Keineswegs wollte ich Martin kränken

27. Juli 2017 in Kommentar


Wenn die Beteiligten nur etwas mehr Geduld und weniger Eitelkeit in sich gehabt hätten, wäre es nicht zur Spaltung gekommen. Die Monatskolumne von Claudia Sperlich, diesmal zu Reformation und Martin Luther


Berlin (kath.net)
Sommer 1519: Eck ist 33 Jahre alt, Luther 35 Jahre, Karlstadt 33 Jahre, Mosellanus 26 Jahre. Tetzel ist 59 Jahre alt und todkrank, er kann an der Leipziger Disputation nicht teilnehmen, was mit Spott quittiert wird. Erasmus ist mit etwa 50 bis 53 Jahren der älteste Teilnehmer und versucht zu vermitteln, aber die Angry Young Men in Leipzig beharren eisern auf ihren Positionen.

Der theologische Streit zwischen Johannes Eck und Johann Tetzel auf der einen, Martin Luther und Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt, auf der anderen Seite ist zunächst eine schriftliche Auseinandersetzung. Eck hat Sympathie für Luthers Beurteilung des Ablassmißbrauchs, ohne den Ablass selbst als etwas Schlechtes zu sehen – ganz im Gegenteil.
Ecks freundschaftliche Haltung gegenüber Luther ist gerade dadurch begründet, daß Eck der Kritik am Missbrauch des Ablasswesens zustimmt. Übrigens geht aus den 95 Thesen auch hervor, daß Luther die Existenz des Fegefeuers damals noch durchaus annimmt und Ablass nicht vom Grundsatz her für unsinnig hält, jedoch den grassierenden Missbrauch als eine Gefährdung des Seelenheils ansieht und Herzensreue wichtiger findet als Ablass (worin er der kirchlichen Lehre zustimmt). Der genervte Tonfall der Thesen erklärt sich auch dadurch, daß zahlreiche Prediger seiner Zeit den Eindruck erwecken, Ablass könne ohne Reue, durch eine bloße Geldleistung, gewonnen werden und sei das wichtigste Gnadenmittel überhaupt.

Die Auseinandersetzung spitzt sich zu, als Ecks private ziemlich scharfe Beurteilung von Luthers 95 Thesen durch eine Indiskretion in Luthers Hände gelangt, der das als Verrat an ihrer gerade erwachsenden Freundschaft sah. Obelisci (Spießchen) nennt man Hinweise auf irrige Textstellen; Ecks dreizehn Obelisci kritisieren einige – keineswegs alle – Thesen Luthers.

Luther schreibt an Eck voll Zorn und Gekränktheit:

„Es sind an mich gewisse »Obelisci« gelangt, in denen Du versucht hast, meine Thesen über den Ablaß zu widerlegen. Das ist der Beweis für Deine treue Freundschaft, die Du mir kürzlich angeboten hast, ja für Deine christliche Liebe, der zufolge wir gehalten sind, den Bruder zuerst zu ermahnen, ehe wir ihn verurteilen. Wie sollte ich als aufrechter Mensch glauben oder ahnen können, daß Du so hinter meinem Rücken vorgehen würdest, der Du mir so ins Angesicht hinein geschmeichelt hast? Du erfüllst somit das Wort der Schrift: »Wer dem Menschen den Friedensgruß entbietet, in seinem Herzen aber Böses sinnt.« Ich weiß, daß Du nicht willst, daß Dir so von meiner Seite geschieht; trotzdem tatest Du es und konntest es tun; sieh zu, was Dein Gewissen dazu sagt.
Vollends aber wundere ich mich, daß Du als einziger die Stirn hast, über meine Thesen zu urteilen, bevor Du sie kennengelernt und begriffen hast. Bester Beweis für Dein unüberlegtes Handeln ist, daß Du Dich allein für einen Theologen hältst und für so einzigartig, daß alle Deine Meinung allen anderen vorziehen sollen, daß darüber hinaus alles verdammt ist, was Du an Unverstandenem verdammt hast, weil es Eck nicht gefällt. Ich bitte Dich, laß wenigstens Gott leben und über uns herrschen.
Aber um nicht allzusehr mit Dir, der Du gänzlich erbittert über mich bist, zu streiten, habe ich Dir hier »Asterisci« gegen Deine »Obelisci« gesandt, damit Du Deine Unwissenheit und Unüberlegtheit erkennst...
Im übrigen hätte ich sorgfältiger und maßvoller oder auch entschiedener gegen Dich geschrieben, hätte ich das Ganze veröffentlichen wollen...
Der Herr aber verleihe Dir und mir eine gute Gesinnung und lasse es uns beiden wohl ergehen! Ich lege für meine Person trotz der erlittenen Kränkung die Waffen nieder, nicht aus Furcht vor Dir, sondern vor Gott; danach werde ich keine Schuld auf mich laden, wenn ich gezwungen sein sollte, mich öffentlich zu verteidigen. Aber das sind gutgemeinte Worte.
Leb wohl!
Aus Wittenberg, 19. Mai 1518.“

In den Asterici wendet Luther sich nun ganz gegen die Lehre vom Fegefeuer und auch gegen den Primat der Kirche. In dieser Schärfe und Unnachsichtigkeit ist das den 95 Thesen, wie gesagt, nicht zu entnehmen.

Eck schreibt neun Tage später (also vermutlich ganz kurz nach Erhalt dieses Briefes) an Karlstadt:

„Ich habe, hochgeehrter Andreas, vernommen, daß Du und Deine Wittenberger über Eck leidenschaftlich erregt sind, weil ich gegen die Ansicht unseres gemeinsamen Freundes Martin Luther meinem Bischof etwas privat geschrieben habe in der Meinung, daß das Urteil gelehrter Männer niemals jene Possen zur Folge haben würde. Wie das den Händen meines Bischofs entgleiten und an Euch geraten konnte, kann ich nur vermuten, weiß es aber nicht mit Gewißheit. Hätte ich die Folgen vorausgesehen, würde ich die Aufzeichnungen nicht aus dem Stegreif und ohne Hilfe von Büchern, nur auf das Gedächtnis gestützt, niedergeschrieben haben. Wie Du weißt, sind wir alle freizügiger, wenn wir etwas privat schreiben, als wenn etwas für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Daher wundere ich mich sehr, wenn Ihr wegen Eures Euch so ergebenen Ecks so heftig entbrennt. So wird gesagt, Eck habe die Verehrung Deiner Person nur geheuchelt. Du verkennst aber, daß Eck ein Mensch ist, der für Schmeicheleien nichts übrig hat. …
Ich werde aber, wenn unsere neulich begonnene Freundschaft weiterbestehen soll, über das Geschehene in freundschaftlicher Gesinnung nachdenken, und, was Ihr auch gegen den unschuldigen Eck im Sinn habt, mit dem Schwamm abwischen. Keineswegs wollte ich Martin kränken... Sollte ich erkennen, daß Ihr gegen mich hetzt oder aufwiegelt, werde ich versuchen, mich mit Hilfe guter Gelehrter und Freunde an den angesehensten Universitäten der christlichen Welt zu verteidigen, soweit die Wahrheit es erfordert. Ich möchte aber lieber darauf verzichten. An Dir aber hätte es gelegen, das zu tun Notwendige zu prüfen und dann an die Sache heranzugehen.
Lebe wohl; Dein Wohl wünsche ich nämlich aufrichtig!
Aus Ingolstadt, in höchster Eile,
28. Mai im Jahr der Gnade 1518.
Entschuldige den übereilten und barbarischen Stil: der Briefbote mußte überstürzt abreisen.“

Eine Bitte um Entschuldigung, ein ganz leiser Tadel wegen übereilter Vorwürfe, ein freundlicher Wunsch und eine Bitte um Nachsicht wegen stilistischer Mängel – das alles in der ehrlichen Absicht, eine neue Freundschaft auch im theologischen Disput zu erhalten – mehr lässt sich beim bösesten Willen nicht herauslesen. Daß Eck an Karlstadt schreibt und nicht an Luther, mag ein Versuch sein, den Streit durch einen Mittelsmann beizulegen. Daß er ihn in Eile schreibt und nicht einmal auf den nächsten Briefboten wartet, zeigt, wie wichtig ihm die Beilegung des Streites war.

Aber Luther ist nicht bereit, Ecks Bitte anzunehmen. Der briefliche Tonfall wird nur schärfer, bitterer, beleidigter und beleidigender.

Ecks und Luthers Briefe (nicht nur die hier zitierten) zeigen, daß beide von ihrer eigenen theologischen Trefflichkeit sehr überzeugt waren. Wenn sie sich dann gegenseitig intellektuelle Eitelkeit vorwerfen, könnte man sagen: Da hättet ihr euch ja auch die Hände reichen können. Aber noch wollen sie einen sachlichen Disput, so wie es unter Gelehrten der Zeit üblich ist.

Im Sommer 1519 veranstaltete ein gerade einmal 26jährige Überflieger, der humanistisch gebildete Theologe, Freund und Bewunderer des Erasmus, Magister der Leipziger Thomasschule, Peter Schade, genannt Mosellanus, die Leipziger Disputation mit dem Ziel, die strittigen Fragen in akademischer Weise zu lösen. Mosellanus hat Sympathie für Luther, versucht aber bis zuletzt, die Parteien zu versöhnen. Aber er kann Eck nicht leiden. Er schreibt:

„Die Ersten, so gegen einander auftraten, waren Karlstadt und Eck, zwei einander sehr unähnliche Männer. Karlstadt bezeigte sich eines Theologen würdig, sittsam und ruhig, hatte Bücher mitgebracht, aus welchen er seine Sätze zu beweisen suchte, wollte aber auch vom Gegner nichts annehmen, ohne den Sinn und die Meinung der Schriftsteller, welche von Eck angeführt wurden, aus dem Zusammenhange gehörig geprüft zu haben. Eck dagegen suchte durch Geschrei und trotzige Gebärden seinen Gegner zu betäuben und durch Kunstgriffe der Sophistik obzusiegen. Dabei rühmte er sich oft selbst, daß man hätte meinen sollen, es disputiere ein Gorgias und nicht ein Theologus; so ein leichtsinniger und unverschämter Großsprecher war er zum öftern.“

Die Anspielung auf den antiken Rhetoriklehrer und Philosophen Gorgias von Leontinoi zeigt, daß Mosellanus Ecks Argumentationsweise für bloße Dampfplauderei hält. Möglicherweise unterstellt er dem Eck auch mangelnde Frömmigkeit durch den Vergleich mit dem heidnischen Skeptiker. Wesentlich freundlicher schreibt Eck über Mosellanus in einem Brief an Georg Hauer und Franz Burkhart:

„Petrus Mosellanus, Professor des Griechischen, trug in einer ansehnlichen Rede die Absicht des Fürsten vor; er machte dabei in seiner Weise ein paar Ausfälle gegen die scholastischen Theologen; ansonsten aber hielt er sich an die Weisung des Herzogs.“

Und über Karlstadt in dem selben Brief:

„Ich war der Opponens Karlstadts in der Frage des Freien Willens. Ich wollte zwar meinen Part spielen, aber wie matt war Karlstadts Auffassungsgabe! Hätte ihn doch lieber ein anderer angehört! Es mangelt ihm an Gedächtnis. Er räumt offenherzig ein, daß ich ihm an Gedächtnis überlegen bin, da er unsere Streitpunkte nur in matter Manier zu lösen verstand. Ich habe der Disputationsordnung entsprechend alle seine Schlußfolgerungen aufgegriffen und wiederholt, und das besser als er selbst es formuliert hätte, was alle mit Verwunderung aufnahmen. ... Er ... hatte vier Zettel vollgeschrieben und las einen nach dem andern wortwörtlich in schimpflichster Weise vor. Ich verwarf die von ihm beigebrachten wertlosen Argumente, kam jedoch nicht zu den wirklichen Einwänden, da er zum Überdruß aller weitschweifig vortrug, so daß, hätte ich mit meinen Erwiderungen begonnen, die Disputation unterbrochen worden wäre und er erneut Zeit zum Überlegen und zu Aufzeichnungen bekommen hätte. Also schob ich die Sache bis um vierzehn Uhr auf und zwang dann den Menschen, der nicht das geringste einzuwenden vermochte, gegen seinen Willen einzuräumen, daß der Freie Wille sehr wohl Einfluß auf die Guten Werke nehme. … Am letzten Junitag mußte Karlstadt als mein Opponens über den Freien Willen auftreten. Er zog dieses hinaus, und da er alle seine Gedanken auf Zettel niedergeschrieben hatte und diese nach Knabenart verlas, legte ich Protest ein. Er wollte aber nicht davon ablassen mit dem Argument, er könne sich nicht alles merken. ...
Er erschien heute dennoch und sollte als Opponens auftreten; er trug nur drei Punkte ohne jeden Autoritäts- oder sonstigen Beweis vor. Er stand sehr verwirrt da. Ich nahm der Disputationsordnung entsprechend seine Quästionen samt Einleitungen entgegen, antwortete darauf und bekräftigte diese Antworten mit Beweisen aus Autoritäten. So gewann ich die Oberhand, indem ich bewies, daß die heiligen und bedeutenden Theologen, die er selbst verächtlich als »Scholastiker« bezeichnet, mit den Ansichten der Väter Augustinus, Hieronymus und Ambrosius übereinstimmten.“

Der Brief ist übrigens ein schönes Dokument, wie der Bayer Eck die ganze Veranstaltung samt der Anreise empfunden hat: Ungenießbares Bier, Regenwetter, überall Bewaffnete, Spalter und Häretiker, jede Menge Tratsch, aber immerhin: „Hier sind viele liebenswerte Frauen; Leipzig ist überhaupt eine liebenswerte Stadt!“

Eine Indiskretion, Unversöhnlichkeit und Sturköpfigkeit führen zu einer Disputation, in deren Folge sich die Fronten verhärten. Luthers Aussage in Leipzig, nicht alles, was Johannes Hus gesagt habe, sei schlecht, einiges sogar evangelisch (i.S.v. „dem Evangelium treu“) führt zur endgültigen Spaltung; weder der junge Mosellanus noch der ältere Erasmus können das aufhalten.

Ich weiß zu wenig, um die Geschehnisse damals in Leipzig zweifelsfrei zu beurteilen. Aber ich habe den Verdacht, wenn die Beteiligten nur etwas mehr Geduld und weniger Eitelkeit in sich gehabt hätten, wäre es nicht zur Spaltung gekommen. Um sie zu überwinden, brauchen wir jedenfalls Geduld und Demut.


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