'Weniger erfreulich ist, wie Politiker mit dem Erbe Kohls umgehen'

11. Juli 2017 in Kommentar


„Ich durfte Bundeskanzler Helmut Kohl einige Male begegnen.“ Nachruf auf den deutschen Altbundeskanzler Helmut Kohl. Von Dekan Ignaz Steinwender


Zell am Ziller (kath.net) Der Tod des ehemaligen österreichischen Vizekanzlers Alois Mock und des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Zwei Politikerpersönlichkeiten, die ein christlich-soziales Profil hatten, sind gestorben. Der allgemeine Profilverlust in Politik und Kirche ist eines der beängstigenden Phänomene unserer Zeit.

Ich durfte Bundeskanzler Helmut Kohl einige Male begegnen. Einmal im Jahre 1989, als ich Erzbischof Georg nach Hofgastein fuhr, wo er sich mit Bundeskanzler Kohl unterhielt. Dann ab dem Jahre 1996 als Kooperator in Hofgastein. Helmut Kohl war normalerweise um Ostern herum in Hofgastein, um eine Mayr-Kur (Heilfasten) zu machen.

Der Weltpolitiker, der historisch bedeutsame Entscheidungen traf und die Geschicke Europas maßgeblich mitgestaltete, saß ganz selbstverständlich am Sonntag an seinem gewohnten Platz beim Pfarrgottesdienst in Hofgastein. Nach der Messe stand er vor der Kirche und redete mit den Leuten. Jedes Jahr kam er in den Pfarrhof, um sich mit Dekan Dietmann bzw. mit Dekan Wagner zu unterhalten.

Wenn er in Hofgastein Spaziergänge machte, dann kehrte er bei gewissen Bauern ein und ging in den Stall, um nach den Pferden zu sehen.
Einmal kam Kohl ins Krankenhaus Schwarzach, um einen Besuch zu machen. Als man dort sah, dass Bundeskanzler Kohl kam, da wurde sofort spekuliert, welche prominente Persönlichkeit als Patient im Krankenhaus sei. Aber Kohl fragte nach einem Hofgasteiner Bauern, den er eben besuchen wollte.

Bundeskanzler Kohl war sehr aufmerksam gegenüber den einfachen Leuten und auch Dekan Dietmann war sehr erstaunt, dass Kohl mit ihm ein ausführliches Gespräch führte über die Praxis der Visitation der Pfarrer durch die Dechanten, wobei er sich für viele konkrete Details interessierte.

Was man an Bundeskanzler Kohl besonders bewundern konnte, war seine profunde Geschichtskenntnis. Er beurteilte gegenwärtige Entwicklungen aus dem Blickwinkel der Geschichte und konnte so den Kairos für die deutsche Wiedervereinigung erkennen. Als ich ihn einmal fragte, was er von Putin halte, gab er eine positive Einschätzung und erklärte an Hand eines Beispiels, was man von der Geschichte her zu bedenken habe, wenn man von Russland spreche.

Bei der Verabschiedung von Helmut Kohl wurden viele lobende Worte gesagt von hohen Politikern. Das ist sehr erfreulich. Weniger erfreulich ist, wie Politiker mit dem Erbe Kohls umgehen. Dabei könnte man überlegen, wie es wäre, wenn Kohl heute Bundeskanzler wäre. Er würde wohl jeden Eindruck einer deutschen Dominanz vermeiden, er würde mit Putin, Trump, May, Kurz und Orban, mit dem er bis zuletzt Kontakt hatte, an einem Tisch sitzen. Sanktionen gegen Russland in der jetzigen Form, öffentliche Belehrungen des wichtigsten und mächtigsten Nato-Verbündeten Amerika und die Ausgrenzung der Visegrad-Staaten wären unvorstellbar.

Kohl würde an einem Europa arbeiten, wie es die Gründerväter vor Augen hatten, davon bin ich überzeugt.

Archivfoto: Helmut Kohl als Bundeskanzler (1989)
(c) Wikipedia/Konrad Adenauer-Stiftung/CC BY-SA 3.0 de


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