Bioethikerin Kummer: Immer mehr Sterbehilfe aus 'Kostenersparnis'

7. Februar 2017 in Aktuelles


In den Niederlanden ist Töten aus Mitleid salonfähig geworden - Als sich Patientin gegen die tödliche Injektion wehrte, holte eine Ärztin Angehöre, um die Frau festzuhalten Kummer: Selbstbestimmter Tod kippt schnell in fremdbestimmten


Wien (kath.net/KAP) "Kostenersparnis" spielt bei der Einführung von Pro-Sterbehilfe-Gesetzen eine weit größere Rolle als in der Öffentlichkeit wahrgenommen: Das betonte die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Susanne Kummer, am Montag gegenüber "Kathpress". Das IMABE mit Sitz in Wien steht unter der Patronanz der Österreichischen Bischofskonferenz.

"Wer aktive Sterbehilfe als Kostenersparnis im Vergleich zur Pflege darstellt, gibt ein fatales Signal. Er erhöht den Druck, sich aus Kostengründen frühzeitig aus dem Leben zu verabschieden", so Kummer. Sie bezog sich auf eine aktuelle Studie aus Kanada, deren Autoren - Aaron J. Trachtenberg und Braden Manns - zum Schluss kommen, dass ihr Land jährlich bis zu 139 Millionen Dollar (ca. 100 Mio. Euro) durch aktive Sterbehilfe einsparen könnte. So sehr sie auch hervorheben, damit kein Plädoyer für aktive Sterbehilfe als Mittel der Kostenreduktion abgeben zu wollen, analysieren sie dennoch penibel die positiven Effekte für die Kassen des Gesundheitssystems.

Ein mögliches nationales "Einsparungspotenzial" durch aktive Sterbehilfe bei Terminalkranken hatten zuvor bereits 1998 US-Wissenschaftler für das amerikanische Gesundheitssystem errechnet. Sie waren auf eine Summe von jährlich 627 Millionen Dollar gekommen. "Angesichts der demographischen Entwicklungen und der Kostenspirale im Gesundheitswesen wird der Ruf nach der Freigabe von Euthanasie in den kommenden Jahren lauter werden wird", warnte Kummer.

Der Zeitpunkt der kanadischen Studie - sie wurde im "Canadian Medical Association Journal" veröffentlicht - komme nicht von ungefähr: In Kanada wurden im Sommer 2016 aktive Sterbehilfe und auch assistierter Suizid nach heftigen Debatten landesweit erlaubt.

Die Debatte bewegt sich laut Kummer zu weiteren Dammbrüchen: Befürworter einer weiteren Aufweichung der Gesetze betrachteten die Beschränkung der Sterbehilfe auf dem Sterben nahe Personen als Diskriminierung chronisch Kranker, die ebenfalls ein Recht auf aktive Sterbehilfe hätten. Das Argument der hohen Pflegekosten könnte hier "Wasser auf die Mühlen der Sterbehilfe-Aktivisten" sein analysierte Kummer.

Die Studienautoren zogen für ihre Berechnungen die Ergebnisse, Erfahrungen und Zahlen aus den Niederlanden und Belgien heran. Insgesamt verbrauche die medizinische Versorgung von Patienten in den letzten sechs Lebensmonaten mehr als 20 Prozent der Gesundheitsausgaben, obwohl diese nur ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, rechnen die Gesundheitsökonomen vor. Sie kombinierten die Daten der durch aktive Sterbehilfe verkürzten Lebenszeit am Lebensende mit den sonst für diese Spanne zu erwartenden Kosten in Kanada und legten dies auf die Zahl der zu erwarteten Euthanasie-Fälle um.

Allein von Juni bis Dezember 2016 starben in Kanada 774 Personen durch Tötung auf Verlangen. Das sind vier Kanadier pro Tag. Die Autoren rechnen entsprechend den Niederlanden mit einer Steigerung auf bis zu 4 Prozent aller Todesfälle durch Euthanasie. Dort starben im Jahr 2015 durch Euthanasie 5.516 Menschen, zehnmal mehr als im Straßenverkehr.

Vollversagen des Rechtssystems

Inzwischen wurden Details jenes Falles von Euthanasie in den Niederlanden bekannt, in denen erstmals eine Ärztin von den Behörden "gerügt" wurde. Die Ärztin hatte zunächst einer Demenz-Patientin ohne deren Zustimmung ein Beruhigungsmittel in den Kaffee gemischt. Es gab keine gültige Erklärung der rund 80-jährigen Frau, wonach sie den aktuellen Wunsch hatte, getötet zu werden.

Die Ärztin wiederum gab an, dass die Frau aus ihrer Sicht unerträglich leide. Als die Patienten sich mit Händen und Füßen gegen die tödliche Injektion wehrte, holte die Ärztin die Angehörigen zu Hilfe, um die Frau festzuhalten. Der Fall wurde der Regionalen Tötungskommission Euthanasie gemeldet. Diese rügte die Ärztin, beschied ihr aber, dass sie "in gutem Glauben gehandelt" habe. Es kam zu keinem Gerichtsverfahren.

Diesem Fall sei nichts hinzuzufügen, betonte Kummer. "Das Niederländische Rechtssystem hat offenkundig komplett versagt, es gibt keinen Schutz von vulnerablen Personen, Töten aus Mitleid ist salonfähig geworden. Daran sieht man, wie innerhalb weniger Jahre Gesetze zum sogenannten 'selbstbestimmten' Tod in einen fremdbestimmten kippen", warnte Kummer.



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