Gesetz oder Gewissen?

18. Juli 2017 in Kommentar


Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht. Ich darf daher von jedem Muslim in Deutschland erwarten, dass er sich an unser Recht hält - Diakrisis am Dienstag von Sebastian Moll


Rom (kath.net)
Für 47 Prozent der türkischstämmigen Bürger in Deutschland sind die Regeln des Islam wichtiger als die Gesetze des Staates. Als die Universität Münster im vergangenen Jahr dieses Ergebnis einer entsprechenden Studie veröffentlichte, war die öffentliche Empörung groß. Aber warum eigentlich?

Seit der Tragödie der Antigone gilt es in unser Kultur als ehrenhaft, sein an Gott gebundenes Gewissen über die Anordnungen des Staates zu stellen. In der Zeit des Nationalsozialismus konnten wir dankbar sein für jene Christen, die Gott mehr gehorchten als den Menschen. Unser Grundgesetz legt in Artikel 3 fest, dass kein Bürger gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf – ein Vorrecht, auf das sich übrigens bereits der Heilige Martin berief, als er um Entlassung aus dem Armeedienst bat, da er fortan nicht mehr Soldat des römischen Kaisers, sondern Soldat Christi sein wollte.
Verbum Dei manet in aeternum, das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit, während staatliche Gesetze dem Wandel und nicht selten der Willkür unterworfen sind. Es ist daher nicht nur in Ordnung sondern Pflicht eines jeden Christen, ja eines jeden ernsthaft religiösen Menschen, sein Gewissen über die Gebote der weltlichen Macht zu stellen. Ich bekenne hiermit frank und frei: Auch für mich steht das Wort Gottes höher als die Gesetze des Staates! Würde der Staat etwas von mir verlangen, das ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann, so würde ich mich weigern und notfalls die entsprechende Strafe akzeptieren. Dass es dazu bislang nicht gekommen ist (und hoffentlich auch nicht kommen wird), liegt einerseits daran, dass unser Grundgesetz „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ verfasst wurde. Die Väter des Grundgesetzes handelten also im Geiste der christlichen Tradition.

Das bedeutet natürlich keineswegs, dass ich in jedem konkreten Einzelfall mit dem einverstanden bin, was der Staat tut. Allein schon bei der Verwendung der Steuergelder könnte ich Dutzende von Einsprüchen loswerden. Aber, und das ist der entscheidende Grund für den ausbleibenden Konflikt, das Christentum hat seit jeher weltliches von göttlichem Recht getrennt und es daher vermieden, jeden Vorgang gesellschaftlichen Lebens gesetzlich zu regeln. Klassisch zusammengefasst wurde dieses Prinzip in Jesu Antwort auf die Frage der Pharisäer nach der Steuerpflicht für Christen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Diese Haltung war damals revolutionär und ist es immer geblieben. Sie unterscheidet das Christentum fundamental vom Islam.

Der Islam kennt einen göttlichen Gesetzeskodex, der nicht nur die kultischen Regeln (Speisegebote etc.) beschreibt, sondern auch sämtliche Aspekte des menschlichen Zusammenlebens rechtlich festlegt, von der Eheschließung bis zum Strafrecht. Eine Trennung zwischen beiden Sphären ist dem Islam fremd, was der Grund dafür ist, dass in nahezu allen Ländern, in denen der Islam Staatsreligion oder Religion der Bevölkerungsmehrheit ist, die Scharia die Grundlage der Rechtsprechung bildet. Auch in der ‚Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam‘ heißt es beispielsweise: „Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung in einer Weise, die nicht gegen die Prinzipien der Scharia verstößt.“ Das Konzept universeller Menschrechte, wie sie für die westliche Welt konstitutiv sind, wäre ein Fremdkörper im muslimischen Denken. Rechte und Pflichten des Menschen gibt es im Islam im Grunde nicht, es gibt nur Rechte und Pflichten des Gläubigen.

Dieser Umstand scheint Aiman Mayzek, immerhin Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, weniger bekannt zu sein. Er erklärt: „Der Koran regelt nicht das öffentliche Zusammenleben in Deutschland. Das ist das Grundgesetz. Verwechseln wir also nicht Äpfel mit Birnen.“ Als aktuelle Zustandsbeschreibung mag diese Aussage zutreffend sein. Dass der Koran, gemeinsam mit anderen autoritativen Texten des Islam, nicht das öffentliche Zusammenleben in Deutschland regelt, liegt aber nicht in seinem Wesen begründet, sondern in der Tatsache, dass Deutschland kein mehrheitlich muslimisches Land ist. Der Anspruch der entsprechenden Textsammlungen kann hingegen nicht geleugnet werden.

Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht. Ich darf daher von jedem Muslim in Deutschland erwarten, dass er sich an unser Recht hält. Zugleich würde ich aber niemals von einem Muslim erwarten, dass er sein religiöses Gewissen diesem Recht unterordnet. Hier landen wir also in einer Sackgasse, aber nur in einer scheinbaren. Es geht nicht um Über- oder Unterordnung, sondern um Vereinbarkeit. Wenn der Islam diese nicht leisten kann, erübrigt sich jede Debatte, ob er zu unserem Land gehört.


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