Verlogene Debatte zu Terror und Islam

27. Juni 2017 in Kommentar


Diakrisis am Dienstag - Von Giuseppe Gracia


Linz (kath.net)
Nach wie vor ist es bei den Debatten in Deutschland oder in der Schweiz heikel, die religiösen Hintergründe des Terrors von London, Manchester oder Paris zu benennen. Öffentlich zu sagen, dass uns die Terroristen nicht wegen Buddha, Jesus oder Karl Marx töten, sondern wegen Mohammed und Allah. Sie steuern nicht Flugzeuge in Hochhäuser oder Lastwagen in Menschenmengen, weil wir es verpasst haben, ihnen bessere Jobs und Wohungen zu geben. Sie sprengen nicht Flughafenhallen und U-Bahnstationen, weil sie die sozialistische oder kapitalistische Weltherrschaft anstreben, sondern die islamische.

Diese Zusammenhänge spielen bei der Berichterstattung über den Terror kaum eine Rolle. Als gelte unter westlichen Politikern und Medien eine Sprachregelung, wonach die Begriffe „Terror“ und „Islam“ auseinanderzuhalten sind. Um die Vorstellung zu retten, dass wir es mit einem Missbrauch des Islam zu tun haben, mit einer „extremen Auslegung“ oder „Pervertierung“. Das ist für mich eine Verhöhnung der Opfer, die augenscheinlich im Namen Allahs abgeschlachtet werden. Opfer, denen die eigene Regierung nicht einmal zugesteht, dass man die religiösen Grundsätze öffentlich anprangert, die zu ihrem Tod geführt haben. Es ist ausserdem ein einmaliger Vorgang im Umgang mit Terror. Während des Nordirlandkonflikts 1969-1998 wäre es undenkbar gewesen, die religiös-politischen Hintergründe auszublenden: die englisch-schottischstämmigen Protestanten, die gegen irisch-nationalistische Katholiken kämpften. Ein anderes Beispiel: während des Terrors der RAF in den 1970’er Jahren haben die Deutsche Regierung und die Medien die Ideologie der Terroristen offen thematisiert (Antiimperialismus, Kommunismus). 1974 liess man sich sogar von Intellektuellen beraten, um die Weltanschauung der Gewalttäter besser zu verstehen. Man wusste: die ideolgische Wurzel einer Bewegung treibt immer neue Blüten, wenn man sie nicht offen thematisiert.

Warum scheut man das beim Terror aus dem Islam? Wieso wird nicht breit thematisiert, welches die geistigen Grundlagen sind, die zum Selbstmordattentat führen? Wollen wir das Gewaltproblem um keinen Preis im Islam verorten, um friedliche Muslime vor Diskriminierung zu schützen? Aber wollen diese Muslime wirklich, dass wir keine Aufklärung über die Gedankengrundlagen des Terrors zulassen? Haben sie kein Interesse an einem besseren Verständnis der Vorgänge? Und ist es gut, wenn uns Regierungs- und Medienvertreter nicht mehr vollständig informieren, sondern nur noch beruhigen und kleinreden wollen?

Abgesehen davon, ist das alles am Ende doch ziemlich verlogen. Denn bei der Gewalt von Rechts werden, völlig zu recht, die ideologischen Wurzeln des Faschismus offen benannt und angeprangert. Gegen rassistische oder christlich-fundamentalistische Kräfte kämpfen wir mit klaren, ehrlichen Worten, nicht zuletzt deshalb, weil wir wollen, dass junge Menschen darüber im Bilde sind, bevor Extremisten versuchen, sie zu beeinflussen. Es ist also nicht nur verlogen, dies beim Terror aus dem Islam zu unterlassen, sondern unverantwortlich. Dies zeigt auch eine aktuelle Arte-Dokumentation. „Europas Muslime“ mit dem Islamkritiker Hamed Abdel-Samad wirft einen ernüchternden Blick auf die Lebensrealität der Muslime mitten unter uns. Sehr empfehlenswert!

Giuseppe Gracia (49) ist Schriftsteller und Medienbeauftrager des Bistums Chur. Sein aktuellen Roman “Der Abschied” beschäftigt sich mit dem Terror im Namen Allahs.

Foto: (c) Bistum Chur


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