Theologieprofessor: Kirche propagiert einen 'Schmusegott'

12. Dezember 2016 in Aktuelles


Evangelischer Neutestamentler Udo Schnelle: Sie passt sich ständig der Mehrheitsmeinung an


Weimar (kath.net/idea) Der Theologieprofessor Udo Schnelle (Halle) hat der evangelischen Kirche den „Verzicht auf Glaubensinhalte“ und eine „einseitige Fokussierung“ auf die Liebe und Barmherzigkeit Gottes vorgeworfen. Die evangelische Theologie habe „im Sinne der Postmoderne wesentliche Inhalte für nicht mehr aktuell erklärt“ und sich einseitig auf ethische Themen anstelle von „eigentlichen Glaubensfragen“ konzentriert, sagte er in einem Interview mit der Zeitung „Glaube und Heimat“ (Weimar). Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München), betreibe „eine Intensiv-Ethik, in der das Christentum rein moralisch gefasst wird“. Diese Ausrichtung hält Schnelle für „grundfalsch“, denn sie sorge für Enttäuschung der Mitglieder und einen „anhaltenden kirchlichen Abwärtstrend, denn für Frieden, Gerechtigkeit und Erhaltung der Schöpfung sind heute alle Parteien. Dafür brauche ich keine Kirche mehr. “

Grundvertrauen in die Zuverlässigkeit der biblischen Texte

Schnelle bezeichnete die historisch-kritische Auslegung der Bibel als „notwendig“, sieht in ihr aber zugleich die Ursache für Fehlentwicklungen der Theologie. Die Aussagen des Neuen Testaments über das Gericht Gottes seien durch einen „Schmusegott“ ersetzt worden, der „nichts anderes tut als das, was wir selbst wollen“. Die Auferstehung Jesu habe sich „verflüchtigt zu einem bloßen Symbol“. Sowohl Jesus als auch Paulus lehnten die Ehescheidung ab, doch „die evangelische Kirche passt sich ständig der politischen Mehrheitsmeinung an“. Allgemein müsse es „ein Grundvertrauen in die historische Zuverlässigkeit der biblischen Berichte geben, weil wir über keine Gestalt der Antike mehr wissen als über Jesus von Nazareth“, so der Neutestamentler.

Theologie, Glaube und Gemeinde müssen wieder zusammenfinden

Die historische Forschung in der Theologie müsse über Maßstäbe der Vernunft hinausgehen und sich zum Glauben hin öffnen: „Bei der zentralen Glaubensentscheidung, der Auferstehung Jesu Christi von den Toten, kommt die Vernunft an ihr Ende.“ Der Glaube wisse, „dass die Bibel mehr als ein Menschenwort ist“. Das Theologiestudium sei verengt auf die „rein historischen Fragen“. Das führe dazu, dass viele Pfarrer „innerlich und intellektuell vereinsamt sind“. Ihr „Glaubenspaket“ schmelze im Laufe der Jahre. Sie brauchten „Ladestationen, wo der eigene Glaube geistlich und intellektuell wieder aufgeladen wird“. Eine Möglichkeit dafür sieht er im theologischen Austausch in Pfarrkonventen. Kirche und Theologie müssten das Evangelium wieder „ernster nehmen“, so Schnelle. Udo Schnelle (64) ist Professor für Neues Testament an der Fakultät für evangelische Theologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er hat unter anderem das Standardwerk zur Entstehung und Auslegung des Neuen Testaments für das Theologiestudium verfasst.


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