was ihm nottut, und der zugleich der Herr auch der Geschichte ist. Viele Menschen unterziehen sich – sei es aus prophylaktischen oder therapeutischen Gründen – einer Kur, um ihren leiblichen Organismus wieder zu revitalisieren, d.h. zu stärken und zu kräftigen. In der österlichen Bußzeit soll der Leib Christi, d.h. sollen seine einzelnen Glieder gestärkt und gekräftigt werden. Diese heiligen 40 Tage sind wie eine geistliche Kur, um die einzelnen Glieder prophylaktisch oder therapeutisch zu revitalisieren, damit der Zusammenhang und die Verbindung zwischen Haupt und Gliedern verlebendigt werden. Im Weinstock-Gleichnis sagt der Herr ausdrücklich: „Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (Joh 15,4).

3. Christen sind „Glieder Christi“ untereinander. Wir sind also gemeinsam Glieder unter dem Haupt Jesus Christus. Wir stehen unter den gleichen Inspirationen, die vom Haupt in die Glieder des Leibes gesandt werden. Darum ist es ein Widerspruch, wenn Glieder sich feindselig bekämpfen, sodass „Zwiespalt entsteht“ (1 Kor 12,25). In einem gesunden und vitalen Leib gibt es so etwas nicht. Paulus spricht von der „Verschiedenheit der Glieder“, die alle eine bestimmte Aufgabe haben. Nicht jedes Glied kann Auge, Hand oder Fuß sein, sondern jedes Glied ist einmalig, unersetzbar, seine Aufgabe nicht delegierbar. Alle wirken zum Wohle des gesamten Organismus, indem sie vom Haupt her geordnet, inspiriert und geleitet werden. Sich vom Haupte Christi prägen zu lassen, ist die Konsequenz der Wirklichkeit „Kirche als Leib Christi“. Sonst ist die Kirche zur Handlungslosigkeit verurteilt. Im Evangelium berichtet der Herr von der Heilung eines Gelähmten (vgl. Lk 5,17-26), der von Freunden auf einer Bahre zu Christus getragen wird. Der Herr steht im Haus und ist von vielen Menschen umringt. Deshalb steigen die Krankenträger mit ihrem Gelähmten auf das Dach, decken die Ziegel ab und lassen den Schwerkranken vom Dach herab, genau vor die Person des Herrn, sodass dann die Heilung erfolgen kann. Diese Krankenträger zeigen die Christusorientiertheit der Glieder des Leibes Christi, indem sie den Kranken vor Christus herablassen, und sie zeigen die Abgestimmtheit der Glieder untereinander, ihre Zusammenarbeit Hand in Hand. Die Kirche ist also eine Körperschaft, und sie verdient den Namen nicht nur, wenn sie im öffentlichen Register eingetragen ist, sondern wenn ihre Anhänger „Glieder“, d.h. Mitglieder eines Leibes sind, indem man Hand in Hand arbeitet, ein Herz und eine Seele ist und einer den anderen höher schätzt als sich selbst, wie der Apostel sagt (vgl. Apg 4,32 u. Röm 12,10). Ich zitiere den Heiligen Vater nochmals in seinem bereits angeführten Rundschreiben: „Diese Sicht von Gemeinschaft ist eng verbunden mit der Fähigkeit der christlichen Gemeinschaft, allen Gaben des Geistes Raum zu geben. Die Einheit der Kirche bedeutet nicht Einförmigkeit, sondern organische Integration der legitimen Verschiedenheiten. Es geht um die Wirklichkeit, dass die vielen Glieder in einem Leib verbunden sind, dem einzigen Leib Christi (vgl. 1 Kor 12,12)“ (Nr. 46). Welch großartige Gnade ist uns damit gegeben! Dass sie auch uns geschenkt wird, ist mein herzlicher Wunsch für Sie alle. Dazu segne Sie alle der allmächtige und barmherzige Gott: Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Ihr

+ Joachim Kardinal Meisner Erzbischof von Köln

Köln, am Fest der Bekehrung des Apostels Paulus 2002

EWTN - Joachim Kardinal Meisner - Bilder, Menschen, Emotionen


Foto oben: Kardinal Meisner (c) Erzbistum Köln


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