Gilt das Alte Testament für Christen?

27. April 2017 in Spirituelles


„Im Gegensatz zu den meisten Religionen der Welt glauben Juden und Christen, dass Gott sich einem Volk im Laufe seiner Geschichte nach und nach geoffenbart hat.“ Kommentar von Johannes Hartl


Augsburg (kath.net/Blog Johannes Hartl/jh) Das Alte Testament sei so blutrünstig, dass Christen zugeben müssten, dass es in jeder Religion Gewalt und Grausamkeit gebe. Und zugleich fällt auf, dass es doch recht wenige Christen gibt, die auf die Idee kommen, mit der Bibel in der Hand eine Ehebrecherin steinigen zu wollen. Wie ist es nun: gilt das AT für Christen noch?

Im Gegensatz zu den meisten Religionen der Welt glauben Juden und Christen, dass Gott sich einem Volk im Laufe seiner Geschichte nach und nach geoffenbart hat. Bereits die Juden glaubten zu jeder Zeit, dass Gott seine Pläne und sein Wesen nicht sofort in Fülle, sondern nach und nach offenbarte. Er tat das aber nicht, indem er eine heilige Buchrolle vom Himmel fallen ließ, sondern indem er im Laufe von Jahrhunderten Menschen inspirierte, die Geschichte Gottes mit seinem Volk aufzuschreiben. Bei Kindern ist es so: erst muss ein Kleinkind lernen, dass es ein Recht auf Eigentum hat oder sich auch verteidigen darf, später kann es dazu herangeführt werden, in einem Streit nachzugeben, weil der Streit sich nicht lohnt. Auf ähnliche Weise zeigt Gott sich im Gesetz des Alten Bundes als heiliger Gott, dessen Gebote unbedingt gelten: Leben und Tod hängen von ihnen ab. Bei den Propheten und in den Psalmen leuchtet dann mehr und mehr durch, dass es Gott aber in erster Linie um das Herz geht, nicht um äußeren Kadavergehorsam. Mit dem Auftreten Jesu ist es dann klar: es geschieht etwas grundsätzlich Neues, das den alten Bund ablöst. Und was heißt das jetzt für uns konkret?

1. Die kultischen Gesetze des AT gelten nicht mehr. Es gibt im Neuen Bund keinen Tempel und keine Tieropfer mehr. Mit diesen Bestimmungen werden auch die Reinheitsgebote hinfällig: Jesu Blut macht den Menschen rein von Sünden. Nicht das Einhalten von Speisegeboten, Waschungen oder die Beschneidung erretten, sondern der Glaube an Jesus.

2. Die Strafgesetze des AT gelten nicht mehr. Sie waren gebunden an eine Theokratie oder göttlich eingesetzte Monarchie, die schon mit dem Verlust der politischen Souveränität Israels endete. Jesus wollte nicht, dass die Ehebrecherin gesteinigt wurde. Er selbst starb für den Sünder und stiftete ein komplett neues Modell von Gesetz („der Freiheit und des Geistes“) als eines auf Strafe und Zwang beruhendes.

3. Die Moral des AT gilt. Jesus errettet aus Gnade, doch das bedeutet nicht, dass Gottes Vorstellungen sich verändert hätte, wie wir leben sollen. Nicht lügen, nicht stehlen, nicht morden: die biblische Ethik ist eine Einheit. Das gilt ebenso für die Sexualmoral. Nach der Ehescheidung gefragt, beruft Jesus sich in Mt 19 auf die Schöpfungsgeschichte. Dass die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau besteht, dass sie heilig ist und unter Gottes Schutz steht, dass Geschlechtsverkehr ausschließlichen Sitz in der Ehe hat: all das durchzieht zweifelsfrei alle Schichten der biblischen Offenbarung und wurde nirgends relativiert.

4. Das Gottesbild des AT gilt. Der Gott, von dem Jesus spricht, ist exakt der Gott, der das Volk Israel berufen hatte. Der leidenschaftliche, heilige Gott des AT ist zugleich der liebende Abba, der das Äußerste wagt, um das verlorene Schaf vor der gerechten Verdammnis zu retten. Diese vier Punkte sind wohlbekannter common sense in der christlichen Theologie.

Nur angedeutet sei hier ein weniger vertrauter 5. Punkt: unbestritten gültig sind auch Gottes Zusagen an das Volk Israel, die das AT füllen. Wie sich die teilweise sehr konkreten, apokalyptischen Verheißungen genau erfüllen werden, ist reine Spekulation. Doch als sicher gelten dürfte, dass diese Verheißungen weder von Israel auf die Kirche übergegangen, noch in abstrakte Bedeutungen aufzulösende bloße Symbole sind.

Dr. Johannes Hartl ist katholischer Theologe. Der Gründer und Leiter des Gebetshauses Augsburg ist verheiratet und Familienvater.

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