Abenteuer Charisma

6. Juni 2017 in Kommentar


"Insofern freue ich mich, wenn ich heute in vielen Ländern sehe, dass das Wirken des Heiligen Geistes und seine Verehrung weitergeht. Im ganzen Leib Christi" - Diakrisis am Dienstag von Stefan Meetschen


Linz (kath.net)
Es ging hoch her. Damals, Anfang der 1990er Jahre in Berlin: Menschen lagen – nachdem man ihnen segnend die Hände aufgelegt hatte – auf dem Boden, andere hoben zur Anbetung die Arme empor. Dazu hörte man viele Gläubige in fremden Sprachen beten, begleitet von sanften Lobpreis-Gesängen. Andere, die einem Seelsorger ihre Probleme oder Fehler mitteilten, fingen an zu weinen, um schließlich getröstet und umarmt zu werden.

Was war passiert? Ich war auf Einladung einer Kommilitonin in einer Pfingstgemeinde gelandet. Was ich dort als junger Student sah, faszinierte und – wie man heute sagen würde – verunsicherte mich gleichermaßen.

Waren diese körperlichen Ausdrucksweisen des Glaubens denn einem christlichen Gottesdienst wirklich angemessen? Waren die Phänomene, die ich beobachten konnte, überhaupt mit dem christlichen Glauben vereinbar? Was sagte Jesus, so er denn wirklich existierte, zu dieser Art der Verehrung? Und, last but not least: warum sprach der exaltierte Prediger soviel vom Heiligen Geist? Warum betonte er den Kontakt mit dieser, mir eher unbekannten Person der Dreifaltigkeit?

Auf all diese Fragen suchte ich in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren Antworten. Auf verschiedene Art und Weise. Ich las das Neue Testament samt Briefen und Apostelgeschichte, die Bücher von evangelikalen und katholischen Theologen, die sich mit Charismen auskannten, wie beispielsweise Kardinal Leo Joseph Suenens oder Norbert Baumert. Ich besuchte verschiedene Gemeinden und Gemeinschaften verschiedener Konfessionen. Und: ich probierte es aus. Ich warf mich in das Abenteuer Charisma und versuchte, stärker und tiefer als vorher, mit dem Heiligen Geist und mit Jesus in Kontakt zu treten. Mit dem Ergebnis, dass viele Dinge, die vorher mein Denken und Streben dominiert hatten, weniger wichtig wurden. Die Prioritäten änderten sich. Was nicht ohne innere Kämpfe stattfand.

Und natürlich gab es auch äußere Dinge und Verhaltensweisen, an denen ich mich rieb, die mich störten. Manchmal erlebte man unter Charismatikern nämlich eine gewisse Überheblichkeit, einen spirituellen Dünkel gegenüber anderen, normalen Gläubigen („Ist er oder sie mit dem Heiligen Geist getauft?“). Manchmal eine Art von Überspanntheit, die sich im Zusammenhang mit der nicht unproblematischen Thematik des geistigen Kampfes manifestierte. Auch beim Thema Krankenheilung habe ich ambivalente Erfahrungen gemacht. So prinzipiell gut es ist, dass man Gott Heilungswunder zutraut, manchmal heilt Gott eben nicht, und dann ist es nicht die Schuld des betroffenen Gläubigen, dass die Heilung ausbleibt. Auch beim Umgang mit dem weiten Thema Prophetie ist sicherlich Sensibilität und Klugheit gefragt. Und was die körperlichen Phänomene betrifft: die kann man auch in esoterischen Kreisen erfahren, wenn man dies will. Weshalb die von Ignatius von Loyola empfohlene Unterscheidung der Geister wichtig ist, wenn man sich tiefer mit der Welt der Charismen beschäftigen will. Sie ist vielleicht sogar die wichtigste Gabe, da sie die Qualität der anderen Gaben prüft.

Insgesamt jedoch muss ich sagen, dass ich der charismatischen Erneuerung und der Pfingstbewegung viele gute Impulse verdanke. Auch wenn ich ab einer gewissen Zeit erkannt habe, dass ihr Frömmigkeitsstil nicht meiner ist, weil mich die Form der scheinbaren Formlosigkeit auf Dauer doch etwas ermüdete und mich heute mehr die Stille und der Ritus ansprechen, so waren diese frühen Erfahrungen und Begegnungen vermutlich doch die Initialzündung meines Christseins.

Insofern freue ich mich, wenn ich heute in vielen Ländern sehe, dass das Wirken des Heiligen Geistes und seine Verehrung weitergeht. Im ganzen Leib Christi. Eine wirklich nachhaltige Evangelisierung, das habe ich persönlich erlebt, kann vermutlich nur im Einklang mit dieser urchristlichen Form der Nachfolge geschehen, wie sie von vielen Pfingstlern und Charismatikern gelebt wird. Von daher finde ich es gut, dass viele Priester und Bischöfe und auch der jetzige Papst offen für die Charismatische Erneuerung sind und diese sogar fördern. Möge dieses Engagement der Einheit des Leibes Christi dienen und viele Menschen zu Jesus führen.


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