Die Seele, die sitzen bleibt und nur zuschaut

13. Jänner 2017 in Aktuelles


Franziskus in Santa Marta: echter Glaube führt dazu, dass man ein Risiko eingeht und nicht nur vom Balkon aus zuschaut und seine Urteile fällt. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Die Menschen – sie folgten Jesus, weil sie etwas wollten oder Trost suchten. Papst Franziskus ging in seiner Predigt bei der heiligen Messe am Freitag der 1. Woche im Jahreskreis in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses „Domus Sanctae Marthae“ vom Tagesevangelium aus (Mk 2, 1-12). Der Papst hob hervor: auch wenn die Reinheit der Absichten nicht vollständig und vollkommen sei, sei es wichtig, Jesus zu folgen und hinter ihm zu gehen. Die Menschen seien von seiner Vollmacht angezogen worden, von den Dingen, die er gesagt und wie er sie gesagt habe. Jesus habe sich verstehen lassen und geheilt. Viele Menschen seien ihm gefolgt, um geheilt zu werden. Bisweilen habe Jesus dann die Menschen getadelt, da sie mehr am eigenen Nutzen als am Wort Gottes interessiert gewesen seien.

Andere Male dagegen „wollten die Leute ihn zum König machen, da sie dachten: ‚Das ist der perfekte Politiker!’“. Doch darin hätten sich die Leute geirrt und Jesus sei fortgegangen, um sich zu verbergen. Der Herr aber habe es zugelassen, dass alle ihm nachfolgten, da er gewusst habe, dass alle Sünder seien. Das größere Problem habe nicht bei denen gelegen, die Jesus nachgefolgt seien, sondern bei jenen, die „unbeweglich“ geblieben seien:

„Die Unbeweglichen! Jene, die am Wegrand standen und schauten. Sie saßen da, ja, sie saßen da. Da saßen auch einige Schriftgelehrten (vgl. V. 6). Sie folgten nicht, sie schauten zu. Es war, als schauten sie vom Balkon herunter. Sie gingen nicht in ihrem Leben: sie ‚balkonierten’ das Leben! Gerade da: nie gingen sie ein Risiko ein! Sie urteilten nur. Sie waren die Reinen und mischten sich nicht ein. Auch ihre Urteile waren stark, nicht wahr? In ihrem Herzen: ‚Was für dumme Leute! Was für abergläubische Leute!’. Und wenn wir die Frömmigkeit der einfachen Leute sehen: wie oft kommt uns doch da jener Klerikalismus in den Sinn, der der Kirche so sehr schadet“.

Bei diesen Menschen habe es sich um eine Gruppe von Stillstehenden gehandelt. Sie seien einfach fort geblieben, auf dem Balkon, „sie schauten und urteilten“. Es gebe jedoch noch andere, die einfach im Leben still stünden, wie jener Mann in Betesda, der seit achtunddreißig Jahren am Teich gelegen habe: unbeweglich, vom Leben verbittert, ohne Hoffnung (vgl. Joh 5,1-18). Er habe an seiner Verbitterung gekaut, auch er sei stillgestanden, er sei Jesus nicht nachgefolgt und habe keine Hoffnung gehabt.

Die Menschen, die Jesus gefolgt seien, seien dagegen ein Risiko eingegangen, um ihm begegnen zu können, um das zu finden, was sie gewollt hätten:

„‚Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen die Decke durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab’ (V. 4). Diese Leute im heutigen Evangelium sind ein Risiko eingegangen, als sie das Loch ins Dach gemacht haben: sind das Risiko eingegangen, dass der Hausherr sie verklagt, dass er sie vor den Richter bringt und zahlen lässt. Sie haben das Risiko auf sich genommen, aber sie wollten zu Jesus gehen. Dann: jene Frau, die seit achtzehn Jahren krank war, ging ein Risiko ein, als sie nur den Saum des Gewandes Jesu berühren wollte: das Risiko, Scham zu empfinden. Sie riskierte es: sie wollte die Gesundheit haben, sie wollte zu Jesus gelangen (vgl. Mt 15,21-28). Denken wir an die kanaanäische Frau: und die Frauen gehen mehr Risikos ein als die Männer, ja? Das ist wahr: sie sind tüchtiger! Und das müssen wir anerkennen“.

Franziskus zitierte neben der kanaanäischen Frau den Fall der Sünderin im Haus des Simon und den der Samariterin. Alle seien sie ein Risiko eingegangen, alle hätten sie das Heil gefunden. Jesus nachfolgen „ist nicht leicht, aber schön! Und immer ist dies mit einem Risiko verbunden!“. Dies gehe manchmal so weit, dass man sich lächerlich mache. Doch dann finde man das, was wirklich zähle: „Dir werden deine Sünden vergeben“. Denn hinter der Gnade, um die wir bäten – die Gesundheit, die Lösung eines Problems oder sonst etwas –, stünde das Verlangen danach, in der Seele geheilt zu werden, Vergebung zu erlangen. Wir alle wüssten, dass wir Sünder seien. Aus diesem Grund folgten wir Jesus nach, um ihm zu begegnen: „Und wir gehen ein Risiko ein“.

„Fragen wir uns“, so der Papst abschließend: „Gehe ich ein Risiko ein oder folge ich Jesus nach den Regeln eines Versicherungsunternehmens, in der Sorge darum, das und das nicht zu tun?“. Auf diese Weise folge man Jesus nicht. Man bleibe sitzen wie jene, die ihre Urteile gefällt hätten:

„Jesus nachfolgen, da wir etwas brauchen oder einfach Jesus nachfolgen: dabei geht man ein Risiko ein, und das ist die Bedeutung der Nachfolge Jesu mit Glauben: das ist der Glaube. Sich Jesus anvertrauen, Jesus vertrauen, und mit diesem Glauben an seine Person haben diese Männer das Dach abgetragen und die Decke eingeschlagen, um den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinabzulassen, damit Jesus ihn heilen kann. Traue ich Jesus, vertraue ich ihm mein Leben an? Gehe ich hinter Jesus her, auch wenn ich mich dabei manchmal lächerlich mache? Oder bleibe ich sitzen und schaue nur zu, wie dies die anderen tun, die sich das Leben anschauen, oder sitze ich da mit einer ‚sitzenden Seele’ – sagen wir es so –, mit der Seele, die durch Verbitterung, durch das Fehlen von Hoffnung verschlossen ist? Ein jeder von uns kann sich heute diese Fragen stellen“.

Dem Autor auf Twitter folgen!



© 2017 www.kath.net