Von falschen Freunden umgeben - Kirche und Politik

25. April 2017 in Kommentar


„Christus ist ein Zeichen, dem widersprochen wird, das Kreuz ein Zeichen, das den Klugen eine Torheit ist: Als Christen balancieren wir immer zwischen den Extremen.“ kath.net-Kommentar von Anna Diouf


Düsseldorf (kath.net/ad) Waren Sie schon mal "Außenseiter"? Zugegeben, das macht keinen Spaß. Fast die gesamte Schulzeit hindurch habe ich mit diesem Stigma kämpfen müssen. Meine schwersten Fehler: Ich hatte Freude am Lernen und hielt Lehrer für Menschen. Beides unverzeihlich. Ab und zu versuchte ich, mich anzubiedern - ich half dabei, die Wehrloseren unter den Lehrern zu quälen, ich schrieb Hausaufgaben für andere Schüler und ließ mich augenrollend und genervt dazu überreden, mit der gesamten Klasse zu "schwänzen", um nicht als Kameradenschwein zu gelten. Bereits kurz nach diesen Übungen im Mainstreamappeasement waren sie unvermeidlich: Das schlechte Gewissen und der Ärger darüber, schwach geworden zu sein und sich genauso dämlich wie die anderen verhalten zu haben. Außerdem musste ich begreifen, dass es ganz egal war, zu welchen Lächerlichkeiten ich mich in meinem Geltungsbedürfnis hinreißen ließ, ich würde nie wirklich dazugehören.

Vom Schulhof der 90er in die deutsche Gesellschaft anno 2017: Die Kirche wird und muss Außenseiter bleiben. Es ist immer schmerzhaft, anstrengend und nervenaufreibend, zwischen den Stühlen zu sitzen. Aber Christus ist ein Zeichen, dem widersprochen wird, das Kreuz ein Zeichen, das den Klugen eine Torheit ist: Als Christen balancieren wir immer zwischen den Extremen. Wir können nie ein Übel gutheißen, weil es eine Reaktion auf ein anderes Übel ist. Wir dürfen nie Leid relativieren und für irrelevant erklären, weil auch woanders gelitten wird. Eingedenk der Mahnung des heiligen Paulus, dass wir nicht gegen Menschen, sondern gegen böse Mächte kämpfen, sind wir dazu verpflichtet, zwischen Menschen und ihren Taten, zwischen Menschen und dem, was sie treibt, so gut es geht zu unterscheiden. Die Anforderungen, die Christi Beispiel und Vorbild an uns richten, sind hoch, und es ist schwierig, Politik zu betreiben und diese im Hinterkopf zu behalten. Eine Politik, die sich daran orientiert, ist nicht laut, nicht extrem, sie poltert nicht herum, sie ist aber auch nicht weichlich und indifferent. Deshalb ist seit der faktischen Auflösung des christlich-konservativen Lagers der Christ in der Politik immer ein Außenseiter, der umgeben ist von falschen Freunden, und der immer in der Gefahr schwebt, eine Äußerung, die christlich klingt, als im eigentlichen Sinne christlich misszuverstehen.

Es ist verständlich, dass z.B. angesichts der Erosion der Sicherheit gerade konservative Katholiken mit Kräften liebäugeln, die sich als "wertekonservativ" bezeichnen. Es wäre zu schön: Da sind Menschen, die darauf drängen, dass Denk- und Redeverbote aufgehoben werden - wie ehrbar! Da sind Menschen, die die europäische abendländische Kultur wiederbeleben wollen - wie gut! Aber man darf derlei schön klingenden Angeboten nicht leichtfertig vertrauen. Als Christen bleibt für uns angesichts solcher Äußerungen immer die Frage: Was ist damit gemeint? Wir wissen, dass ein Wert, der nicht in Gott als dem Urgrund aller Ordnung und aller Regeln wurzelt, am Ende wertlos ist, eine gesellschaftliche Übereinkunft, die vom politisch Stärkeren jederzeit verwässert, aufgelöst, aufgekündigt werden kann. Wo Europa beschworen wird ohne den Glauben, ist es nicht das echte Europa, nicht das "wahre" Abendland. Wo es um Sicherheit geht, aber nicht um Nächstenliebe, da sind es doch pharisäische Sehnsucht nach einfacher Ruhe und egoistisches Festhalten am eigenen Wohlstand, die die Triebfeder politischen Handelns sind. Und während wir mit diesen politischen Strömungen in manchen Dingen ein Stück weit mitgehen können, dürfen wir nicht vergessen, dass unser Patriotismus zuerst dem Himmelreich gehört, dem Reich, in dem unser Bürgerrecht laut Paulus eingeschrieben ist. Wir dürfen und müssen dann hellhörig werden, wenn sich in die unzweifelhaft berechtigten Rufe nach Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Sicherheit etc. Stimmen mischen, die das Wohlergehen der einen gegen das Anderer ausspielen wollen, die Häme oder Hass verbreiten. Wer als Gegenpol zur ungesteuerten Einwanderung eine einheitliche "Ethnie" beschwört, hat nicht nur historisch gesehen zumindest von deutscher nationaler Identität wenig Ahnung, er geht damit über die vernünftigen und mit dem christlichen Glauben in Einklang stehenden Forderungen echter wertekonservativer Kräfte hinaus.

Die Einsicht, dass man als Katholik in der Politik von allen Seiten mit "falschen Freunden" umgeben ist, gilt aber in mindestens ebenso hohem Maße für den gesellschaftskompatiblen Mainstreamkatholizismus - ja, eigentlich ist diese Erkenntnis für diese Strömung noch viel wichtiger. Denn hier winkt nicht nur eine Partnerschaft oder Zusammenarbeit zwischen politischen und religiösen Ideen, hier droht die Reduzierung und Verdunstung des Glaubens zu einer politischen "Kraft", die sich dann aber vor allem durch Kraftlosigkeit auszeichnet. Die Begriffe, mit denen hier Vertrauen seitens der Gläubigen erschlichen wird, heißen "Solidarität", "Nächstenliebe" oder "Vielfalt". Sie klingen nett, sind aber nur dem Anschein nach christlich angestrichen; in ihrer Substanz haben sie mit unserem Glauben nichts zu tun. Natürlich tut es gut, als vielgescholtene Kirche einmal als gesellschaftlicher Akteur ganz vorne mit dabei zu sein. Aber das ist nicht der Auftrag der Kirche! Die Kirche ist dazu da, die aufzusammeln, die nicht das Ansehen der Menge genießen, und sich vom Applaus der Menge nicht darüber irritieren zu lassen, was das Gute und Richtige und Wahre ist, und dieses zu tun, ganz egal, was darüber gesagt wird: Nec laudibus, nec timore.

Nun ist das Traurige an der derzeitigen Situation, dass die christliche Position in der Politik für viele gesellschaftliche Konflikte eine Lösung anzubieten hätte: Klare europäische Identität etwa, die doch die vielfältigen Verbindungen in andere Kulturkreise nicht leugnet, und diese nicht fürchten muss. Ein Wirtschaftsmodell, das weder Reiche verteufelt noch behauptet, Arme seien lediglich faul und an ihrer Lage selbst schuld. Eine gesellschaftliche Grundhaltung, in der auch harte Auseinandersetzungen ertragen werden, weil man zwar Meinungen und Weltanschauungen ablehnt, aber nie den Menschen, der sie äußert. Die Kirche hätte also durchaus ihren Platz in der politischen Welt, und der Durchschnittsdeutsche könnte ihrer Haltung viel abgewinnen - nur ist es praktisch unmöglich für Michel Müller, die Haltung der Kirche überhaupt kennenzulernen. Denn anstatt klar vernehmbar in der Kakophonie ideologisierter Debatten einen wirklich harmonischen Ton anzustimmen und durchzuhalten, gibt man sich Mühe, nicht aufzufallen. Höhepunkt dieser Entwicklung ist die schamlose Instrumentalisierung des Kreuzes Christi für Anti-AfD-Proteste: Eine sinnentleerte, anbiedernde, spießbürgerliche Kirche versucht, mit einem kecken Werbeslogan deutlich zu machen, dass sie auf der "richtigen" Seite steht. Ein größeres Armutszeugnis ist kaum denkbar; und es wird der Kirche nicht gedankt werden! Wer sich so billig von politischen Strömungen vereinnahmen lässt, wer so fadenscheinig klare christliche Prinzipien hinter sich lässt, um dem Mainstream angenehm zu sein, dem wird niemand abnehmen, dass er etwas Größeres und Höheres vertritt als nur diesseitige Interessen. Es ist also nicht nur nicht richtig, es ist auch noch dumm. Am Ende sind die Deutschen kein Volk, das Krawalle liebt. Im Augenblick mag sich noch eine recht breite Front gegen die AfD richten, aber wenn sich Linksextremisten weiterhin aggressiv und gewalttätig gegen Politiker formieren, kann das Pendel der gesellschaftlichen Akzeptanz sehr schnell in die andere Richtung ausschlagen. Ganz gleich, was die Zukunft bringt, die Kirche katapultiert sich mit ihrem Verhalten in die Bedeutungslosigkeit, und zwar in jedem Lebensbereich - und wird sich am Ende fragen, wieso sie weder ernstgenommen noch angenommen wird.

Foto Anna Diouf



Foto (c) Heike Mischewsky


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