Aleppo: Erste christliche Flüchtlinge kommen zurück

9. Juni 2017 in Weltkirche


Syrische Ordensfrau Annie Dermerijan im "Kathpress"-Gespräch über aktuelle Sicherheitslage in nordsyrischer Metropole, Not der Menschen und Bemühungen der Kirchen um Versöhnung


Wien-Damaskus (kath.net/KAP) Zigtausende Christen sind in den vergangenen Jahren aus der nordsyrischen Stadt Aleppo geflohen. Nun sind 15 christliche Familien aus Frankreich, Deutschland und Venezuela nach Aleppo zurückgekehrt, wie die syrische Ordensfrau Annie Dermerijan gegenüber "Kathpress" berichtete. Diese Rückkehrer stünden für die Hoffnung, dass die Christen noch eine Zukunft in Syrien haben.

Aleppo galt über Jahre als "syrisches Stalingrad" und war die am heftigsten umkämpfte Stadt im Land. Im vergangenen Dezember zogen die letzten Rebellen bzw. islamistischen Kämpfer ab, seither ist die Stadt unter Kontrolle der Assad-Truppen. Maximal 35.000 Christen leben noch in Aleppo, so die Ordensfrau.

Die Sicherheitslage habe sich in der Stadt in den vergangenen Monaten wesentlich gebessert, sagte Sr. Annie. Doch die Menschen würden nach wie vor im Alltag ums Überleben kämpfen. Die wirtschaftliche und soziale Situation sei dramatisch. Die Menschen hätten im strengen Winter große Not gelitten. Für Strom aus Generatoren müssten die Menschen horrende Preise bezahlen. Ohne Strom und Öl sei es vielen nicht möglich gewesen, sich ausreichend vor der Kälte zu schützen, und viele säßen nach wie vor im Dunkeln. Am schlimmsten treffe es Kinder und alte alleinstehende Personen. Viele Kranke seien gestorben, weil sie sich Operationen nicht leisten konnten. Zu Kriegsbeginn seien auch viele Ärzte entführt worden, viele weitere seien deshalb auch geflohen. Nun werde die medizinische Versorgung langsam wieder besser.

Ausharren um zu helfen

Sr. Annie gehört der Gemeinschaft der "Schwestern Jesu und Mariens" an. Gemeinsam mit ihren vier Mitschwestern und vielen freiwilligen Helfern setzt sie sich seit Jahren in Aleppo, Damaskus und Hasake für Menschen in Not ein. Tausende Familien haben die Ordensfrauen seit Kriegsbeginn mit Medikamenten, Nahrungsmitteln, Wasser oder finanzieller Unterstützung für Strom, vor allem aber auch mit menschlicher Zuwendung unterstützt. Auch zu den schlimmsten Kriegszeiten blieben die Frauen vor Ort. Die meisten ihrer Schützlinge sind Christen, sagte Sr. Annie, doch sie würden genauso auch Muslimen helfen. "Wer immer an unsere Tür klopft, wir sehen in ihm Christus. Wir helfen jedem", betonte die Ordensfrau.

Eine Besonderheit ist die Hilfe der Schwestern in Hasake im Nordosten des Landes. Die Schwestern sind in der Regel nicht selbst vor Ort, stehen aber in engem Kontakt mit einer Gruppe von Freiwilligen, die von einem syrisch-orthodoxen Priester geleitet wird. Für und über diese Gruppe organisieren die Ordensfrauen Hilfslieferungen. Rund 300 Familien in Hasake kann so geholfen werden, wie Sr. Annie berichtete.

Vor dem Krieg sei das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Syrien ausgesprochen gut gewesen, sagte die Ordensfrau: "Das war überhaupt keine Frage, ob jemand Christ oder Muslim war. Wir haben miteinander gelebt und einander respektiert." Dieses gute Verhältnis habe durch den Krieg freilich Risse bekommen. Trotzdem: In jenen Teilen, die nicht von Islamisten, sondern von der Assad-Regierung beherrscht werden, würden die Religionen immer noch recht gut miteinander könne.

"Viele Seelen zerbrochen"

In Damaskus und Aleppo hätten rund um das 100-jährige Fatima-Jubiläum öffentliche Marienprozessionen stattgefunden, und die muslimischen Passanten hätten dies sehr wohlwollend goutiert, berichtete die Ordensfrau. - Die christliche Gemeinschaft in Aleppo feierten am 13. Mai gemeinsam das Fatima-Jubiläum und weihten die zweitgrößte Stadt Syriens der Muttergottes. - Die Kirchen und auch viele andere bemühten sich um Dialog und Versöhnung, so Sr. Annie. Doch das brauche Zeit. "So viel Seelen sind in diesem grausamen Krieg zerbrochen."

Der Krieg und die Not habe zumindest die verschiedenen christlichen Kirchen im Land näher zueinander gebracht, so die Ordensfrau: "Wir helfen einander, so gut es geht." Die 52-jährige Nonne ist selbst das beste Beispiel gelebter Ökumene: Ihr Vater gehört der armenisch-apostolischen Kirche, an, die Mutter ist griechisch-katholisch, Sr. Annie selbst ist armenisch-katholisch und ihre Ordensgemeinschaft gehört zur römisch-katholischen Kirche.

Zur politischen Situation wollte sich die Ordensfrau nicht äußern. Ob es in Syrien auch moderate Rebellen gibt? Sie sehe keine, antwortete sie. Kritik übte Sr. Annie an den Medien, die von Anfang oftmals falsche bzw. einseitig über den Konflikt berichtet hätten.

Sr. Annie Dermerijan ist auf Einladung der Hilfsorganisation "Kirche in Not" in Österreich und wird im Rahmen der "Langen Nacht der Kirchen" am Freitag um 21 Uhr in der Wiener Schottenkirche (Freyung 6, 1010) über die Situation in Syrien berichten.

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