Attentat auf den freien Willen

4. Mai 2017 in Kommentar


"Wenn wir Islamismus als psychische Störung durchgehen lassen, verhöhnen wir die Opfer, verhöhnen wir aber auch jene Menschen, die tatsächlich unter schwerwiegenden psychischen Störungen leiden." kath.net-Kommentar von Anna Diouf


Köln (kath.net/ad) Ist in unserer Gesellschaft die Lehre vom freien Willen eigentlich noch Konsens? In Prien am Chiemsee (wirklich ein beschauliches Örtchen) wird eine Afghanin erstochen, als sie aus dem Supermarkt kommt. Die Bildzeitung braucht nicht lange, um herauszufinden, dass sie Christin war, Konvertitin sogar. Der Täter aber wird erst einmal in die Psychiatrie eingewiesen.

Wäre man zynisch, so könnte man natürlich sagen, dass der Islam offensichtlich Ausdruck einer religiösen Psychose sei, schließlich ist er nicht vernunftgemäß und damit in sich eine Gefahr für eine gesunde Menschenseele. Allerdings bin ich noch nicht in diesem Stadium des Sarkasmus angekommen, und daher eher ehrlich beunruhigt. Wir alle wissen, dass bei einem großen Teil der wegen terroristischer Anschläge und Attentate festgenommenen Menschen Verdacht auf psychische Probleme bestand. Dies ist entweder Ausdruck bodenloser Naivität - wer hatte noch nie psychische Probleme? Und wieso sind es nicht die psychisch kranken Japaner oder Italiener oder Briten in Deutschland, die Anschläge begehen? Psychische Probleme hin oder her, sie werden maximal ein Steinchen im Mosaik sein.

Oder aber wir werden Zeuge eines fatalen Irrwegs der säkularen Postmoderne: Wir erleben die Abschaffung des freien Willens. Wurde uns bereits zur Genüge eingeredet, wir seien ganz und gar hormon- oder gengesteuert, ohne Kraft zur eigenen Entscheidung auch gegen diese biologische Übermacht, ist es jetzt die Psyche, die uns nicht nur leitet oder beherrscht, sondern offenbar ganz und gar zu einem willenlosen Werkzeug macht. Diese Einstellung ist in hohem Maße gefährlich.

Wir glauben daran, dass es einen freien Willen gibt. Ein Mensch kann eine schwere Kindheit gehabt haben, geprägt von Lieblosigkeit und Gewalt, und dennoch zu einem liebenden Menschen werden - weil er sich entscheiden kann gegen die Geister seiner Vergangenheit. Wir müssen nicht Opfer der Umstände sein, die wir nicht kontrollieren können. Niemand behauptet, dass es immer gelänge oder dass es einfach sei - aber dass es möglich ist, ist ein großer Trost in Situationen, in die wir unverschuldet geraten. Durch die Leugnung des freien Willens aber verschaffen sich Menschen einen scheinbaren Trost für eine andere Beschwerlichkeit unseres Lebens: Wenn wir nicht frei entscheiden, haben wir auch keine Verantwortung. Denn Verantwortung für das eigene Handeln kann nur übernehmen, wer sich auch frei dafür entschieden hat.

Wenn wir Islamismus als psychische Störung durchgehen lassen, verhöhnen wir also nicht nur die Opfer, weil wir sie als Kollateralschaden einer unumgänglichen Handlung darstellen. Wir verhöhnen auch Menschen, die tatsächlich unter schwerwiegenden psychischen Störungen leiden.

Zuletzt aber ist die Umdeutung eines Attentäters zum Psychopathen der infantilen Suche nach Freiheit von Verantwortung geschuldet: Wenn das Böse in der Welt nicht durch menschlichen Willen, sondern durch fehlgeleitete Hirnströme entsteht, dann kann man dagegen eben auch nichts machen.


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