Skurrile Kirchenratswahl in Luzern

3. Jänner 2017 in Schweiz


„Diese Wahl hat mir gezeigt, wie weit sich die römisch-katholische staatskirchenrechtliche Körperschaft der Stadt Luzern von der katholischen Kirche entfernt hat.“ Gastkommentar von Philipp Wilhelm (Präsident von „Pro Ecclesia“/Zentralschweiz)


Luzern (kath.net) Am 4. Dezember 2016 fand die Ersatzwahl eines Kirchenrats der römisch-katholischen staatskirchenrechtlichen Körperschaft der Stadt Luzern statt. Der folgende Beitrag beleuchtet an diesem Beispiel die skurrilen Auswüchse, welche die weltweit so einzigartige pseudodemokratische Zwangsverwaltung der katholischen Kirche in der Schweiz mit sich bringt. Geschrieben als Laientragikomödie in acht Akten.

Prolog:

Im Sommer 2016 entdeckte ich im lokalen Pfarreiblatt von Luzern die „Amtliche Mitteilung zur Anordnung einer Ersatzwahl in den Kirchenrat der römisch-katholischen Kirchgemeinde Luzern im Urnenverfahren“. Urnenwahl für den Kirchenrat?! Das habe ich, seit ich 2008 nach Luzern zog, nie erlebt. Mein Interesse wurde noch grösser, weil das Amt des Finanzverantwortlichen („Kirchmeier“) ausgeschrieben war. Mit meiner Berufserfahrung als Leiter der Internen Revision einer grossen Versicherung und der passenden Ausbildung als Betriebswirt der Universität St. Gallen mit Uniabschluss und Doktorat, so dachte ich, könnte ich unserer Kirche hier sicherlich sehr nützlich sein. Als gläubiger Katholik bemühe ich mich zudem, meinen Glauben so zu leben, wie er im Katechismus der katholischen Kirche erläutert ist. Und da ich wusste, dass ich ab Januar 2017 selbständig sein werde, hätte ich auch die Flexibilität und die nötigen Zeitreserven für ein kraftvolles Engagement. Ein idealer Kandidat? Nicht für dir römisch-katholische staatskirchenrechtliche Körperschaft in Luzern, wie ich erfahren musste!

Erster Akt: Auftritt der Pfarreiräte und Beschwörung der Alternativlosigkeit

Im Artikel, der in grosser Schrift über der kleingedruckten amtlichen Mitteilung im Pfarreiblatt gedruckt war, wurden Interessenten für das ausgeschriebene Amt des Finanzverantwortlichen im Kirchenrat aufgefordert, sich für weitere Informationen bei Bill Lischer, Präsident des Pfarreirats einer der acht Pfarreien der Stadt Luzern, per E-Mail zu melden. Alle Pfarreien der Stadt Luzern würden gemeinsam zusammen eine „eigene Wahlliste“ einreichen. Ihr Kandidat würde in einem „transparenten Entscheidungsprozess nach einem Gespräch von Interessierten mit den Präsidierenden“ festgelegt. Ich folgte dem Aufruf und teilte Herrn Lischer mit, dass ich mich für den frei werdenden Kirchenratssitz interessiere und bei ihm als Kontaktperson gerne mehr erfahren möchte. In seiner Antwort schickte er das offizielle Anforderungsprofil für künftige Mitglieder des Kirchenrats, gab Hintergrundinfos zur Amtsperiode und schrieb, dass die definitive Bewerbung bis Ende August an ihn einzureichen sei. Er erweckte damit den Anschein, dass alle Interessenten für den Kirchenrat ihre Bewerbung an ihn senden müssten. Diesen falschen Eindruck unterstrich er, indem er in Fettschrift betonte: „Selbstverständlich werden alle Kandidatinnen und Kandidaten durch die Pfarreiratspräsidierenden der Kirche Stadt Luzern in einem persönlichen Gespräch interviewt“.

Die Pfarreiräte werden in dieser Tragikomödie später die entscheidende grenzüberschreitende Rolle spielen. Im sogenannten „dualen System“ der Kirchenverfassung hat der Kirchenrat die Aufgabe, das Vermögen zu verwalten; der Pfarreirat ist für Pastoralentscheide zuständig. Die acht offiziellen und kirchensteuerfinanzierten „Pfarreiratspräsidierenden“ von Luzern massten sich an, einen Kandidaten für den Kirchenrat aufzustellen. Hier griffen Amtskatholiken einer Seite des dualen Systems (hier: Pfarreirat) in eine Wahl der anderen Seite (hier: Kirchenrat) ein. Dies war eine amtsanmassende Grenzüberschreitung zwischen Pastoral und Verwaltung. Sie zeigt, dass das angeblich duale System in Wahrheit gar nicht dual ist. Zudem verletzten sie durch ihr massives einseitiges Eingreifen in den Wahlkampf – wie später gezeigt wird – die in einer Demokratie von Amtsträgern geforderte Neutralitätspflicht. Dem nicht genug, wurde der „Präsident der Pfarreiratspräsidierenden“ im Pfarreiblatt als pseudo-offizielle Auskunftsstelle für Kirchenratsinteressenten genannt. Dadurch erhielt er vertrauliche Informationen wie Lebensläufe und Gesprächsinformationen von sieben Interessenten und hatte dadurch später die Möglichkeit, diese Informationen im Wahlkampf zu verwenden.

Zweiter Akt: Die scheinheilige Inquisition

Bill Lischer lud mich ein zu einem Bewerbungsgespräch im Kreise der „Pfarreiratspräsidierenden“ beziehungsweise ihrer Vertreter. Nach allgemeinen Bewerbungsfragen zu Motivation, Stärken und Führungsstil – interessanterweise keiner Frage zu meiner fachlichen Qualifikation – kamen die Pfarrei-Inquisitoren beim Bewerbungsgespräch dann schnell zum eigentlichen Kern der Befragung. In meinem Lebenslauf sei angegeben, dass ich Präsident der Pro Ecclesia Zentralschweiz sei. Die Minen verdüsterten sich, da es sich dabei um einen Verein romtreuer Katholiken handelt. Sie wollten wissen, welches Bild ich von der Kirche in Luzern hätte, wie meine Haltung zur Dualität der Kirche in der Schweiz sei, was meine Meinung zur Kirchensteuer sei, was ich vom Marsch Sankt Galler Frauen nach Rom hielte und wie die Mitbestimmungsrechte der Frauen in der Kirche verbessert werden sollten. Als ich noch mit klaren Antworten meine Meinung erläuterte, unterbrachen sie mich und sagten, sie hätten meinen Standpunkt bereits verstanden und ich könne jetzt aufhören zu reden. Diese scheinheilige Inquisition diente ganz offensichtlich nicht dazu, den fähigsten Bewerber für die Verwaltung von jährlich 24 Millionen Franken Kirchensteuerausgaben zu finden. Es ging darum, katholische Bewerber auszufiltern, welche in kirchenpolitischen Fragen eine andere Meinung wie die ideologisch vollständig gleichgeschalteten Luzerner Amtskatholiken haben. Welch’ wunderbare Lektion in Toleranz und Offenheit für andere Standpunkte – denn bekanntlich kann man ja sehr gut von negativen Beispielen lernen!

Dritter Akt: Die Infamie der Pseudodemokratie

Ich stehe dem dualen System kritisch gegenüber, bin gegen das Schweizer Kirchensteuersystem und meiner Meinung nach sind Glaubensinhalte nicht von einer demokratischen Mehrheit abhängig und der Zugang von Frauen zu Weiheämtern ist keine Frage der Wertschätzung. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass mich die Pfarreiratspräsidierenden nicht als ihren Kandidaten aufstellten und mir schriftlich absagten. Natürlich liess ich es damit nicht auf sich beruhen und trat als einziger Gegenkandidat zur Wahl an.

Seit zwölf Jahren wurde keine Wahl des Kirchenrats mehr durchgeführt – dem Vernehmen nach gab es in den letzten 30 Jahren nur zwei. Es ist erschreckend, ein derartig grosses Ausmass an geistiger Inzucht zu sehen: die Amtskatholiken haben seit Jahrzehnten fast immer alle Posten mit handverlesenen Gleichdenkern besetzt und so ihre Ideologie erfolgreich vor anderen Meinungen abgeschottet. Diese Besetzungspraktik entlarvt ihre immer betonte Offenheit und ihr angebliches Streben nach Mitbestimmung und Demokratie als in Wahrheit komplett selbstbezogenen autoritären Machthunger.

Es begann nun also der Wahlkampf zwischen den „Pfarreiratspräsidierenden“ mit ihrer Kandidatin und mir. Im lokalen Pfarreiblatt konnten beide fünf Fragen beantworten, darunter ein „Blick auf die Weltkirche: Welche Reformen müssten am dringendsten umgesetzt werden?“. Die Amtskatholiken kannten mich durch ihre scheinheilige Inquisition unfairerweise bereits und ihre Kandidatin konnte im Gegensatz zu mir ihre Antworten im Pfarreiblatt schön auf mein Profil hin ausrichten. Ihre Kandidatin betonte in den Antworten die für sie zentrale Rolle des sozialen Engagements und unterstrich den grossen Unterschied zwischen der lieben „demokratischen Kirche der Basis, in der alle willkommen sind“ in Luzern und „dem Vatikan“. Meine Statements unterstrichen die Bedeutung von Finanzkompetenz für den Posten des Kirchenrats, die Wichtigkeit der Neuevangelisation und einer gelebten Gottesbeziehung. Ich wandte mich gegen eine Abkapselung der Schweiz von der Weltkirche. Meine Antworten boten nur wenig Ansatzpunkte für Stimmungsmache. Ich wurde von der Redaktion des Pfarreiblatts am folgenden Mittwoch aufgefordert, bis Sonntagabend einen Unterstützer meiner Kandidatur zu Wort kommen lassen – am Freitag war binnen zweier Tage plötzlich sogar ein Textbeitrag mit Foto von bis zu zehn Unterstützerorganisationen gefordert. Unmöglich, diese in so kurzer Zeit zu finden – ausser, meine Kandidatur wäre wie die der Mitbewerberin bereits von der „Konferenz der Pfarreiratspräsidierenden“ aller acht Pfarreien in Luzern für den Posten ausgesucht und aktiv beworben worden. Ich erhob daher erfolgreich Einspruch, hatte aber Mühe, in der geforderten Zeit einen einzelnen Unterstützer zu finden. Ich fand viel Zustimmung zu meiner Kandidatur und meiner Meinung zum dualen Zwangssystem und zur ideologisierten Meinungsmonokultur in Luzern. Erschreckenderweise wollten sich aber nur wenige in der Öffentlichkeit des Pfarreiblatts mit Namen und Portraitbild zu dieser Meinung bekennen. In Luzern herrscht eine Kultur der Angst! Ein Pfarrer erklärte mir, das duale System sei ein Tabuthema, das sich aus Furcht vor Repressalien fast niemand anzusprechen traue. Ich positionierte mich über Finanzkompetenz, lehnte die für eine 20%-Arbeit mit CHF 36'000 angesetzte Entlöhnung eines Kirchenrats (was CHF 180'000 in Vollzeit entspricht!) als Kirchensteuerverschwendung ab und kündigte an, den Nettolohn dieses Amtes wohltätigen Zwecken zu spenden.

Vierter Akt: die veröffentlichte Meinung

Eine Pressemeldung des Wahlbüros über die Wahl blieb ohne nennenswerte Reaktion der Presse. Die Amtskatholiken platzierten daher einen Artikel in der lokalen Tageszeitung. Ich erahnte diese Taktik, als die Fragen des zuständigen Journalisten beim Telefoninterview sich sofort kritisch gegen meine Person richteten. Anstatt meine Meinung kennenzulernen, zielte die Story darauf ab, dass ich Präsident der Pro Ecclesia Zentralschweiz bin, was skandalisiert wurde. Dieser ganz normal dem Glauben im Katechismus der katholischen Kirche verpflichtete Verein wurde im Artikel vom Journalisten, der Mitbewerberin (die weder mich noch Pro Ecclesia je kennengelernt hat) und vom „Leiter der Konferenz der Pfarreiratspräsidierenden“ Bill Lischer mit der Konservativ-Keule geschlagen und als Gefahr für die liberale Offenheit der Kirche dargestellt. Eine ganze Spalte des Artikels wurde für ein Grosszitat der Mitbewerberin verwendet, wonach sie ihre Kraft dafür einsetzen möchte, dass die „Katholische Kirche der Stadt Luzern weiterhin offen ist“. Interessant ist, dass für diesen Zeitungsartikel offensichtlich Informationen aus meiner Bewerbung bei der „Konferenz der Pfarreiratspräsidierenden“ verwendet wurden. Ausserdem kamen zwar die Amtskatholiken mit ihrem abwertenden Statement gegen mich zu Wort, jedoch konnte sich kein Unterstützer meiner Kandidatur äussern. Interessant ist auch, dass meine Mitgliedschaft bei Pro Ecclesia thematisiert wurde, die Mitgliedschaft der Gegenkandidatin in der Grünen Partei jedoch nicht – obwohl diese Partei sich in Luzern für die Entfernung aller Kreuze in der Aussegnungshalle des Luzerner Friedhofs einsetzt und sich schweizweit mit Positionen profiliert, welche mit dem katholischen Glauben unvereinbar sind (z.B. Abtreibung, Auslebung von Homosexualität, Familienbild, Genderismus). Überhaupt sollte im dualen System der Kirchenrat für die Verwaltung der Finanzen und Liegenschaften zuständig sein, er sollte nicht über Glaubensfragen oder Seelsorge bestimmen. Die Thematisierung von Unterschieden meines römisch-katholischen Glaubens zum luzern-katholischen Glauben der Amtskatholiken sollte daher für die Wahl eines Kirchenrats unerheblich sein – es sei denn, das duale System ist gar nicht dual, sondern zweckentfremdet von einer permanenten Grenzüberschreitung der Verwaltungs- und der Pastoralseite geprägt.

Dem Artikel folgte eine Leserbriefaktion der Amtskatholiken, in welcher der bereits erwähnte und nicht müde zu werden scheinende Bill Lischer erneut die Unterstützung aller Pfarreien für meine Mitbewerberin versicherte und betonte, wie wichtig es sei, dass die Kirche basisorientiert, „demokratisch“, aktiv für notwendige Veränderungen in der Kirche und einladend für „freiwilliges“ Engagement sei. Ein weiterer Pfarreirat erklärte in seinem Leserbrief die Wahl zur Richtungswahl für Mitbestimmung der Laien, Gleichberechtigung der Frauen und „demokratische“ Verfahren in der Kirche, welche alle durch die finstere Gruppierung, welcher ich angehöre, gefährdet seien. Die ehemalige Präsidentin der Synode und einer Pfarrei sprach mir in ihrem Leserbrief gleich ganz die nötigen fachlichen und menschlichen Voraussetzungen für das Amt ab. Ihr ging es um die Kontrolle über die Kirchensteuergelder, welche sie durch Laien ausgegeben und dem Einfluss der Kirche weiterhin entzogen sehen mochte. Sie unterstellte mir die Zweckentfremdung der Gelder und Loyalitätskonflikte, da ich angeblich vom Bistum Chur beeinflusst sei. Meine Ankündigung, den exzessiven Nettolohn des Amtes zu spenden, verurteilte sie als Geringschätzung des grossen Engagements der Kirchenräte. Ich wollte mit zwei kurzen Leserbriefen auf die unzutreffenden Anschuldigungen antworten, jedoch lehnte die Lokalzeitung dies ab und kündigte an, nur einen (natürlich den alleinstehend schwächeren der beiden) zu veröffentlichen. Trotz meines Protests und der Aufforderung, den alleinstehend stärkeren Leserbrief zu wählen, veröffentlichte die Zeitung den ersten gegen meinen Willen. Die Vizepräsidentin von Pro Ecclesia versuchte, in einem Leserbrief die Ziele von Pro Ecclesia vorzustellen. Ihre entscheidende Pointe am Textende hat die Redaktion der Lokalzeitung jedoch wegzensiert und der Leserbrief wurde mit grosser zeitlicher Verspätung und nach einem anderen Pro-Ecclesia-kritischen Leserbrief so publiziert, dass dessen Inhalt den ursprünglichen Bezug ihres Leserbriefs negativ verfremdete. Im Artikel und den Leserbriefen trifft man auf den spannenden Widerspruch, dass Kräfte, die sich für 'progressiv' halten, strukturkonservativ denken und zum dualen System und dem System der Kirchensteuern nicht einmal eine andere Meinung hören wollen.

Fünfter Akt: Die missglückte Steinigung

Als Höhepunkt des Wahlkampfs lud das Wahlbüro beide Kandidaten zu einer Podiumsdiskussion in das Pfarreiheim der Pfarrei von Bill Lischer, der ja bereits sein fragwürdiges Demokratieverständnis zeigte, indem er sein öffentliches Amt als Pfarreirat für wiederholte unzulässige Wahlbeeinflussung missbrauchte. Als Moderator wurde der Pressesprecher der römisch-katholischen staatskirchenrechtlichen Körperschaft des Kantons Luzern eingesetzt. Sein unprofessionelles Verhalten, so etwa mehrfaches Vertauschen der Namen der beiden Kandidaten und wörtliches Ablesen vorformulierter Fragen, wurde nur von seiner Voreingenommenheit gegen mich übertroffen. Er unterstellte mir mehrfach Unlauterkeit, so etwa, dass meine Antworten im Pfarreiblatt angeblich oberflächlich wären oder ich mein Engagement bei Pro Ecclesia angeblich verschweigen wollte, da dieses nicht in meinen Antworten auf die Interviewfragen im Pfarreiblatt erwähnt sei, wofür aufgrund der Fragen aber gar kein Grund bestand. Auch mischte er sich später bei Fragen des Publikums ein, wenn ihm meine Antwort auf die Frage eines Zuhörers persönlich nicht gefiel. Gegenüber der Mitbewerberin verhielt er sich hingegen vollkommen unkritisch. Die Podiumsdiskussion kreiste um das Kirchenbild der beiden Kandidaten, welches zu Beginn durch ein selbstgemaltes Bild, ein Foto oder einen Gegenstand symbolisiert werden sollte. Ich wählte als Kirchenbild einen Blumenstrauss, auf den Gottes Liebe wie Licht durch den Raum der Kirche falle, ein Licht für das sich die vielfältigen Blumen zuvor öffnen müssten. Der Blumenstrauss werde getränkt vom Wasser der Kirchenfinanzen und geschützt von der Hülle der Liegenschaften – welche beide vom Kirchenrat verwaltet würden. Ich zeigte klar meine Sicht auf das duale System auf: der Kirchenrat habe eine rein betriebswirtschaftliche Leistung zu erbringen, welche er für die Pastoralstellen liefere. In deren ausschliesslicher Kompetenz lägen Pastoralentscheidungen, eine Abstimmung sei nur nötig, wenn das Wünschbare (Pastoralseite) mit dem finanziell möglichen (Kirchenrat) in Einklang gebracht werden müsse. Hervorragend klar wurde in dieser Diskussion, dass die Amtskatholiken und ihre Kandidatin ein weitgehend menschenzentriertes Kirchenbild haben, während ich schon zu Beginn meiner Vorstellung betonte, dass Gott im Zentrum aller Aktivitäten der Kirche stehen müsse. So seien Gassenarbeit, Flüchtlingshilfe, Altersheime, Kindergärten etc. nur dann sinnvoll in katholischer Trägerschaft, wenn bei diesen Initiativen Gott im Zentrum stünde und somit das soziale Engagement auch einen Evangelisierungscharakter hätte. Ich behauptete mich in dieser zweistündigen Diskussion argumentativ sehr gut und erntete am Ende sogar den Beifall aller Anwesenden, als ich als Zeichen der christlichen Liebe in unserer Kirche meiner Mitbewerberin meinen Blumenstrauss schenkte. Ich freute mich, als nach der Veranstaltung ein an der „scheinheiligen Inquisition“ Beteiligter mich um Verzeihung für sein aggressives Verhalten in dieser Befragung bat. Seine ebenfalls anwesende Frau sagte mir später sogar, dass sie mich in der Kirchenratswahl gewählt habe. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass weder im Pfarreiblatt noch anderswo trotz Anwesenheit von Journalisten vor der Wahl über die Podiumsdiskussion berichtet wurde.

Sechster Akt: Panik an den Fresströgen der Kirchensteuergelder

Im Endspurt des Wahlkampfes erfuhr ich, dass die „Konferenz der Pfarreiratspräsidierenden“ farbige Werbepostkarten für ihre Kandidatin druckte (vermutlich mit Kirchensteuergeldern) und diese in allen Pfarreien Luzerns verteilte und in den Kirchen auflegte. Das Wahlbüro empfahl am gleichen Tagen allen Pfarreien, Flugblätter beider Kandidaten für die Auslage zuzulassen. Ich kontaktierte daraufhin alle Pfarreien und bat um ihre Erlaubnis. Von den acht Pfarreien haben mir nur vier geantwortet, eine davon meldete sich nach fünf Tagen und machte dann die Genehmigung von einer vorgängigen Prüfung meines Flugblatts abhängig, das ich zum Zwecke dieser Prüfung erst per E-Mail senden sollte – und dies, obwohl die Pfarrei selbst am Flugblatt meiner Mitbewerberin beteiligt war und dieses schon fünf Tage vorher verteilt wurde. Im Lager der Amtskatholiken machte sich offensichtlich Panik breit, im fünfköpfigen Kirchenrat könnte tatsächlich ein Sitz in dieser Ersatzwahl an eine Person gehen, welche eine nicht zu ihrer Einheitsideologie passende Meinung vertritt. Pfarreiratspräsidierende verteilten persönlich an Kirchenbesucher Flugblätter und baten diese, doch ja meine Mitbewerberin zu wählen, da in dieser Wahl unbedingt eine Frau gewählt werden müsse. In den sozialen Medien wurde kräftig die Angst geschürt, eine „dubiose Konservativensekte“ mit Gedankengut aus dem Mittelalter reisse die Macht in Luzern an sich und würde im Falle einer Wahl unsere Demokratie, die Freiheit und – so schien es – das Leben selbst in Gefahr bringen.

Siebter Akt: Das Wahlergebnis

Am 4. Dezember zeigte sich der Erfolg dieser Kampagnen: ich erzielte 21%, die Kandidatin der Amtskatholiken gewann 78% der gültigen Stimmen. Von den 27'122 Wahlberechtigten Katholiken in Luzern gaben 5'737 (21%) ihre Stimme ab – 79% aller Kirchensteuerzahler kümmerten sich also gar nicht um diese Wahl. Interessanterweise legten 300 Wähler (5%) beide Kandidatenzettel in ihr Wahlcouvert: ein möglicher Hinweis darauf, dass sie diesen von den Amtskatholiken mit unwürdigen persönlichen Angriffen geführten Wahlkampf ablehnten und am liebsten beiden Kandidaten ein Kirchenratsamt gegeben hätten. Die Interpretation der Amtskatholiken, wonach diese Wahl eine Richtungswahl zwischen „konservativ“ und „liberal“ gewesen sei, lehne ich ab. Für einen Kirchenrat im dualen System muss die religionspolitische Einstellung irrelevant sein. Konsequenterweise konzentrierte sich mein Wahlkampf auf das Thema Finanzkompetenz und wie bei Stadträten ist auch bei Kirchenräten eine Wahl immer eine Persönlichkeitswahl, wobei weniger politische oder kirchenpolitische Ansichten ausschlaggebend sind als persönliche Bekanntheit – sei dies direkt oder indirekt über die Empfehlung der eigenen Pfarrei.

Letzter Akt: Die Moral von der Geschicht’

Ich bin heilfroh, dass der Kelch des Kirchenratsamts an mir vorübergegangen ist – weshalb ich schon vor der Wahl unabhängig vom Wahlergebnis eine Wahlparty ankündigte. Das Verhalten der Amtskatholiken bei dieser Wahl zeigte, auf wieviel ideologische Verschlossenheit, Intoleranz und Dialogverweigerung ich als Kirchenrat gestossen wäre. Undenkbar, wenn zu diesem Verhalten noch eine Abwehrreaktion nach der Aufdeckung finanzieller Unregelmässigkeiten oder Mittelverschwendungen hinzugekommen wäre, welche beim Einsatz eines Internen Revisoren als Kirchmeier in Luzern vermutlich eher früher als später aufgetreten wäre.

Die Wahl hat mir gezeigt, wie weit sich die römisch-katholische staatskirchenrechtliche Körperschaft der Stadt Luzern von der katholischen Kirche entfernt hat. Dies ist auch daran ersichtlich, dass sie sich klar über die Richtlinien der schweizerischen Bischofskonferenz zur Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften hinwegsetzen (siehe „Vademecum“ der schweizerischen Bischofskonferenz von Dezember 2012). Darin heisst es unter anderem wörtlich: „Die in staatskirchenrechtlichen Organisationen tätigen Gläubigen handeln dabei nicht im Namen der Kirche, sondern im eigenen Namen auf der Basis staatlichen Rechts.“ Da es in der katholischen Kirche aus theologischen Gründen nicht zwei nebeneinanderstehende Leitungen geben kann, so im Vademecum weiter, sind die staatskirchenrechtlichen Organisationen nur dann legitim, wenn sie helfender und unterstützender Natur sind und auxiliären Charakter haben. „Es muss deshalb eine Terminologie verwendet werden, die den zudienenden Charakter der staatskirchenrechtlichen Organisationen besser zum Ausdruck bringt und das Missverständnis zu vermeiden hilft, diese Organisationen seien selbst Kirche. (...) Die (staatskirchenrechtliche) Körperschaft sollte daher nicht als ‚Kirche’ oder ‚Landeskirche’ bezeichnet werden (...). Auch die Zusammenfassung kirchlicher und staatskirchenrechtlicher Organe sollte nicht als ‚Katholische Kirche im Kanton X’ bezeichnet werden.“ Gleiches gelte für den Begriff „Synode“ oder das Adjektiv „kirchlich“. Wenig erstaunlich, bezeichnet sich die staatskirchenrechtliche Organisation der Stadt Luzern als „katholische Kirche Luzern“. Mehr als das haben ihre Amtskatholiken sogar den Eindruck, in Luzern Papst spielen zu können und sich einen eigenen Glauben zurechtzubasteln, den sie selbst „katholisch“ nennen, der aber längst nicht einmal mehr dem protestantisierten Christkatholischen des Kulturkampfes entspricht, sondern gänzlich ohne Gott auf das ärmliche Menschsein beschränkt ist.

Epilog: Geschichtlicher Hintergrund der helvetischen Kirchenunterdrückung

Die Schweiz erlebte im 19. Jahrhundert nach den atheistischen Umwälzungen der napoleonischen Besatzungszeit eine Machtergreifung sogenannter „liberaler“ oder „freisinniger“ Gruppierungen. In den Worten des protestantischen Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preussen, von 1840 bis 1857 auch souveräner Fürst des heutigen Kantons Neuenburg, war diese liberale Bewegung eine „Sekte, welche wissentlich vom Christentum, von Gott, von jedem Rechte, das besteht, von göttlichen und menschlichen Gesetzen abgefallen, los und ledig ist“. Im Jahr 1834 beschlossen die damals sieben liberalen Kantone der Schweiz – darunter auch Luzern – mit den Badener Artikeln, die römisch-katholische Kirche der staatlichen Aufsicht zu unterwerfen. Ziel war eine staatliche Kontrolle über die katholische Kirche: Synoden sollten die Stellung der Bischöfe schwächen, der Staat sollte alle religiösen Erlasse genehmigen und eine strenge Überwachung der Priesterausbildung, der Priester und Ordensleute ausüben. Klöster sollten über Steuern und das Verbot der Novizenaufnahme ausgeblutet werden, der Staat sollte die Zulassungsbedingungen konfessionell gemischter Ehen bestimmen. Nur Priester, welche den Treueschwur auf die liberale Regierung leisteten, entgingen hohen Geldstrafen, Gefängnis und einer Amtsenthebung. Im damals noch Berner Jura rebellierten im Jahr 1836 Katholiken gegen die Umsetzung dieser Artikel und forderten die Loslösung des Juras von Bern. In Zürich versuchte die liberale Regierung, den sich später bekennenden Nicht-Christen und Wegbereiter des Materialismus David Friedrich Strauss als Theologen an die neu gegründete Universität zu berufen und über Kultur- und Schulpolitik den Einfluss der reformierten Kirche zu beenden, was 1839 zum Züriputsch durch reformierten Bürger führte. Im Kanton Waadt forderte 1845 die liberale Regierung, die Leitung der protestantischen Kirche politischen Stellen zu übertragen, was zum Amtsrücktritt von 180 Pfarrern und der Gründung der vom Staat getrennten Freikirche des Kantons Waadt führte. Da die protestantischen Landeskirchen kantonal organisiert und somit wirkungsvoll vom Staat beherrschbar waren, konzentrierten sich die Liberalen auf die wenig beeinflussbare, da weltweite, katholische Kirche. In Luzern setzten sich 1841 gläubige Katholiken in einer Verfassungsreform gegen die Liberalen durch. Als die in Folge der Badener Artikel aufgelösten Klöster im Aargau wiederhergestellt werden sollten und in Luzern erstmals Jesuiten zur Volksbildung gerufen wurden, wandelte sich der Konflikt in einen Konfessionskonflikt. Die Liberalen gewannen 1847 nicht-liberale reformierte Kräfte wie z.B. den Kanton Basel-Stadt für einen Krieg gegen die im Sonderbund vereinigten nicht-liberalen katholischen Kantone. Nach der Niederlage dieser katholischen Kantone wurde die Schweiz vom Staatenbund zum liberal-protestantisch geprägten Bundesstaat. Die Kriegssieger unterwarfen die katholische Kirche der staatlichen Kontrolle und schränkten in der teilweise antikatholischen Bundesverfassung von 1848 massiv ihre Religionsfreiheit ein. In Luzern wurde die Bundesverfassung angenommen, weil die inzwischen wieder liberale Regierung die Stimmen aller Nichtstimmenden als Befürworter der Verfassung wertete. Im Rahmen dieses Kulturkampfs gegen die katholische Kirche bekämpfte der Bundesrat (die Regierung des neuen Bundesstaats) die Möglichkeiten der Bistumsgestaltung und allgemein den Einfluss der katholischen Kirche. In der zweiten Schweizer Verfassung von 1874 wurde die Errichtung oder Wiederrichtung von römisch-katholischen Klöstern verboten, zudem wurden das bereits in der ersten Bundesverfassung enthaltenen Verbot des Jesuitenordens und der Entzug der Wählbarkeit für Priester in das nationale Parlament (Nationalrat) beibehalten. In einem weiteren Artikel, der sogar in die neue Bundesverfassung von 1999 aufgenommen wurde, wurde der Bundesrat als für römisch-katholische Organisationseinheiten zuständig erklärt und der katholischen Kirche blieb die Errichtung von Bistümern in der Schweiz ohne Genehmigung des Bundesrats verboten – der Artikel wurde erst im Jahr 2001 durch eine Volksabstimmung gestrichen. 1874 setzten eidgenössische Behörden den Bischof von Basel ab und liquidierten sein Vermögen. Er hatte entgegen des Verbots durch die Kantonsvertreter im Bistum 1870 das Dogma der Unfehlbarkeit verkündet und danach abtrünnige Priester exkommuniziert und abgesetzt. Die Liberalen förderten bestmöglich auch die Zersetzung der katholischen Kirche im Inneren. So gründete der reformierte liberale Berner Regierungsrat 1874 an der Universität Bern eine katholisch-theologische Fakultät mit antirömischen Professoren, um für seine Religionspolitik im romtreuen katholischen Jura später als Priester zu wählende kirchenfeindliche Priesteramtskandidaten hervorzubringen. 1873 bis 1920 wurde der vatikanische Nuntius in der Schweiz ausgewiesen. Bis heute unterhält die Schweiz als eines der wenigen westlichen Staaten keine ständige Botschaft beim Heiligen Stuhl. Seit 2004 wird die Funktion wenigstens durch einen Botschafter in Seitenakkreditierung («Teilpensum») mit Sitz in Bern ausgeübt – und das, obwohl über 100 Schweizer als Privatpersonen in der Schweizergarde ihren Wohnsitz im Vatikanstaat haben. Auf dem Höhepunkt dieses antikatholischen Kulturkampfs wurden die liberalen Vorstellungen einer staatlich gezähmten Kirche mit der Gründung der Christkatholischen Kirche der Schweiz im Jahr 1875 verwirklicht. Alle nicht konvertierenden Katholiken wurden wie meist zuvor die protestantischen Kantonalkirchen (1847 Genf, 1851 Thurgau, 1852 Bern, 1863 Waadt, 1896 Zürich) unter Kirchenverfassungen mit Laiensynoden auf Kantons- und Gemeindeebene gezwungen. So entstand 1875 in Luzern die „Gemeindeordnung der Katholischen Kirchgemeinde Luzern“ sowie die Verfassung der römisch-katholischen „Landeskirche Luzern“. Diese Zwangsverfassungen wurden in Luzern auf Gemeindeebene zuletzt 2009 überarbeitet und setzen heute nach wie vor die veralteten antikatholischen liberalen Ideen des Kulturkampfes aus dem 19. Jahrhundert um.

Dr. Philipp Wilhelm (Foto) ist der Präsident von „Pro Ecclesia“/Zentralschweiz.

Dr. Philipp Wilhelm (Präsident von ´Pro Ecclesia´/Zentralschweiz)



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