Die neue Einheitsübersetzung: ein erster Eindruck

8. November 2016 in Kommentar


Die neue Einheitsübersetzung ist eine solide Übersetzung, mit der man arbeiten kann. An einiges habe ich allerdings Anfragen. kath.net-Kommentar von Johannes Hartl


Augsburg (kath.net) Mit großer Spannung wurde sie erwartet, nun erscheint sie endlich im Dezember und ich hab vorab ein Rezensionsexemplar bekommen. Ein paar einschränkende Bemerkungen vorweg. Dies ist ein erster Eindruck. Ich habe in der kurzen Zeit nicht die ganze Bibel durchgelesen und erst Recht nicht alles mit dem Urtext verglichen. Nur wenn man das täte, könnte man die Übersetzung vollständig beurteilen. Außerdem bin ich kein Spezialist für biblisches Hebräisch und Griechisch. Ich lese die Bibel aber gerne in den Originalsprachen und weiß deshalb auch, dass es ohnehin keine perfekte Übersetzung gibt. Hier also mein erster Eindruck. Er lässt sich so zusammenfassen: die neue EÜ ist eine solide Übersetzung. Sie ist eine Verbesserung der alten EÜ, die aber einige durchaus problematische Eigenschaften aufweist, sodass ich insgesamt nicht euphorisch werde. Doch vielleicht werden manche Stellen noch bis zum Verkaufsstart am 8.12. geändert.

Zunächst rein äußerlich: Schriftsatz und Layout sind modern, übersichtlich und erinnern an das neue Gotteslob. Sieht richtig gut aus. Sobald man zu lesen beginnt, bemerkt man, dass die Änderungen zur alten EÜ gar nicht so klein sind. Mich persönlich hat das erstaunt. Gerade wenn man seit Jahren in die Kirche geht, das Stundengebet betet und die Einheitsübersetzung gelesen hat, ist es auch ein kleiner Schmerz, dass manche Passagen wirklich komplett anders klingen. Am deutlichsten erscheint mir das bei den Psalmen der Fall zu sein. Wer das Stundengebet betet, kennt etliche Psalmen auswendig. Mir waren in der alten EÜ zwar viele davon nicht wortgetreu genug übersetzt, sie hatten aber eine Sprachgestalt im Deutschen, die sehr angenehm zu singen und zu beten war. Wer mit den „alten“ EÜ-Psalmen vertraut war, wird sich von sehr viel verabschieden müssen und hält eigentlich eine andere Übersetzung in der Hand.

Was nun sind die hauptsächlichen Änderungen? Das wichtigste Anliegen der neuen EÜ scheint mit die Texttreue zu sein und darüber muss jeder sich freuen, dem es um das Wort Gottes geht. Die neue EÜ ist keine flachere, dem modernen Deutsch besser angepasste Übersetzung, sondern sie versucht näher an der Originalsprache zu sein. Sie mutet dem Leser dabei auch ungewohnte Metaphorik und Ausdrucksweise an („Lichtglanz ist das all seinen Frommen“ statt „herrlich ist das für all seine Frommen“ Ps 149), doch dies darf insgesamt durchaus als Gewinn gewertet werden. So wurden auch viele mitunter grobe Übersetzungsschnitzer in der alten EÜ ausgeglichen. „…um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen“ (Eph 5,26, alte EÜ) heißt nun viel korrekter: „um sie zu heiligen, da er sie gereinigt hat durch das Wasserbad im Wort“. Also: klingt komplett anders und ist deutlich wörtlicher. Darüber freut sich jemand, der den Urtext liebt und der vor verschachteltem Deutsch keine Angst hat. Wer bereits die alte EÜ sperrig im Vergleich zu Bibeln „im heutigen Deutsch“ fand, für den dürfte die neue EÜ nichts sein.

Bei so vielen Korrekturen bisheriger Fehlübersetzungen stimmt es betrüblich, dass ganz besonders eklatante - nicht korrigiert wurden. Ein Beispiel: „selig die arm sind vor Gott“ (Mt 5,3) übersetzen alte und neue EÜ. Und es ist und bleibt falsch. Hier steht „to pneumati“, also „arm im Geist“. Im Hebräerbrief wird Gott mit einem konsequenten Vater verglichen: „An unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher und wir achteten sie.“ (Hebr 12,9) Beide Ausgaben erfinden das „harte“ dazu. Im Originaltext steht da kein Adjektiv, sondern nur das Wort „paideutas“, das „Erzieher“ bedeutet. So ließen sich noch weitere Beispiele finden.

Für noch gewichtiger jedoch halte ich die Entscheidung der Übersetzer, hebräische Tempora an gewichtigen Stellen anders wieder zu geben, als das meistens üblich ist. Im Bibelhebräisch entsprechen die Zeitformen der Verben nicht unseren heutigen Tempora. So kann das Perfekt nicht nur die Vergangenheit beschreiben, sondern auch einen abgeschlossenen, fest stehenden Sachverhalt. In der prophetischen Rede mischen sich mitunter die Tempora im Hebräischen. Normalerweise wird dann das Perfekt als „prophetisches Perfekt“ futurisch übersetzt. Nach all der grauen Theorie das entscheidende Beispiel. „Die Jungfrau wird ein Kind empfangen“ übersetzt nicht nur die alte EÜ, sondern auch die griechische Septuaginta, die jüdische Übersetzung von Martin Buber und die protestantische Elberfelderübersetzung. In der neuen EÜ heißt das „die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn“ (Jes 7,14). Diese Übersetzung ist meines Empfindens nach problematisch, zumal das Verb „gebären“ sogar ganz explizit im Futur steht. Die neue EÜ erweckt den Eindruck, dieses Jesajawort beziehe sich nicht auf etwas Zukünftiges. Nun ist diese Stelle aber keine nebensächliche. Sie ist eine der wichtigsten messianischen Prophezeiungen. Deshalb ist die Intention der Übersetzer auch noch schwerer verständlich. Auch in anderen prophetischen Büchern des AT wechseln die Tempora in schwer nachvollziehbarer Weise. Möchten die Übersetzer hier den futuristischen oder eschatologischen Bezug dieser Bücher bewusst herunterspielen oder liegen ihnen sprachwissenschaftliche Erkenntnisse vor, die anderen Übersetzern entgangen sind?

Verwirrend mutet die gleiche Tempora-Entscheidung auch bei den Psalmen an. „Dringen Böse auf mich ein (…), sie sind gestrauchelt und gefallen“ (Ps 27,2) betet David in der neuen EÜ. In der alten heißt es, dass die Frevler straucheln und fallen müssen. Und natürlich ist diese oder die futuristische Übersetzung des hebräischen Perfekts viel naheliegender: inmitten der Bedrängnis weiß der Beter, dass ohnehin schon klar ist, wie die Sache ausgehen wird. Wer mit den „neuen“ EÜ-Psalmen betet, wird immer wieder auf Stellen stoßen, in denen das Erbetene scheinbar schon in der Vergangenheit liegt. Auch hier: ich bin kein Experte, doch meinem Hebräisch-Verständnis entzieht sich der Grund für diese Wiedergabe.

Mühe habe ich um ehrlich zu sein auch mit der Anrede „Brüder und Schwestern“, die Katholiken ja schon aus den Lesungen in der Kirche kennen. Das Thema ist heikel. Denn selbstredend muss man davon ausgehen, dass zum Beispiel Paulus die gesamte Gemeinde anspricht. Sonst könnte er sich ja nicht in einzelnen Passagen besonders an die Frauen oder die Kinder wenden. Mit „Brüder“ ist also die ganze Gemeinde gemeint. Im Text steht aber dennoch „Brüder“. Nun ist meines Erachtens die Aufgabe einer Übersetzung die, das wiederzugeben, was wirklich dort steht und nicht das, was man meinte, was da eigentlich stehen sollte. In einer Fußnote könnte man auch darauf hinweisen, dass sich unter den Anrede „Brüder“ alle Christen angesprochen fühlten. Mutmaßungen, weshalb das wo war und ob wir das gut finden oder nicht, sind jederzeit erlaubt. Doch ist das wirklich die Aufgabe einer Übersetzung? Hier steht „adelphoi“ und das bedeutet „Brüder“. Kein Schüler dürfte in seiner Griechisch-Schulaufgabe dieses Wort mit „Brüder und Schwestern“ übersetzen, denn es ist falsch. Wir sollten stets mit dem arbeiten, was da wirklich steht.

Übersetzer, Herausgeber und Prediger stehen immer in Gefahr, sich selbst über das Wort Gottes zu stellen, die eigenen Vorstellungen dem Text „aufzudrücken“. Auch jede Zeit und jede forschungsgeschichtliche Epoche hat solche Vorstellungen. Aus diesem Grund bin ich kein großer Freund der Einleitungen zu den einzelnen Büchern. Besonders dann nicht, wenn sie zu wenig deutlich machen, dass sie nur dem aktuellen Forschungsstand entspringen. Was wurde von der „modernen“ Exegese nicht schon alles herausgefunden! Dass man über den historischen Jesus so gut wie garnichts Sicheres wisse, glaubte Albert Schweitzer schon vor gut 100 Jahren. Mittlerweile wissen wir, dass das sicher falsch ist. Doch die Einleitungstexte der neuen EÜ wissen, dass der Epheserbrief nicht von Paulus ist. Sie wissen, dass der Jakobusbrief nicht von Jakobus und das Lukasevangelium „ein Werk der dritten christlichen Generation“ ist. Aha. Das Problem an all diesen Aussagen ist, dass sie nur Theorien sind, die von anderen Theologen bestritten werden. Gerade die Datierung der Evangelien ist ein überaus heikles Feld. Die Behauptung zum Beispiel, das Matthäusevangelium sei wahrscheinlich um 80 nach Christus entstanden, wird in der neuen EÜ damit begründet, der Verfasser wisse um die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. Nach gut historisch-kritischer Manier wird die Möglichkeit, dass Jesus die Zerstörung tatsächlich vorausgesagt habe, nicht einmal in Betracht gezogen! Die historisch-kritische Exegese ist nicht nur theologiegeschichtlich überholt, sie hat meines Erachtens auch ganz allgemein nichts in einer „Volksausgabe“ der Heiligen Schrift zu suchen, da ihre Thesen alles andere als unbestritten sind.

Mein Fazit: als katholischer Christ halte ich die protestantische Elberfelder Übersetzung für die beste deutsche Bibelübersetzung. Ich empfehle sie dem Leser, der wirklich wissen will, was da im Text steht und die Originalsprachen nicht kennt. Die neue Einheitsübersetzung ist aber eine solide Übersetzung, mit der man arbeiten kann. Der Abschied von der alten fällt mir nicht ganz leicht, doch über die Grundrichtung hin zu größerer Texttreue freue ich mich trotz aller genannten Einschränkungen.


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Die Bibel, Einheitsübersetzung, Standardformat
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2016 Katholisches Bibelwerk
ISBN 978-3-460-44000-5
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Titelblatt einer Ausgabe der revidierten Einheitsübersetzung



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