Das Schloss und das Kreuz

2. Juni 2017 in Kommentar


In Berlin tobt eine Debatte um die Frage, ob man das Kreuz, das zu der historischen Kuppel des Stadtschlosses gehört, auch rekonstruieren darf. Von Ingo Langner


Berlin (kath.net/Die Tagespost)
Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz. Seit 2000 Jahren. Seit Jesus von Nazareth auf Golgatha an einem Kreuz elendiglich starb. Weil nur Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, ist das Kreuz ein Zeichen, dem widersprochen wird. Von Anfang an. Und wer den Sohn Gottes missbilligt, verabscheut oder sogar aus tiefster Seele hasst, der wird auch heute noch alles dafür tun, um das Kreuz aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Der Widerspruch begann tatsächlich schon früh.

Weil der römische Statthalter Pontius Pilatus ein Schild auf das Kreuz hatte nageln lassen, auf dem man in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache lesen konnte: „Jesus von Nazareth, der König der Juden“, legten die Hohepriester Protest ein: „Schreib nicht: der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.“ Doch Pilatus antwortete: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“ So hat es uns der Evangelist Johannes überliefert. Woraus wir lernen können: die Gebildeten unter den Gottesverächtern waren auch damals schon um keinen spitzfindigen Winkelzug verlegen. Intellektuelle Debatten scheinen von Anfang an zum Kreuz zu gehören.

In der deutschen Hauptstadt Berlin ist es jetzt auch wieder soweit. Und zwar nicht nur im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Kreuz an der Halskette einer Lehrerin angemessen ist und den Schülern und Kollegen im Zeitalter der Neutralitätspflicht zugemutet werden kann. Es geht um ein größeres Zeichen – es geht um das Stadtschloss. Das Schloß also, das die Bomben des Zweiten Weltkriegs teilweise zerstörten und die ostdeutschen Kommunisten mit Dynamit und ideologischem Furor 1950 vom Erdboden tilgten.

Was derzeit an der Spree die Gemüter bewegt, ist die Frage, ob auf die Kuppel des im Wiederaufbau befindlichen Preußenschlosses auch das ehedem dort thronende Kreuz wiederaufgerichtet werden soll, das auf die von der Kuppel umhüllte christliche Kapelle verwies. Der Streit wurde, wie sollte es anders sein, von Politikern aus dem Rot-Grünen Lager heraus zum Leben erweckt.

Unter der Parole, das Kreuz gefährde die Neutralität des Bauwerks, argumentiert die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag Sigrid Hupach so: „Es soll ein öffentliches Gebäude sein, in das sich alle eingeladen fühlen. Aber wie soll ein solcher offener Dialog der Kulturen gelingen, wenn oben auf der Kuppel ein Kreuz schon die Richtung vorgibt? Eine solche Hierarchisierung der Kulturen und Religionen halte ich für absurd.“

Das sieht auch die Fraktionschefin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, so. Naturgemäß, möchte man sagen, denn den Grünen scheint zwar alles Natürliche heilig zu sein, aber das genuin Heilige bekanntlich leider nicht so sehr. Frau Kapeks Argumentation hat folgenden Wortlaut: „Das Humboldt-Forum auf eine Religion zu reduzieren, entspricht nicht dem humanistischen Grundgedanken und wäre falsch. Das neue Berliner Stadtschloss soll schließlich dem Austausch aller Kulturen dienen.“

Die (katholische) Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ist vom Gegenteil überzeugt: „Unsere Kultur der Offenheit, Freiheit und Barmherzigkeit hat ihre Wurzeln in unserem christlichen Menschenbild. Nur wer sich seiner Identität sicher ist, kann dem anderen Raum geben, ohne sich bedroht zu fühlen. Dafür steht für mich das Kreuz.“ Die „Stiftung Berliner Schloss – Humboldt Forum“ hat die Bauherrenfunktion für den Bau des Humboldt Forums in den wiederaufgebauten Fassaden des Stadtschlosses inne und ist am 2. Juli 2009 eigens für diese Aufgabe gegründet worden. Ihr Vorstand Johannes Wiens möchte ebenfalls nicht auf das Kreuz verzichten: „Man kann nicht in die Beliebigkeit abrutschen und sagen, dieses historische Element nehmen wir mit rein, jenes nicht. Das wäre eine Manipulation.“

Angesichts der immer weitere Kreise ziehenden Debatte wartete man gespannt darauf, welche Stellungnahme die drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums Neil MacGregor, Horst Bredekamp und Hermann Parzinger abgeben würden – die Stellungnahme kam und ließ an Klerheit nichts zu wünschen übrig: „Das Kreuz muss wie die preußischen Adler an den Fassaden betrachtet werden, die keinen militärischen Bezug mehr bieten. Das sind Aspekte einer historischen Rekonstruktion, die somit ihrer Funktion enthoben sind. Die Errichtung der Kuppel ist als Ganzes beschlossen worden. Erst das Weglassen des Kreuzes würde dieses religiös politisieren. Das Humboldt Forum in der Kubatur des Berliner Schlosses lebt von der spannungsreichen Paradoxie zwischen Innen und Außen, zwischen historischer Rekonstruktion und moderner Architektur, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die nicht auflösbaren Widersprüche regen permanent zur Diskussion und Selbstverortung an. Das ist der Auftrag an das Humboldt Forum.“ Aus diesen Sätzen spricht jener Geist, der in die Hülle des preußischen Stadtschlosses ein auf den Namen „Humboldt Forum“ getauftes Konstrukt setzt.

Dieses hängt allerdings der spannungsreich paradoxen Illusion an, mit dem Namen der Brüder Alexander und Wilhelm Humboldt ein Zukunftsmodell schlechthin kreiert zu haben. Im äußerlich wiederaufgebauten Schloss haben ab 2019 das Ethnologische Museum, das Museum für Asiatische Kunst, das Stadtmuseum Berlin und das Humboldt Labor ihr neues Zuhause. Im „Humboldt Forum“ sollen Sammeln und Forschen Hand in Hand gehen. Das „Humboldt Forum“ soll zum Verständnis der Verflechtungen der Welt beitragen und Toleranz und Respekt gegenüber anderen Kulturen vermitteln.

„Toleranz“ und „Respekt“ sind die Zauberwörter unserer Gegenwart. Mit ihren Zwillingsschwestern „Inklusion“ und „Diversity“ gehören sie einer Denkungsart an, die von einer Welt ohne Konflikte träumt. Grundlage für diese ideologisch befeuerte Schimäre ist die Vorstellung, der Mensch sei seiner Natur nach gut und das Übrige würde die Charta für Menschenrechte regeln. Sicher gutgemeint, aber vermutlich nur bedingt Realitäts-tauglich.

Zumindest für katholische Christen gilt nach wie vor, was ihr Katechismus so sagt: „Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen und in seine Freundschaft aufgenommen. Als geistbeseeltes Wesen kann der Mensch diese Freundschaft nur in freier Unterordnung unter Gott leben. Vom Teufel versucht, ließ der Mensch in seinem Herzen das Vertrauen zu seinem Schöpfer sterben, missbrauchte seine Freiheit und gehorchte dem Gebote Gottes nicht. Darin bestand die erste Sünde des Menschen. Nach dem Glauben des Christen wird die Welt von der Liebe des Schöpfers begründet und erhalten. Sie steht zwar unter der Knechtschaft der Sünde, wurde aber von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, durch Brechung der Macht des Bösen befreit.“ Solche Worte werden heute ebenso wenig gerne gehört wie in den vergangenen 2000 Jahren. Im Römischen Reich wurden die Christen den wilden Tieren vorgeworfen, im Mittelalter in ihren nahöstlichen Ursprungsländern vom Schwert des Islam unterworfen, in der Französischen Revolution wurden sie guillotiniert, im Nationalsozialismus in die Konzentrationslager verschleppt und in der Sowjetunion in den Gulags gemeuchelt.

Die Französische Revolution von 1789 hat den „Geist der Vernunft“ gegen den „Aberglauben der Religion“ in Stellung gebracht. Für Karl Marx war Religion „ein verkehrtes Weltbewusstsein“. Diese Ideologie trumpft in der Berliner Kreuz-Debatte nun wieder besonders schrill auf. Ihr zufolge ist Berlin eine „säkulare“, ja sogar „gottlose“ Stadt. Was in den Ohren von Christen wie eine Drohung klingt. In dieser Stadt will man kein Kreuz auf der Schlosskuppel. Stattdessen lieber „eine Fahnenstange auf der Engellaterne, auf der es europäisch, deutsch, katholisch, evangelisch, hindu-oder buddhistisch oder auch regenbogenbunt wehen kann“.

So jedenfalls schlägt es ernsthaft die „Berliner Zeitung“ vor. Das Kreuz ist ein Zeichen, dem widersprochen wird, sagten wir eingangs. Doch welches Geschrei wird man in Berlin erst erheben, wenn sich herumgesprochen hat, dass zur geplanten Rekonstruktion der Außenfassade eigentlich auch das Schriftband gehören müsste, das seit 1854 auf der Schlosskuppel unterhalb des Kranzgesimses angebracht war? Dieses Schriftband zitiert das Neue Testament: „Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind.“

Soll dieser Text aus dem 4. Kapitel der Apostelgeschichte, tatsächlich wieder die Schlosskuppel zieren? Wohl schon. Denn auf die Anfrage dieser Zeitung sagte Bernhard Wolter, Leiter Kommunikation Bau und Fundraising der „Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss“: „Das Schriftband um den eingezogenen Tambourteil unterhalb des Kranzgesimses der Schlosskuppel ist Teil dieses aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammenden ,Gesamtkunstwerks‘, das der Zeit gemäß in einer christlichen Tradition und Geisteshaltung entworfen wurde. Im Zuge der vollständigen historischen Rekonstruktion der Schlosskuppel wird deshalb auch dieses Schriftband wieder erscheinen. Alles andere wäre eine nachträgliche Geschichtsklitterung und Verfälschung, die dem im weitesten Sinne denkmalpflegerischen Anspruch der originalgetreuen Rekonstruktion der Kuppel widersprechen würde.“ Klare Worte.

Zusammen mit dem Kuppel-Kreuz offenbart der Schriftbandtext, dass die Legitimität des protestantischen preußischen Königshauses auf demselben Gottesgnadentum fußte, das von den karolingischen Königen im Frankenreich des 8. Jahrhunderts begründet worden ist und sich seit der Spätantike auf den „rex justus“, den „gerechten König“ bezieht.

Karl der Große war ein im Jahre 800 von Gott gekrönter Kaiser und sein Reich eine Einheit von Staat, Kirche und Religion. Für den Berliner Erzbischof Heiner Koch ist dieser historischen Kontext auch heute noch wichtig: „Mit dem Kuppelkreuz haben seine Erbauer auch zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre besondere Verantwortung als Herrscher bewusst vor Gott wahrnehmen wollten. An diese Haltung zu erinnern wäre auch heute für Berlin von großer Bedeutung.“ Der heftige Streit um das Kuppel-Kreuz ist noch längst nicht in seine letzte Runde gegangen.

Doch eines kann man an ihm heute schon ablesen: Der Gedanke, das Berliner Stadtschloss in seiner Fassade historisch korrekt zu rekonstruieren und mit dem Humboldt Forum in diesem Gehäuse nach den heute geltenden politisch-korrekten Maßstäben auf der sicheren Seite zu sein, war ein eitler Traum. Allerdings könnte man die Causa auch so sehen: Als die SED ihren Fernsehturm auf den Alexanderplatz klotzte, der ein weithin sichtbares Zeichen ihres sozialistischen Herrschaftsanspruch sein sollte, offenbarte sich zum Entsetzen des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, dass sich in der Turmkuppel die Strahlen der Sonne als Kreuz widerspiegelten. Alle Versuche, dies himmlische Zeichen zu widerrufen, scheiterten kläglich.

Und vermutlich wird, allen heftigen Widerständen zum Trotz, auch die Schlosskuppel wieder ein Christenkreuz zieren. Manche halten Berlin für gottlos. Doch Gott lässt die Stadt nicht los. Quod erat demonstrandum.

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