Kirche und Schweigen über Sex-Missbrauch: Die Sensation war keine

18. August 2003 in Aktuelles


Vatikanisches Dokument "Crimen Sollicitationis" aus dem Jahr 1962 ordnete keine "Strategie der Vertuschung" für Fälle sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen durch Priester an - Es ging ausschließlich um kirchenrechtliche Verfahren gegen Priester


Wien-Washington (kath.net/PEW/red)
Die Sensation war keine: Das vatikanischeDokument "Crimen Sollicitationis" aus dem Jahr 1962 ordnete keine"Strategie der Vertuschung" für Fälle sexuellen Missbrauchs vonJugendlichen durch katholische Priester an. Dies betonte der Sprecher derErzdiözese Wien, Erich Leitenberger, am Montag. Denn das Dokument bezogsich ausschließlich auf das kirchenrechtliche Verfahren gegen Priester, diebeschuldigt werden, Gläubige bei der Beichte zu sexuellen Handlungenmotiviert zu haben. Diese Verfahren sollten - im Hinblick auf den Schutzdes Sakraments der Beichte und die Situation der Opfer wie derBeschuldigten - streng vertraulich und nicht öffentlich geführt werden.

In keiner Weise ordnete das Dokument an, Fälle von sexuellem MissbrauchJugendlicher vor den staatlichen Sicherheits- und Justizbehörden zuvertuschen. Dass "Crimen Sollicitationis" nicht dazu bestimmt war, etwas"zuzudecken", geht aber aus Paragraph 15 hervor, der unter Strafe derExkommunikation jeden Gläubigen zur Anzeige beim Bischof verpflichtete, dervon einem Fall sexueller Handlungen in der Beichte Kenntnis erlangt hatte.Dabei war auch der Zeitraum unmittelbar vor oder nach der Beichteeinbezogen.

Die Bostoner Opfer-Anwältin Carmen L. Durso war aber der Meinung, mit demDokument "Crimen sollicitationis" den Beweis gefunden zu haben, dasskirchlicherseits eine bewusste Strategie zur "Behinderung der Justiz" inFällen des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher durch Priester bestand. Indiesem Sinn übermittelte sie das Dokument am 28. Juli an StaatsanwaltMichael J. Sullivan. Am 29. Juli erschienen die ersten Berichte in derRegionalpresse des Staates Massachussetts. Am 6. August landete die "Story"in den "Evening News" von CBS, wo sie ganz im Sinne von Carmen L. Dursopräsentiert wurde.

In der auf die CBS-Story folgenden öffentlichen Diskussion verwiesenamerikanische Kirchenrechtler darauf, dass in den Medienberichtenoffensichtlich kein Unterschied zwischen dem kirchenrechtlichen Vergehender "Sollicitatio" und dem kriminellen Verbrechen der Pädophilie gemachtwurde. Das vatikanische Dokument von 1962 habe sich aber ausschließlich aufdas kanonische (kirchenrechtliche) Verfahren in Sachen "Sollicitatio"bezogen; Ziel der Bestimmungen sei es nicht gewesen, den Übeltäter zuschützen, sondern das Beichtgeheimnis. Dies gehe auch daraus hervor, dassfür den Schuldigen harte Strafen und die Suspendierung vorgesehen waren.

Die amerikanischen Kirchenrechtler verwiesen darauf, dass Vertraulichkeitund Geheimhaltung im kanonischen Verfahren drei Ziele haben: Opfer könnensich melden, ohne Publizität befürchten zu müssen; Zeugen sollen offenreden, weil sie wissen, dass ihre Angaben nicht "auf dem Markt"ausgebreitet werden; der gute Namen des Beschuldigten soll bis zum Beweisseiner Schuld geschützt bleiben.

Erzbischof Julian Herranz, der Präsident des Päpstlichen Rates für dieInterpretation des Kirchenrechts, sagte der US-amerikanischenNachrichtenagentur CNS zudem bereits am 7. August, dass "CrimenSollicitationis" durch das neue Kirchenrecht von 1983 und die Richtliniender Glaubenskongregation von 2001 überholt sei. Die Richtlinien waren durchein "Motu Proprio" Papst Johannes Pauls II. mit dem Titel "Schutz derHeiligen Sakramente" in Kraft gesetzt worden.

Die österreichischen Medienberichte über "Crimen Sollicitationis" wurdendurch eine aufgekochte "Story" der britischen Zeitung "Observer" vom 17.August ausgelöst. Erich Leitenberger betonte dazu am Montag, die Linie derkatholischen Kirche in Österreich im Zusammenhang mit Fällen des sexuellenMissbrauchs durch kirchliche Mitarbeiter sei klar: "Die erste Sorge giltden Opfern. Zu diesem Zweck haben auch fast alle österreichischen Diözesen- angefangen von Wien - unabhängige Ombudsstellen eingerichtet, an die sichdie Opfer und ihre Angehörigen wenden können. Ebenso wichtig ist diePrävention; darauf wird in der Priesterausbildung besonderer Wert gelegt.Die Zusammenarbeit mit Sicherheits- und Justizbehörden in Fällen vonstrafrechtlicher Relevanz ist selbstverständlich".


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