Kairoer Missionspfarrer: Die meisten Ägypter von Sisi enttäuscht

1. Februar 2017 in Weltkirche


Auslandsseelsorger Schroedel: "Neue Hauptstadt wird in der Wüste gebaut, doch für 20 Millionen Menschen in den Amensiedlungen rings um Kairo wird nichts getan"


Vatikanstadt (kath.net/KAP) Armut, Terror und eine autoritäre Führung haben Ägypten fest im Griff, und das Land steckt in einer tiefen Krise: Das hat der deutsche katholische Auslandsseelsorger Joachim Schröoedel (Archivfoto) am Dienstag in einem Interview mit Radio Vatikan dargelegt. In dem Land am Nil mit seinen 93 Millionen Bewohnern kämpften viele Tag für Tag ums Überleben.

Der Arabische Frühling hatte vor sechs Jahren den Autokraten Hosni Mubarak verdrängt. Abertausende Ägypter zogen damals auf den Tahrir-Platz in Kairo, forderten Demokratie, hofften auf einen Aufschwung und ein besseres Leben. Danach kam allerdings der islamistische Präsident Mohammed Mursi, und vor zwei Jahren begann die Präsidentschaft Fatah al-Sisis.

Die meisten Ägypter seien von dem früheren Militärbefehlshaber enttäuscht, sagte Schroedel. Die immerhin zehn Prozent koptischen Christen müssten in dieser Lage die "Option für die Armen" deutlicher aussprechen, meinte der deutsche Auslandsseelsorger. Denn die größten Dramen im Alltag erlebten die Ägypter heute in wirtschaftlicher Hinsicht. "Man muss leider sagen, dass die wirtschaftliche Situation für den normalen und einfachen Ägypter noch einmal dramatischer geworden ist. Die Löhne steigen nicht, aber dafür steigen die Preise sehr schnell und sehr stark. Zum Teil sind die Preise höher als hier in Europa, für ganz normale Produkte wie etwa Milch. Es gibt keinen Zucker. Auch Öl ist teurer als in Europa."

Die Menschen suchten nach Auswegen und seien dabei "immer noch gehorsam gegenüber dem Staat", auch wenn er oft Unmut wahrnehme, so Schrödel. "Man sagt: ,Jetzt müsste der Staat mal wirklich etwas Gutes tun für die Armen.' Und das sind immerhin 60 Prozent der Ägypter, bei 93 Millionen Einwohnern."

Der Staat, präsent durch Militär und Polizei, gebe vor, dass die "Muslim-Brüder und alles, was gegen den Fortschritt des Staates geht," bekämpft werden müsse. Das führe zur Einschränkung der Meinungsfreiheit. Selbst eine Reihe deutscher Journalisten wagten es kaum mehr, klarer oder kritischer zu berichten, sagte Schroedel: "Ich glaube, auch da muss der Staat sehen, die Zügel ein wenig loser zu lassen, damit Kritik möglich sein kann und man auch Anfragen stellen darf." Es gehe ja nicht um Zerstörung des Staates, "sondern im Gegenteil, um den Aufbau".

Der deutsche Priester berichtete, dass jetzt mitten in der Wüste eine neue Hauptstadt entstehe, errichtet von Zehntausenden Arbeitern. "Das soll zunächst einmal heißen, dass die politischen Institutionen des Staates dort oben angesiedelt werden, nicht zuletzt auch die Botschaften. Unser Problem ist nur, dass im Gegenzug nichts getan wird für die Siedlungen, wo 20 Millionen Menschen rings um Kairo wohnen, die Armen, etwa die Müllmenschen, für die gerade unsere katholische Gemeinde intensiv arbeitet. Für sie sehen wir überhaupt keine Zukunft."

Die Menschen, die dort lebten, sagten sich: "Was sollen wir mit einer neuen Hauptstadt, die wir ja eh nie sehen werden? Denn es ist viel zu teuer dort hinzufahren, und außerdem sind wir dann frustriert." Sie wollten demgegenüber vor Ort bessere Strukturen und bessere Schulen haben, so Schroedel.

Dank auch des finanziellen Engagements aus dem Ausland - darunter der Bundesrepublik Deutschland - sei in einer der Müllsiedlungen viel erreicht worden. "Aber andererseits: Es ist wie ein Fass ohne Boden, dass man natürlich den vielen Menschen nicht allen gleich helfen kann." Durch die wirtschaftliche Situation sei es etwa derzeit kaum möglich, an Medikamente zu kommen.

Mehr Sozial-Engagement der Kopten erwünscht

Im Blick auf die koptisch-orthodoxe Kirche sagte Schroedel, verbal werde viel getan, um Einigkeit Staatsspitze-Kirchenspitze zu zeigen. "Präsident Sisi, der jetzt zum dritten Mal die Weihnachtsmesse der orientalischen Kopten besucht hat, legt sehr viel Wert darauf. Er sagt: ,Wir sind Ägypter. Wir lassen uns nicht unterscheiden in Christen und Muslime.'"

Allerdings wäre es wichtig, wenn die Kopten "prononcierter die Option für die Armen ausdrücken" würden, so der Pfarrer. Sie sollten sagen: "Wir sind noch nicht fertig. Wir sind erst ganz, ganz am Anfang." Denn die Situation sei eben nicht erfreulich, "und Christen sind nicht nur Leute, die schöne Liturgien feiern, sondern die sich auch einsetzen müssen für die Ärmsten, wie es unser Heiliger Vater hier in Rom auch immer wieder betont".

Zur Sicherheitslage sagte Schroedel, man müsse immer mit Attentaten rechnen und es könne nie 100-prozentige Sicherheit gewährleistet werden, was ja auch durch die Anschläge in Europa sichtbar geworden sei. Charakteristisch für Christen sei aber dennoch "eine sehr mutige Haltung". "Die sagen dann: ,Wir werden aber nicht klein beigeben, gerade dem Terror werden wir nicht klein beigeben.'" Das habe auch der große Zulauf zu den Weihnachtsgottesdiensten gezeigt, die ruhig verlaufen seien. Signalisiert worden sei dadurch: "Wir sind Christen, wir sind die Kirche des Kreuzes - wie sie sich selbst nennen - und wir zeigen uns."

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Archivfoto Monsignore Schroedel (c) Kirche in Not


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